Mehrgefahrenversicherungen in der Landwirtschaft
DLG-Merkblatt 434
Autoren:
- DLG-Arbeitsgruppe Banken und Versicherungen
- Daniel Rittershaus, Vereinigte Hagelversicherung VVaG, Gießen
- Dr. Lothar Zschiesche, R+V Allgemeine Versicherung AG, Wiesbaden
- Sebastian Mahler, gvf VersicherungsMakler AG, Chemnitz
Inhaltsverzeichnis
- Mehrgefahrenversicherungen in der Pflanzenproduktion
Wandel klimatischer Bedingungen für den Ackerbau
Extremwetterereignisse – Risiken für Landwirte
Versicherung von Extremwetterereignissen: Versicherungsarten und Funktionsweise
Schadenregulierung: Versicherte Schäden, Schadenfeststellung, Mitwirkungspflichten der Landwirte bei der Schadenregulierung
Überblick über die staatliche Finanzierung von Mehrgefahrenversicherungen - Tierversicherung
Rechtliche Grundlagen
Risikopotenzial durch Tierseuchen
Aktuelles Seuchengeschehenenkasse
Absicherung durch die Ertragsschadenversicherung - Leitfragen Mehrgefahrenversicherung:
Gespräche zum Versicherungsabschluss systematisch führen
1. Mehrgefahrenversicherungen in der Pflanzenproduktion
1.1 Wandel klimatischer Bedingungen für den Ackerbau
Für landwirtschaftliche und gartenbauliche Kulturen besteht seit jeher die Gefahr von Schäden durch Wetterrisiken. Hagel, Sturm, Starkregen oder Frost können die Pflanzen bis hin zum Totalausfall schädigen. Nach dem gegenwärtigen Wissensstand ist der Klimawandel in vollem Gange und wird weiter fortschreiten. Infolge der dadurch aufgeheizten Atmosphäre treten Unwetterereignisse immer häufiger, mit einer stärkeren Intensität und großräumiger auf. Schäden können während der gesamten Vegetationsperiode entstehen. Schon wenige Minuten können ausreichen, um die Feldbestände einer ganzen Region zu zerstören. Die Schadenerfahrungen zeigen, dass mittlerweile selbst bei größeren Betrieben, deren Flächen über mehrere Gemeinden verteilt sind, die innerbetriebliche Risikostreuung nicht mehr funktioniert. Da in den letzten Jahren nicht nur die Markterlöse, sondern auch die Vorleistungskosten (z. B. Dünge- und Pflanzenschutzmittel) stark gestiegen sind, ist ein ausreichend hoher Versicherungsschutz sinnvoll, um im Schadenfall nicht in eine Liquditätsfalle zu geraten und damit die Existenz des Betriebes zu gefährden.
Auch für tierhaltende Betriebe können Wettergefahren erhebliche Folgen haben, wenn beispielsweise die Grundfuttermenge nicht mehr ausreicht. Zukäufe und notwendige Transportkosten, insbesondere bei Mais, belasten das Budget zusätzlich. Vergleichbares gilt für die Substraterzeugung bei Biogasanlagen. Im Obst- und Gemüsebau kann sich der Schaden noch dramatischer entwickeln, da die geschädigten Produkte gar nicht mehr oder nur noch zu bestimmten Zwecken (z. B. Mostobst) zu vermarkten sind.
Die Landwirte werden sich auf diese Veränderungen einstellen müssen, denn ihre Branche hängt wie kaum eine andere von Klima, Witterung und Wetter ab. Zu erwarten sind positive und negative Effekte gleichermaßen. Beispielsweise führen steigende Temperaturen zu einem früheren Vegetationsbeginn und ermöglichen eine längere Vegetationsperiode. Der Klimawandel bringt aber auch mehr extreme Wetterlagen. Hierzu zählen neben Hagel vor allem Starkregen, extreme Hitze, Dürren und Stürme. Der durchschnittliche jährliche Ernteschaden durch Wetterextreme beträgt im langjährigen Mittel bereits jetzt über 500 Millionen Euro (GDV 2016). Die Absicherung der Ernte wird deshalb zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen.
1.2 Extremwetterereignisse – Risiken für Landwirte
Jedes Jahr verursachen Hagel, Sturm und Starkregen erhebliche Ernteschäden. Kaum eine Anbauregion bleibt verschont. Die einzelnen Wetterereignisse und die damit verbundenen Ertragsausfälle sind in der Regel regional begrenzt, können jedoch für Einzelbetriebe ein existenzbedrohendes Ausmaß annehmen. In der Jahresbetrachtung wird darüber hinaus deutlich, dass es kaum Regionen gibt, die von Schäden nicht betroffen sind. Ernteausfälle durch Auswinterung und Trockenheit treten dagegen meist großräumig (überregional) auf. Sie zeichnen sich durch eine geringere Schadensfrequenz bei hohem einzelbetrieblichen sowie volkswirtschaftlichen Schadenspotenzial aus (sog. Kumulrisiken). Für den Abschluss einer Versicherung ist es generell wichtig zu wissen, wie die einzelnen Schadereignisse versicherungstechnisch definiert werden. Die Definition der Schäden ist grundsätzlich in den Versicherungsbedingungen festgelegt. Konkretisiert wird die Schadensdefinition oft durch die Erläuterung von konkreten, versicherten Schadbildern, die nach Eintritt der versicherten Gefahren an der Pflanze entstehen können.
Übersicht Wetterereignisse
Hagel ist ein fester Niederschlag in Form von Eiskörnern unterschiedlicher Größe. Diese müssen einen Durchmesser von mindestens fünf Millimeter aufweisen, ansonsten spricht man von Graupel. Bei einem Hagelereignis können an den Pflanzen Schäden in Form von Anschlägen, Abschlägen, Knickungen, Brüchen und Schlitzungen entstehen.
Sturm ist definiert als eine Luftbewegung von mindestens Windstärke 8 nach der Beaufort-Skala. Insbesondere in Regionen mit sandigen Böden droht bei Sturm die Verwehung des Saatgutes oder das Abschmirgeln der frisch aufgelaufenen Saat. Aber auch in späteren Reifestadien sind die Pflanzen gefährdet. Insbesondere hoch wachsende Pflanzen mit geringerer Standfestigkeit, wie beispielsweise Mais zur Biogaserzeugung, können umgeknickt oder ganz aus der Erde gerissen werden.
Starkregen ist ein heftiger Regen mit einer Niederschlagsmenge von mehr als 50 l/m² innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden. Besonders junge Pflanzen sind durch Starkregenereignisse gefährdet. So unterbinden Verkrustung und Verschlämmung das Auflaufen der Sämlinge mit der Folge, dass Lücken im Bestand entstehen und dieser uneinheitlich zur Erntereife gelangt. Aber auch weiter entwickelte Pflanzen können Schaden nehmen, indem sie freigespült oder zugeschlämmt werden. In Hanglagen treten bei besonders heftigen Niederschlägen großflächige Erosionen auf. Besonders gefährdet sind beispielsweise Dammkulturen. So sind freigelegte, verfärbte Kartoffeln oder Möhrenköpfe ein bekanntes Schadbild.
Frost ist eine wetterbedingte Abkühlung der Luft auf Temperaturen merklich unter 0° Celsius. Insbesondere durch Frost zum Zeitpunkt der Blüte und die damit verbundene mangelnde Befruchtung kommt es zu verminderten Erträgen. Starke Fröste, insbesondere Kahl- und Wechselfröste während der Vegetationsruhe, können zu sogenannten Auswinterungsschäden führen. Diese verursachen ebenfalls eine Dezimierung des Bestandes und erfordern im schlimmsten Fall Umbruch oder Neueinsaat.
Fehlt den Pflanzen durch Trockenheit die Wasserzufuhr, schließen sie ihre Poren und vermindern damit die Fotosyntheseleistung. Hält die Trockenheit an, führt dies zu vielfältigen Schäden. Wachstum und Reife werden beeinträchtigt, Pflanzen vergilben und werfen die Blätter ab. Sie können auch keine Nährstoffe mehr aufnehmen. Ausgebrachter Dünger bleibt wirkungslos.
1.3 Versicherung von Extremwetterereignissen: Versicherungsarten und Funktionsweise
Ertragsschadenversicherung
In Deutschland ist eine sogenannte schadensbasierte Versicherung üblich. Der Landwirt bekommt dabei den tatsächlich auf seinem Feld entstandenen Schaden von der Versicherung ersetzt. I. d. R. handelt es sich um eine Versicherung des konkret festgestellten mengenmäßigen Ertragsverlustes. Bei Sonderkulturen ist zumeist auch der Qualitätsverlust mit eingeschlossen.
Der Ablauf ist wie folgt: Nachdem der Versicherungsnehmer bestimmt hat, welche Kultur (z. B. Mais) er versichern möchte, legt er einen so genannten Hektarwert fest. Dieser Hektarwert richtet sich nach dem Wert des Bestandes auf dem Feld und ergibt sich aus der erwarteten Erntemenge und dem Preis (Menge mal Preis). Innerhalb eines von der Versicherung vorgegebenen Korridors kann der Versicherte den Wert individuell bestimmen. Die zu versichernde Kultur und der Hektarwert werden aufgrund des Fruchtwechsels und der erwarteten Preisentwicklung jedes Jahr für die einzelnen Flächen neu festgelegt. In einem Anbauverzeichnis werden diese Angaben entsprechend jährlich aktualisiert.
In Abhängigkeit von dem gewählten Deckungsumfang und der jeweiligen Risikolage wird daraus der Versicherungsbeitrag berechnet. Der Versicherungsnehmer hat darüber hinaus die Möglichkeit besondere Vereinbarungen zu treffen, z. B. Zuschläge auf die Schadenquote oder Selbstbehalte zu vereinbaren. Er kann also individuell anhand seines eigenen Risikobewusstseins entscheiden, wie umfangreich die Absicherung gestaltet werden soll. Je nach Versicherungsgesellschaft gibt es aber auch verpflichtende Selbstbehalte.
In Deutschland ist der Abschluss einer Ertragsschadenversicherung gegen die Gefahren Hagel, Sturm, Starkregen und Starkfrost (Spätfröste und Winterfröste inklusive des Schadbildes Auswinterung) möglich. Je nach Kulturart sind dabei alle oder nur einige Wettergefahren versicherbar. Hagel ist als die Gefahr mit der höchsten Eintrittswahrscheinlichkeit bei den Verträgen als Kern immer enthalten. Die Versicherungsteuer für die Mehrgefahrenversicherung beträgt seit 2013 übrigens einheitlich 0,3 Promille der Versicherungssumme, unabhängig von der Anzahl der versicherten Gefahren.
Im Schadenfall meldet der Landwirt diesen seiner Versicherung. Innerhalb weniger Tage werden die Schadbilder von den Sachverständigen der Versicherung auf dem jeweiligen Feldstück bewertet (für Details siehe Punkt 4: Schadenregulierung).
Indexversicherungen
Eine weitere Möglichkeit zur Absicherung von Witterungsrisiken sind sogenannte Indexversicherungen. Die Entschädigungszahlung ist dabei – anders als bei der Ertragsschadenversicherung – nicht an den Nachweis eines tatsächlich eingetretenen Schadens an den angebauten Kulturen geknüpft. Vielmehr wird das Recht gekauft, in Abhängigkeit von einem vertraglich definierten theoretischen Index eine Zahlung zu erhalten. Dabei ist es unerheblich, ob tatsächlich ein Schaden auf dem Feld entstanden ist. Genauso kann es passieren, dass ein Schaden entstanden ist, der Index aber noch nicht erreicht wurde (also auch keine Zahlung geleistet wird). In Deutschland gibt es so gut wie kein Markt für Indexversicherungen. Derartige Produkte sind insbesondere in den Ländern verbreitet, in denen keine effiziente Infrastruktur zur Schadensfeststellung und -regulierung existiert und deutlich extremere Ertragsschwankungen als in Deutschland auftreten. Vor allem im asiatischen Raum (insbesondere Indien) und in einigen Ländern auf dem afrikanischen Kontinent werden sie als sogenannte Mikroversicherungen angeboten. Es gibt unterschiedliche Formen der Indexversicherung: Die häufigste Anwendung finden aktuell Ertragsindexversicherungen, Wetterindexversicherungen sowie Indexlösungen basiert auf Parametern der Fernerkundung (Satelliten).
Indexversicherungen sind sogenannte Risikotransferprodukte. Je nach den individuellen Anforderungen können Wetterindexlösungen als Versicherungspolice oder als Finanzprodukt, etwa als Wetterderivat, ausgestaltet sein. Sie können dann auch von Marktteilnehmern abgeschlossen werden, die keine konkrete landwirtschaftliche Ernte absichern möchten.
Stark vereinfacht lässt sich eine Indexversicherung folgendermaßen an einem fiktiven Beispiel erklären:
Fällt in einem bestimmten Zeitraum länger als 30 Tage kein Regen (= Index), erhält der Landwirt eine Zahlung in Höhe von 15.000 Euro (= Recht auf Zahlung). Man geht davon aus, dass die durch den theoretischen Index definierten Niederschlagsdefizite zu einer Schädigung der Kulturen führen. Im Idealfall korreliert der Index genau mit den zu erwartenden Ernteausfällen. Es sind jedoch auch folgende Ergebnisse möglich: Fällt am 29. Tag Regen, erhält der Landwirt keinerlei Zahlung, auch wenn bereits Pflanzen geschädigt sind. Fällt am 31. Tag Regen, erhält der Landwirt eine Zahlung in Höhe von 15.000 Euro, auch wenn seine tatsächlichen Ernteverluste nur 5.000 Euro betragen.
1.4 Schadenregulierung: Versicherte Schäden, Schadenfeststellung, Mitwirkungspflichten der Landwirte bei der Schadenregulierung
Was ist ab wann versichert?
Wichtig ist zunächst der so genannte Haftungszeitraum. Bei einjährigen Kulturen beginnt die Deckung i. d. R. ab der Aussaat und endet zu einem fest definierten Datum, spätestens aber mit der Ernte. Bei Dauerkulturen ist der Haftungszeitraum über fest definierte Entwicklungsstadien festgelegt.
Beim Abschluss der Ertragsschadenversicherung ist darüber hinaus der Beginn der Versicherung zu beachten. Der Versicherungsschutz gegen Hagel, Sturm und Starkregen ist wirksam ab dem Tag nach dem Vertragsabschluss. Die Wartezeit bei der Versicherung gegen Frost beträgt bis zu vier Wochen. Zu berücksichtigen sind zudem Ausschlusstatbestände, die in den Versicherungsbedingungen genannt werden. So ist der Versicherungsschutz bspw. erloschen, wenn eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung nicht durchgeführt wurde (bspw. nicht sachgerechte Anwendung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln etc.).
In der Regel ist der mengenmäßige Ertragsverlust versichert. Das heißt es wird ermittelt, wieviel Prozent der mengenmäßigen Ernte auf dem jeweiligen Schlag verloren ist. Je nach Kultur können die Inhaltsstoffe und Qualitätsschäden eingeschlossen sein oder durch Zusatzvereinbarungen mitversichert werden. So ist beispielsweise der Zuckerertragsverlust bei Zuckerrüben oder der Stärkeverlust bei Stärkekartoffeln eingeschlossen. Gerade im Bereich der Sonderkulturen (Obst und Gemüse) ist der Qualitätsverlust i. d. R. mitversichert, die schlechtere bzw. nicht mehr vorhandene Vermarktbarkeit der Erzeugnisse kann als Extravereinbarung berücksichtigt werden.
Vorgehensweise im Schadenfall
Im Schadenfall meldet der Betroffene die entsprechenden Flächen per Internet, mitunter auch per Telefon oder Fax, seiner Versicherung. Er gibt dabei das Datum des Schadenereignisses sowie die betroffenen Flächen an. Wichtig ist, dass die Meldung innerhalb von vier Tagen nach dem Schadereignis erfolgt. Innerhalb weniger Tage, bei Schäden in der Erntezeit auch unmittelbar, begutachten die Sachverständigen den Schaden und stellen ihn oft im Beisein des Landwirts fest. Dabei bewerten die Sachverständigen eine bestimmte Anzahl an Pflanzen auf Beschädigungen und Verluste (Knickungen, Brüche, Ährenverluste, Kolbenverluste, Lieschblattdurchschläge) und ermitteln hierüber den Schädigungsgrad.
Zur Unterstützung der Sachverständigen in der praktischen Schadenregulierung auf dem Feld werden bei Bedarf auch Aufnahmen aus der Luft eingesetzt. Hierzu werden unbemannte Luftfahrzeuge (Unmanned Aerial Systems – UAS) – umgangssprachlich als Drohnen bezeichnet – eingesetzt. Speziell geschulte Drohnenpiloten führen die Befliegung durch. Der Einsatz von Satellitenbildern zur Unterstützung in der Schadenermittlung oder für weitere Anwendungen wird auch im Rahmen von internationalen Projekten auf Praxistauglichkeit und Einsatzgebiete getestet. Die Eingabe und Berechnung der Schadenquote erfolgt mittels moderner Technologien (z. B. Tablet-basiert).
Die Berechnung des Schadens erfolgt in Prozent von der festgelegten Versicherungssumme. Je nach Kultur, Schadbild und Zeitpunkt des Schadens werden die Felder einmal oder auch mehrmals begutachtet. Zur mehrmaligen Begutachtung kommt es, wenn der Ertragsverlust nicht sofort bewertbar ist und die Verlustentwicklung besser beurteilt werden muss. Nach Feststellung der endgültigen Sachverständigenquote erhält der Versicherte den entsprechenden Anteil seines festgelegten Hektarwertes ausgezahlt. Durch die eingesetzte mobile digitale Schadenregulierung erfolgt die Auszahlung schnell und unkompliziert. Bei einer festgestellten Schadenquote unter 8 Prozent trägt der Versicherungsnehmer dies grundsätzlich selbst. Ist der Schaden aber höher als diese so genannte Integralfranchise bekommt er den gesamten Schaden ausgezahlt, die Selbstbeteiligung fällt dann weg. Voraussetzung hierfür ist, dass keine weiteren Selbstbeteiligungen oder Eigenanteile vereinbart wurden.
Muss der Landwirt eine Wetterstation betreiben?
Eine eigene Wetterstation muss der Landwirt nicht betreiben. Die Versicherungen verfügen über geeignete Informationen, ob in der jeweiligen Region ein Wetterereignis aufgetreten ist, das zu Schäden hat führen können. Außerdem sind die Sachverständigen intensiv geschult, Ursachen und Auswirkungen der Schäden zu erkennen und einzuordnen. Daher wird in den Versicherungsbedingungen zumeist auf die Definition des Wetterereignisses (siehe oben) oder ein entsprechendes Schadbild verwiesen.
Grundsätzlich schadet es nie, am Tag des Schadens das Wetterereignis und die Folgen mit Fotos zu dokumentieren. Teilweise finden sich in den Versicherungsbedingungen auch Hinweise darauf, wie bspw. lokale Unwetterereignisse nachgewiesen werden müssen.
1.5 Überblick über die staatliche Finanzierung von Mehrgefahrenversicherungen
Mehr als drei Viertel aller EU-Mitgliedstaaten unterstützen ihre Landwirtschaft durch eine Präventionszulage für ein aktives Risikomanagement gegen Wetterextreme. Zum einen werden europäische Finanzmittel im Rahmen der ersten und zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) genutzt, zum anderen stehen aus den nationalen Haushalten Mittel bereit.
Bund und Länder in Deutschland unterstützen die Landwirte dagegen aktuell noch nicht umfassend beim Risikoschutz. Stattdessen werden die verfügbaren Finanzmittel primär für Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen sowie für sogenannte LEADER-3-Projekte verwendet (Entwicklung des ländlichen Raums). Die Bundesländer setzen im Rahmen ihrer ländlichen Entwicklungsprogramme jeweils eigene Prioritäten, in denen der Risikoschutz für Landwirte derzeit keine Rolle spielt. Die Landwirte müssen ihre Risikovorsorge vollständig selbst finanzieren.
Auch beim Thema Versicherungsteuer gibt es europaweite Unterschiede. Für die Risiken Hagel, Sturm, Starkregen und Starkfrost gilt hierzulande ein ermäßigter Versicherungssteuersatz in Höhe von 0,3 Promille der Versicherungssumme. Für das Risiko Dürre (Trockenheit) fällt hingegen 19 Prozent Versicherungssteuer auf den Versicherungsbeitrag an. Ähnliches gilt für die Tierversicherung, die ebenfalls mit 19 Prozent besteuert wird. In vielen europäischen Ländern wird für die Ernteversicherung im Gegensatz hierzu gar keine Steuer erhoben.
2. Tierversicherung
2.1 Rechtliche Grundlagen
Die nachhaltige Gesunderhaltung von Viehbeständen dient aus Sicht des Tierhalters primär dem eigenen Bestandsschutz sowie der Leistungszucht, aus Sicht des Staates darüber hinaus auch der planvollen Entwicklung des internationalen Tierverkehrs. Sowohl präventive Tierseuchen-Schutzmaßnahmen als auch die Tierseuchenbekämpfung per se tragen essentiell zu dieser Gesunderhaltung bei und sind seit dem 01.?05.?2014 im Rahmen des Tiergesundheitsgesetzes geregelt.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ist laut Tiergesundheitsgesetz ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates anzeigepflichtige Tierseuchen zu benennen. Im „Tierseuchenkatalog“ sind alle Tierseuchen beschrieben, die aktuell einer amtlichen Anzeige bedürfen und zu deren Bekämpfung im Falle eines Seuchenausbruchs amtliche Anordnungen obligatorisch werden.
2.2 Risikopotenzial durch Tierseuchen
Tierseuchen stellen im Bereich der Tierproduktion ein zentrales und für den Betriebsleiter schwer kalkulierbares Risiko dar, da eine Betroffenheit des eigenen oder eines Nachbarbetriebs nie ausgeschlossen werden kann und die im Seuchenfall obligatorischen Maßnahmen die Liquidität des Betriebs stark beeinflussen können.
Ist ein tierhaltender Betrieb direkt von einer Tierseuche betroffen, d.?h. die Seuche bricht auf dem Betrieb selbst aus, so resultiert der finanzielle Schaden vorrangig aus längerfristigen Einnahmeverlusten und erhöhten Kostenpositionen, wie bspw. Kosten für die schadenfreie Entsorgung von Tierkadavern, von tierischen Produkten, Gülle und des Mists sowie zusätzlichen Reinigungs- und Desinfektionskosten. Für den finanziellen Schaden infolge der auf amtliche Anordnung hin gekeulten Tiere kommt die Tierseuchenkasse auf (vgl. Punkt 2.4).
Bei Lage eines tierhaltenden Betriebs in einem Sperrgebiet ist der finanzielle Schaden für den Landwirt meist noch größer, denn der Gesamtschaden erreicht durch einerseits fehlende Einnahmen und andererseits fast gleichbleibende Ausgaben schnell existenzbedrohende Größenordnungen. Innerhalb des Sperrbezirks werden auf amtliche Anordnung hin Personen- und Fahrzeugverkehr zum Schutz gegen eine besondere Gefahr der Tierseuche und für deren Dauer verboten oder beschränkt. Wesentlich höhere Verluste entstehen außerdem dadurch, dass weder Tiere, z.B. Schlachttiere, noch tierische Produkte, wie die produzierte Milch, die Betriebe verlassen dürfen, Schlachttiere in ihren Stallungen verbleiben und weiterhin Futter- und Tierarztkosten verursachen. Die damit steigende Besatzdichte erhöht den Infektionsdruck zusätzlich. Entschädigungsleistungen durch die Tierseuchenkasse erfolgen nicht.
Die Wahrscheinlichkeit einer indirekten Betroffenheit durch eine Tierseuche durch Lage im Sperr- oder Beobachtungsgebiet übersteigt die eines Seuchenausbruchs im eigenen Betrieb um das Vielfache. Gerade in viehdichten Regionen ist das Risiko durch den Seuchenausbruch in einem Nachbarbetrieb in Mitleidenschaft gezogen zu werden sehr hoch.
2.3 Aktuelles Seuchengeschehen
Im Moment spielen folgende Tierseuchen in der öffentlichen Diskussion eine größere Rolle:
Das Virus der Afrikanischen Schweinepest (ASP) kann sowohl Haus- als auch Wildschweine betreffen und wird ursprünglich durch Lederzecken übertragen, die allerdings in hiesigen Gebieten keine Rolle spielen. Hier erfolgt die Übertragung durch direkten Kontakt infizierter Tiere oder durch die Aufnahme kontaminierter Speiseabfälle oder Schweinefleischerzeugnisse. Die ASP rückt aktuell vermehrt in den Fokus deutscher Landwirte, da das Virus aus Osteuropa kontinuierlich näher an die deutsche Staatsgrenze heranrückt. Eine Einschleppung nach Deutschland durch infizierte Schwarzwildbestände oder infizierte Lebensmittel kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden.
Speziell geflügelhaltende Betriebe sind von der derzeit jährlich wiederkehrenden Aviären Influenza (Vogelgrippe) betroffen. Die bislang schwerste Vogelgrippewelle erreichte Deutschland im Winter 2016/2017. Neben dem bekannten H5N7-Virus wurde hier erstmals der besonders aggressive Virus-Subtyp H5N5 nachgewiesen. Monatelang anhaltende nahezu bundesweite Stallpflicht und hunderttausende verendete oder getötete Tiere waren die Folge.
Nach einem Seuchenzug in den Jahren 2006-2009 gilt Deutschland seit 2011 als frei von der Blauzungenkrankheit. Das Virus wird nicht von Tier zu Tier, sondern über eine Stechmücke übertragen und breitet sich aber seit 2014 von Griechenland über den Balkan Richtung Nordwesten aus. In Österreich wurden 2015 und 2016 Neuausbrüche festgestellt.
2.4 Absicherung durch die Tierseuchenkasse
Die Tierseuchenkassen sind in Deutschland Anstalten des öffentlichen Rechts zur Bekämpfung von Tierseuchen und leisten Entschädigung für Tierverluste nach den Vorschriften des Tiergesundheitsgesetzes. Hierfür werden jährliche Beiträge von den Tierhaltern erhoben. Auf freiwilliger Basis kann sich die Tierseuchenkasse an Kosten, die durch Tierseuchen entstehen, oder an Vorbeugungs- und Bekämpfungsmaßnahmen gegen Tierseuchen beteiligen.
Die Tierseuchenkasse erstattet bei „direkter Betroffenheit“, d.?h. einer Keulung auf amtliche Anordnung, den gemeinen Tierwert der getöteten Tiere. Einkommensausfälle und Folgekosten der Landwirte sind nicht Bestandteil der Entschädigungsleistung.
Im Falle der indirekten Betroffenheit (siehe oben) leistet die Tierseuchenkasse keine Entschädigung an den betroffenen Landwirt.
2.5 Absicherung durch die Ertragsschadenversicherung
„Der Betriebsleiter erkennt Gefahren und steuert Risiken zielführend.“, so lautet der Kerngedanke des Risikomanagements. Die Landwirtschaft zählt zu den Einzelwirtschaften, das bedeutet: Was der Betrieb abwirft, kommt dem Unternehmer und seiner Familie zu Gute. Unter „zielführend“ ist in diesem Kontext also zu verstehen, auch in schwierigen Situationen Liquidität zu gewährleisten und gleichmäßige Einkommensströme zu sichern.
Neben diversen Personen- und Sachschäden kann insbesondere die Unterbrechung der Produktion, z.?B. verursacht durch Betroffenheit durch Tierseuchen oder übertragbare Tierkrankheiten, immense Liquiditätsengpässe verursachen. Denn wenn Erlöse ausbleiben, während Kosten gleich hoch bleiben oder gar steigen, entstehen finanzielle Einbußen, die schlimmstenfalls innerbetrieblich nicht mehr aufgefangen werden können. Gerade für diesen Fall ist eine Überwälzung des Risikos auf Dritte, z.?B. ein Versicherungsunternehmen, sinnvoll. Bei der Entscheidung, ob ein Risiko transferiert oder innerbetrieblich getragen werden soll, gilt es zu beachten, dass auch mehrere Schadenereignisse zeitnah aufeinander folgen können. Vermeintlich kleine Verluste können sich im Worst-Case zu existenzbedrohenden Einbußen summieren.
Ertragsschadenversicherungen stellen eine Sonderform der Betriebsunterbrechungsversicherung dar und sichern den Betrieb gegen finanzielle Schäden aufgrund einer Keulung oder Sperre des Betriebs infolge anzeigepflichtiger Tierseuchen ab. Die Deckung kann wahlweise um weitere Gefahren, wie übertragbare Tierkrankheiten, Unfall im Tierbestand, Diebstahl oder Schadstoffkontamination ergänzt werden.
Achten Sie bei der Wahl des Versicherungsunternehmens darauf, dass sowohl die direkte als auch die indirekte Betroffenheit von Betrieben im Versicherungsschutz inbegriffen sind!
Im Schadenfall muss dem landwirtschaftlichen Betriebsleiter die gewohnte Liquidität gewährleistet werden. Der Betrieb muss so gestellt werden, als sei kein Schaden eingetreten. Achten Sie deshalb darauf, dass Ihre finanziellen Verluste anhand einer vergleichenden Deckungsbeitragsrechnung individuell berechnet werden. Hierbei werden Erlöse und Kosten der letzten Wirtschaftsjahre mit den Erlösen und Kosten im Schadenzeitraum gegenübergestellt. Entschädigt wird der entstandene Deckungsbeitragsverlust abzüglich des vereinbarten Selbstbehalts. Nur bei einer vergleichenden Deckungsbeitragsrechnung können Sie im Schadenfall sicher sein, dass finanzielle Verluste vollständig kompensiert werden. Entschädigungskonzepte, die eine Entschädigungspauschale pro Tier vorsehen, decken bei Großschäden oftmals nicht den gesamten finanziellen Verlust ab.
Achten Sie auf die vereinbarte Haftzeit, denn nur innerhalb der Haftzeit wird ein Schaden vom Versicherer angerechnet. Die Haftzeit umfasst im Idealfall den gesamten Zeitraum zwischen Eintritt des Schadenereignisses bis hin zur erstmöglichen Wiederaufnahme des Betriebes mit ungestörter Erlössituation und sollte mindestens 12, bei bestimmten Produktionszweigen auch 18 oder mehr Monate betragen.
Was kostet die Absicherung? Beiträge sind abhängig von dem gewünschten Versicherungsschutz und der errechneten Versicherungssumme. Diese ergibt sich betriebsindividuell aus den Leistungsdaten des zu versichernden Betriebs. Unterversicherung gilt es zu vermeiden. Denn nichts ist ärgerlicher, als im Schadenfall nur eine Teilentschädigung zu erhalten. Die Leistungsdaten zur Ermittlung der Versicherungssumme müssen wahrheitsgemäß angegeben werden. Änderungen, wie beispielweise die Aufstockung des Tierbestandes oder eine Leistungssteigerung, müssen zeitnah an das Versicherungsunternehmen gemeldet werden.
Beispielszenario einer KSP-Keulung bedingt durch Klassische Schweinepest (KSP)
Ein Schweinemäster mästet auf 1.600 Plätzen jährlich etwa 4.480 Tiere. Die täglichen Zunahmen der Schweine liegen bei durchschnittlich 800g, die Tierverluste unter 3%. Der Betrieb kauft seine Ferkel von einem festen Zulieferbetrieb. Dieser Zulieferbetrieb wird KSP-verdächtig.
Schaden
Schadentag 1 | Aufgrund des Zukaufs der KSP-verdächtigen Ferkel kommt es zu einer Tötungsanordnung auf dem Betrieb. Der gesamte Tierbestand auf dem Betrieb wird gekeult. |
Schadentag 7 | Trotz negativem Ergebnis werden von Amts wegen ausführliche Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen angeordnet. |
Schadentag 45 | Die Betriebssperre wird aufgehoben und die Wiedereinstallung genehmigt. |
Schadentag 54 | Zur geplanten Wiedereinstallung kommt es nicht, denn der Betrieb fällt erneut in ein Sperrgebiet. |
Schadentag 96 | Die zweite Betriebssperre wird aufgehoben und die Wiedereinstallung genehmigt. |
Schadentag 108 | Innerhalb von 4 Monaten wird in 5 Gruppen neu eingestallt. |
Schadentag 223 | 223 Tage nach Zustellung der Tötungsanordnung können die ersten Mastschweine wieder verkauft werden. |
Gemäß Schadenstatistik der Vereinigten Tierversicherung Ges. a.?G. beläuft sich der Gesamtschaden für den beschriebenen Betrieb auf bis zu 128.000 EUR.
3. Leitfragen Mehrgefahrenversicherung:
Gespräche zum Versicherungsabschluss systematisch führen
Mehrgefahrenversicherungen in der Pflanzenproduktion
- Welche Kulturen will ich versichern?
Es muss immer die komplette Kulturgrupe versichert werden, nicht einzelne Schläge. - Welche Gefahren sollen abgesichert werden?
Risikolage in der Region beachten. - Wie hoch soll die Versicherungssumme sein?
Preise und Erntemengen abschätzen, ggf. Zuschlag für Zukauf einkalkulieren. - Wie hoch ist die Prämie?
Überlegen, ob Selbstbehalte, Maximalentschädigungen oder Zuschläge sinnvoll sind. Aber Vorsicht: bei manchen Versicherungen gibt es auch verpflichtende Selbstbehalte; beim Prämienvergleich unbedingt darauf achten. - Sind betriebsindividuelle Besonderheiten zu beachten?
überlegen, ob Sortierkosten oder Vermarktungskosten zusätzlich abzusichern sind. - Jährlich an die rechtzeitige Abgabe des aktuellen Anbauverzeichnisses denken
- Im Schadenfall innerhalb von vier Tagen melden! Idealerweise direkt online oder auch über den ortsansässigen Vermittler.
Ertragsschadenversicherung in der Tierhaltung
- Ist die direkte und indirekte Betroffenheit des Betriebes im Fall von Tierseuchen im Versicherungsschutz inbegriffen?
- Sind die zu versichernden finanziellen Schäden anhand einer Deckungsbeitragsrechnung betriebsindividuell berechnet worden? Ziel ist, finanzielle Verluste vollständig zu kompensieren.
- Ist die vereinbarte Haftzeit passend? Im Idealfall umfasst die Haftzeit den Zeitraum zwischen eintreten des Schadenereignisses bis zur erstmöglichen Wiederaufnahme des Betriebes.
- Ist die Versicherungssumme korrekt berechnet worden? Die Versicherungssumme ist betriebsindividuell aus den Leistungsdaten des Betriebes abzuleiten.
- Sind Änderungen im Tierbestand, bspw. Aufstockungen, zeitnah an das Versicherungsunternehmen gemeldet worden?
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