Ein Leben mit VW und ohne Currywurst ? !
Philipp Schulze Esking zu den Aussichten für den Schweine-Sektor
„Sollte ich als Schweinehalter jetzt meinen VW verkaufen?“ hört man dieser Tage den ein oder anderen ratlosen Schweinehalter fragen. Die schier überwältigende Fülle an Hiobsbotschaften lässt so manchen über bisher undenkbare Reaktionen grübeln. Nun hilft vorab häufig eine nüchterne Analyse der eigenen Situation und des allgemeinen Umfeldes, um daraus dann die richtigen Schlüsse ziehen zu können:
Wir Schweinehalter kennen das Auf und Ab des Marktes seit Jahrzehnten. Aber selten war die momentane Situation und die mittelfristige Perspektive so düster wie aktuell. Über ein Jahr Corona liegt hinter uns: durch das Herunterfahren des öffentlichen Lebens ist auch der Konsum an tierischen Lebensmitteln drastisch gesunken. Gleichzeitig hat die Pandemie der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wertschöpfungskette einen herben Dämpfer versetzt - insbesondere durch die erhöhten Kosten im Bereich des Arbeitsschutzes in Schlachtung und Zerlegung, verbunden mit der Abschaffung der unpopulären Werksverträge. Klar ist, dass in wettbewerbsintensiven Wertschöpfungsketten die letzten Glieder der Kette diesen Margenverlust zu tragen haben. Gleiches gilt für den Wegfall der lukrativen Drittlandsmärkte nach dem ersten ASP-Fall in Deutschland. Das, was den Schlachtern hierdurch an Erlös weggebrochen ist, kann auch nicht an uns Schweinehalter weitergegeben werden.
Andere Länder, insbesondere Spanien, konnten ihre Produktion und ihre Margen dagegen deutlich ausbauen und nutzen diese in der aktuellen Exportschwächephase auch noch, um Marktanteile im europäischen Ausland, insbesondere bei uns, zu gewinnen. Folglich schreiben deutsche Schweinehalter aktuell tiefrote Zahlen. Die hiesigen Läger sind trotz niedrigem Lebendangebot voll und anderes als in anderen Jahren überlagert der rückläufige Verzehrstrend sogar die Rückkehr der hungrigen Sommerurlauber, so dass auch von dieser Seite kein Nachfrageimpuls zu erwarten ist.
Der Absatz von ITW- Schweinen scheint ebenfalls zu stottern. Der eine oder andere Schweinehalter soll sogar auf seinen zugesagten Zuschlägen sitzen geblieben sein. Gleichzeitig verkündigt aber schon mal der erste Handelsriese, in Zukunft nur noch Fleisch der Stufen 3 und 4 verkaufen zu wollen, allerdings nur für das Segment Frischfleisch und ohne sich dazu auszulassen, wo das Fleisch denn erzeugt werden soll und wie das Ganze finanziert wird.
Auch auf politischer Ebene scheint die Sache nüchtern betrachtet eindeutig: Die Anpassung an die neue Nutztierhaltungsverordnung wird nur noch von wenigen Sauenhaltern geschultert werden können. Über die Hälfte hatte schon zuvor in einer Umfrage der ISN angegeben, in den nächsten 10 Jahren den Betrieb aufgrund der Fülle der Auflagen einzustellen. Für Schweinehaltungen, die schon heute eine gewisse wettbewerbsfähige Größe haben, wird zudem die jüngst verabschiedete TA-Luft dafür sorgen, dass die Abluft zukünftige kostenintensiv gefiltert wird.
Wie dieses vermeintliche Umweltziel mit dem gesellschaftlich geforderten Außenklimareiz beziehungsweise Auslauf in Einklang gebracht werden kann, ist bisher völlig unklar. Genauso unklar ist aber auch, wie der Wunsch nach offenen Ställen vor dem Hintergrund der steigenden Gefahr des Eintrages von Seuchen in die Hausschweinebestände (ASP etc.) gewichtet werden muss.
Mit unabgestimmten Stückwerk lässt sich keine Zukunft gestalten. Hierzu bedarf es einer ganzheitlichen Strategie, die die Borchert-Kommission geliefert hat, aber trotz aller politischer Beteuerungen in einem Wahljahr keine Chance mehr auf Umsetzung hatte. Wir Schweinehalter fragen uns: Sind wir Zeuge politischen Unvermögens in der Bearbeitung komplexer Systeme oder manifestiert sich gerade unausgesprochener politischer Konsens: die Bestände müssen runter!?
Spätestens seit 2017 gehen die Bestände und die Anzahl der Betriebe zurück und dieser Trend beschleunigt sich aktuell extrem. Auf die entsprechenden Folgen muss sich die gesamte WSK einstellen! Also nicht nur die Schlachtung und Zerlegung, sondern auch der gesamte vorgelagerte Bereich, mit Futtermühlen, Industrie und Handwerk als Zulieferer im ländlichen Raum.
Klar dürfte zudem sein, dass wir uns in der Anfangsphase eines starken Integrationsprozesses befinden. Nicht nur die großen Schlachter bemühen sich aktuell im Rahmen der 3. Phase der Initiative Tierwohl um „Rohstoffsicherung“, indem sie versuchen, insbesondere die Betriebe vertraglich zu binden, denen man ein Überdauern des Schrumpfungsprozesses zutraut. Auch der LEH mischt kräftig mit, initiiert Projekte mit einzelnen Schweinehaltern und soll sogar schon Stallbaufinanzierungen angeboten haben.
Was folgt aus dieser Bestandsaufnahme für uns Schweinehalter?
Die Chancen auf Direktvermarktung im weitesten Sinne durch das Anbieten von „Spezialitäten“ werden deutlich zunehmen. Allerdings wird dies nur einem kleinen Teil der Betriebe eine Zukunftsperspektive bieten. Für das Gros der Betriebe, die sich schon heute jenseits der „Direktvermarktungsschwelle“ befinden, wird es darum gehen, ein stärkeres „Kettenbewusstsein“ zu entwickeln. Der Blick in den Geflügelsektor zeigt, dass dies nicht zum Nachteil der Betriebe hinsichtlich Prozess- und Ergebnissteuerung gereichen muss.
Sicher ist, dass wir uns, wie im Energiesektor auch, auf einen deutschen Sonderweg hinbewegen. Von daher ist die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg der ganzen WSK Schwein, dass es ein verlässliches Bekenntnis aller Kettenglieder zur deutschen Herkunft gibt und dass es uns gelingt, möglichst große Teile des Schweines auf unserem heimischen Markt in Wert zu setzen. Das Ventil Exportmärkte wird uns noch auf lange Sicht fehlen.
Diese Abkoppelung vom globalen Mainstream der Kostenführerschaft wird aber nur mit unseren Marktpartner im offenen Markt nicht funktionieren. Wir brauchen zudem einen verlässlichen Rahmen der Politik. Deshalb müssen wir als Schweinehalter mit allem Nachdruck darauf pochen, dass nach der Bundestagswahl der Weg für das Borchert-Konzept endlich frei gemacht wird und die rechtlichen Vorgaben für den Umbau der Schweinehaltung und deren Finanzierung geklärt wird.
Gleichzeitig müssen wir den Betrieben, die sich diesem Veränderungsprozess nicht mehr stellen wollen oder können, ein Ausstiegsangebot machen, damit diese Betriebe nicht langsam ausbluten, sondern sich mit finanziellem Rückenwind neuen Bereichen widmen können und anderen Betrieben „Luft“ verschaffen.
VW mag man verurteilen wollen für das wohlfeile Verbannen der Currywurst auf dem Weg in die Elektromobilität. Aber anstatt sich gegen eine klar abzeichnende, wahrscheinlich unaufhaltsame Entwicklung zu stemmen, sollten wir unsere unternehmerische Kraft in die Neukonzeptionierung unserer Betriebe stecken. Und neue Konzepte können mit und ohne Schweine erfolgreich sein!