Vollkommen neue Konzepte gefragt!
Carolin Schuon zur Gefahr durch Tierseuchen
Angesichts der globalen Corona-Pandemie rückt die Gefahr durch Viren in das Bewusstsein: bedrohlich und tödlich. In der Humanmedizin und Gesundheitspolitik dreht sich derzeit alles darum, was präventiv möglich ist und wie Impfungen die Erkrankungswelle stoppen können. Es lohnt der Blick zu Parallelen in der Tierseuchenbekämpfung: Viren verursachen die Afrikanische Schweinepest (ASP) und aviäre Influenza (AI), besser bekannt unter dem Begriff „Geflügelpest“. Für die Tiermedizin zeigt sich immer deutlicher, dass bisherige Konzepte überdacht und an die Praxis angepasst werden müssen.
Die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) gibt die Verluste der Geflügelpest seit dem Ausbruch im Oktober 2020 mit 7.887.988 Tieren (nur Hausgeflügel) an. Die Tierverluste seit dem globalen Anstieg der ASP-Ausbrüche im Jahr 2016 beziffert die OIE mit 8.211.940 Hausschweinen. Asien hat dabei mit 82 Prozent der Tiere die höchsten Verlustraten zu verzeichnen, während die meisten Ausbrüche (67 Prozent) Europa betreffen. In Deutschland ist es den Schweinehaltern aufgrund strenger Hygienekonzepte und konsequenter Einhaltung der Biosicherheitsmaßnahmen bisher gelungen, die ASP auf die Wildschweinpopulation zu begrenzen.
Angesichts dieser Zahlen stellt sich im Hinblick auf Tierschutz und Tierwohl die Frage, ob die aktuellen Bekämpfungsmaßnahmen noch zeitgemäß sind. Warum ist es möglich, binnen eines Jahres einen Impfstoff gegen das Corona-Virus zu entwickeln, aber wieso gibt es nach Jahren mit ASP und AI immer noch keinen Impfstoff?
Dazu muss man unterschiedliche Punkte betrachten. Die durchschnittliche Dauer einer Impfstoffentwicklung beträgt etwa acht Jahre und ist somit zeit-, vor allem aber kostenintensiv. Die Entwicklung der aktuellen Corona-Impfstoffe profitiert vom Wissen über Corona-Viren aus der SARS-Pandemie im Jahr 2002/2003 und dem MERS-Syndrom, das seit 2012 vorwiegend auf der arabischen Halbinsel auftritt. Bereits zu Anfang der aktuellen Corona-Pandemie haben zahlreiche Forschergruppen weltweit begonnen, das Virus zu untersuchen und konnten auf umfangreiche finanzielle Ressourcen zugreifen.
Was ASP und AI betrifft, sieht es deutlich anders aus. Nur wenige Forschungsgruppen weltweit arbeiten mit diesen Erregern und haben deutlich begrenztere finanzielle Mittel zur Verfügung.
Geflügelpest ist wie die ASP hochansteckend, beide Erreger lösen schwere allgemeine Krankheitsanzeichen bei Nutztieren aus. Hinzu kommt vor allem: Aviäre Influenzaviren sind auf Menschen übertragbar und lösen grippeähnliche Symptome bis hin zu tödlich verlaufenden Erkrankungen aus.
Impfungen gegen Influenza bieten aufgrund der hohen Variabilität der Viren häufig einen unzureichenden Schutz. Das kennen wir alle aus der Humanmedizin. Jedes Jahr ist ein neuer, auf die aktuellen Virussubtypen angepasster Impfstoff notwendig. Die momentan verfügbaren Geflügelpest-Impfstoffe bestehen größtenteils aus klassischen Totimpfstoffen. Diese sind durch die Notwendigkeit der individuellen Verabreichung (Injektion) in der Praxis nachteilig, und eine Unterscheidung von geimpften und Feldvirus-infizierten Tieren ist nicht oder nur schwer möglich. Es gibt allerdings bereits weitere Impfstoffansätze, sogenannte Markerimpfstoffe, die die Unterscheidung von geimpften und Virus-infizierten Tieren mittels einfacher diagnostischer Verfahren ermöglichen.
Afrikanische Schweinepest und die Geflügelpest sind anzeigepflichtig. Prophylaktisch zu impfen, ist in der EU verboten. Bekämpfungsmaßnahmen regelt national die Schweine- und Geflügelpestverordnung. Impfungen sind derzeit nur im Rahmen von Notimpfkonzepten möglich. Das hat berechtigte Gründe. Kommt ein Erreger endemisch in einer Population vor, sprich der Erreger zirkuliert dauerhaft in der Population, ist eine flächendeckende und kontinuierlich durchgeführte vorbeugende Impfung sinnvoll und zielführend. Kommt es durch einen Erreger jedoch nur unregelmäßig zu lokal begrenzten Ausbrüchen, wie bei AI oder ASP, ist eine solche Impfung weder wirtschaftlich noch seuchenhygienisch sinnvoll. Nach erfolgter Impfung dauert es in der Regel zwei bis drei Wochen, bis ein Impfschutz aufgebaut ist. Das ist eine viel zu lange Zeitspanne, um einen Impfstoff in einem akuten Ausbruch mit einem hochansteckenden Erreger zielführend einzusetzen.
Mit der Impfung besteht die Gefahr, dass ein Krankheitsgeschehen verschleiert wird, da ohne einen sogenannten Markerimpfstoff nicht verlässlich zwischen infizierten und geimpften Tieren unterschieden werden kann. Es besteht die Möglichkeit, dass Tiere nach der Infektion keine Krankheitssymptome zeigen, sie aber trotzdem nicht zuverlässig vor einer Infektion geschützt sind. Sie könnten den Erreger weiterhin unbemerkt ausscheiden: Das Infektionsgeschehen breitet sich unbemerkt unter der Impfdecke aus und führt zu immer wieder auftretenden Krankheitsausbrüchen.
Impfstoffe sind also kein Allheilmittel in der Tierhaltung! Oberstes Gebot bleiben die strengste Einhaltung von Biosicherheitsmaßnahmen und konsequent umgesetzte Hygienekonzepte. Markerimpfstoffe können jedoch durchaus ein Baustein zur Bekämpfung von AI und ASP sein, um die hohen Tierverluste zu reduzieren. Neben den hervorragenden diagnostischen Tests, die ein sogenanntes 'Freitesten' von Tieren oder Produkten ermöglichen, könnten Markerimpfstoffe zu weiteren Vermarktungsmöglichkeiten beitragen. Dies funktioniert aber nur, wenn alle Beteiligten - Tierärzteschaft, staatliche Tierseuchenbekämpfung, Landwirte, Industrie und Handel - offen für neue Konzepte sind und gemeinsam an Lösungen arbeiten.