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Borchert auf Haus Düsse: „Der Ball liegt bei der Politik“

Die Produktionsbedingungen für Tierhalter sind so schwierig wie kaum jemals zuvor in unserem Land. Der Fleischkonsum geht zurück, die Coronakrise hat das Überangebot an Schlachttieren vor allem bei Schweinen dramatisch anwachsen lassen, die ASP verhindert Schweinefleischexporte nach China, der Vogelzug kündigt eine neue Welle der Geflügelpest an, parallel dazu verfolgt der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) eigene hochgesteckte Ziele - die Reihe der Herausforderungen lässt sich problemlos weiter fortsetzen.

Lösungsvorschläge der Borchert- als auch der Zukunftskommission zum Umbau der Tierhaltung liegen zwar auf dem Tisch, aber nach der Bundestagswahl muss jetzt erst sondiert werden. Und der Branche fehlt weiterhin der Kompass für eine Ausrichtung auf mehr Tierwohl und die Zukunftsfähigkeit der Betriebe.

Wie kann und wie soll der Stall der Zukunft aussehen? Was erwartet die Gesellschaft? Welche Konzepte sind umsetzbar und welche Rahmenbedingungen werden benötigt? Diese Fragen diskutierte eine hochkarätig besetzte Expertenrunde anlässlich der Vorstellung der Gesamtbetrieblichen Haltungskonzepte Schwein, Geflügel und Rind dieser Tage auf Haus Düsse.

Moderiert durch Dr. Ludger Schulze Pals, Geschäftsführer beim Landwirtschaftsverlag Münster, äußerten sich Minister a. D. Jochen Borchert (Leiter des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung), Karsten Schmal (Vizepräsident des DBV), Friedrich Otto Ripke (Präsident ZDG), Philipp Schulze Esking (Vizepräsident ISN und DLG) sowie Hansjörg Schrade (Leiter LSZ Boxberg) und Frank Lenz (BZL) zur aktuellen Situation der Nutztierhalter und setzten sich mit den notwendigen Schritten auseinander, die für Planungssicherheit und damit für den Weg aus der Krise erforderlich sind.

Innovationskraft der Branche ist vorhanden

Positiv festgestellt wurde vorneweg: Die Landwirte sind großenteils bereit für Veränderungen und würden auch neue Wege gehen. Besonders junge und angehende Landwirte seien aufgeschlossen und würden gerne mehr ausprobieren. Sie zeigten großes Interesse an Tierwohl- und Außenklimaställen im Rahmen der Aus- und Fortbildung, so Schrade.

Die vorgestellten Entwürfe für Gesamtbetriebliche Haltungskonzepte bei Schwein1, Geflügel2 und Rind verdeutlichen, dass ein Mehr an Tierwohl durchaus auch ökologisch und – bis zu einem gewissen Grad – auch ökonomisch verträglich möglich ist. Nun müssten sie aber auch in der Praxis gebaut werden können.

Dass es aber trotz vieler guter Ansätze nicht voran geht, zeigen beispielsweise die bisher nur gut 30 Anträge für eine Umbauförderung in der Sauenhaltung. Für Borchert liegt der Ball eindeutig bei der Politik. Diese müsse dringend Entscheidungen treffen und damit Planungssicherheit schaffen: Wie soll die Nutztierhaltung in 20 Jahren aussehen und wie soll der Umbau finanziert werden? Die derzeitige Planungsunsicherheit verhindere Investitionen in mehr Tierwohl.

Große Hürden stellen vor allem das geltende Bau- und Umweltrecht dar, die der Ausrichtung der Tierhaltung auf mehr Tierwohl massiv entgegenwirken. Leider ist laut Borchert die Bereitschaft der Umweltpolitik für Gesetzesänderungen bzw. mehr Kompromisse eher gering. Trotzdem mahnt er an darauf zu achten, bei der Ausrichtung der zukünftigen Haltungssysteme auf mehr Tierwohl die Nachhaltigkeit nicht aus den Augen zu verlieren.

Die Tierhaltung der Zukunft wird teurer

Mehr Tierwohl hat seinen Preis. Mehr Platz pro Tier, eine tierwohlorientierte Stallstrukturierung und die Berücksichtigung von Umweltbelangen schlagen sich in hohen Tierplatzkosten nieder. Das zeigten auch die Berechnungen für die Gesamtbetrieblichen Haltungskonzepte deutlich auf. Allen Diskutanten schien klar: Die Verbraucher werden die finanzielle Lücke nicht schließen. Das haben Studien, wie zum Beispiel SocialLab, gezeigt. Wie also den Umbau der Tierhaltung finanzieren?

Die Runde war sich einig: Hier ist der Staat gefragt. Für den Überbrückungszeitraum, in dem die gesellschaftlichen Ansprüche der Konsumnachfrage vorauseilen, müsse der Staat finanziell unterstützen, so Schulze Esking. Ansonsten sei eine Verlagerung der Produktion an Standorte mit niedrigeren (Tierwohl-)Standards absehbar, wenn nicht auf das 5xD-Konzept (in Deutschland geboren, aufgezogen, gemästet, geschlachtet und verarbeitet) gesetzt wird.

Doch was wäre das richtige Instrument für die Finanzierung? Laut Schmal gibt es bei den Lebensmittelpreisen durchaus Luft nach oben, wie es an den Beispielen Frankreich und Belgien zu sehen sei. Ripke schlägt dafür einen gesetzlichen Preisaufschlag auf tierische Produkte vor, der schneller und unbürokratischer umzusetzen sei als eine Mehrwertsteuererhöhung oder die Einführung einer Verbrauchssteuer. Gemeinsam mit Schulze Esking fordert er für die Landwirte einen langfristigen, am besten 20-jährigen Vertrag mit dem Staat, der schließlich Planungssicherheit bieten würde.

Borchert bekräftigt, dass neben der politischen Entscheidung, wie der Stall der Zukunft aussehen soll, ein staatlicher Vertrag über 20 Jahre das Modell mit der größtmöglichen Sicherheit für die Landwirte wäre. Wie das finanziert werden könne, sei Sache des Staates. Dazu müssten aber die Empfehlungen der Borchert-Kommission in den Koalitionsvertrag der neuen Bunderegierung übernommen und schnell aufgegriffen werden. Landwirte und Verbände müssten den Prozess allerdings aktiv unterstützen und die Umsetzung von der Politik einfordern.

Alle müssen an einem Strang ziehen

Dass die Kluft zwischen der Landwirtschaft und den Verbrauchern groß ist, sollte zum Anlass genommen werden, die Kommunikation zu verbessern. Dazu gehört auch, den Verbrauchern klar zu machen, dass Landwirte ihre Tiere nur so halten können, wie es die Zahlungsbereitschaft der Kunden erlaubt. Wenn die Finanzierung zum Umbau der Tierhaltung steht, könne die Branche laut Schulze Esking ein anderes Bild liefern. Die gesellschaftliche Diskussion wird weitergehen, bestätigt Borchert. Sie werde jedoch einfacher und dann auch mit Unterstützung vormals kritischer Stakeholder geführt werden können, wenn die Haltungssysteme umgestellt seien und sich die Ausgangsbasis für die Debatte damit geändert habe.

Dem LEH kommt bei der Motivation der Verbraucher eine wichtige Rolle zu. Derzeit befeuere ALDI mit seinem Vorstoß die Diskussion. Die Entwicklung würde aber gebremst, solange die politischen Rahmenbedingungen nicht geklärt seien, ergänzt Borchert. Für Schulze Esking steht die Notwendigkeit eines klaren Bekenntnisses des LEH zur heimischen Produktion als elementar zu klärenden Punkt im Raum. 5xD werde zwar diskutiert, wenn aber zeitnah kein eindeutiges Zeichen vom LEH käme, sei über kurz oder lang die Rohstoffbasis nicht mehr gesichert, da immer mehr Betriebe aufhören würden.

Man müsse sich in der Wertschöpfungskette neu aufstellen und gemeinsam an einem Strang ziehen, so das Fazit von Moderator Schulze Pals. Ansätze wie der Agrardialog und die neu geschaffene Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft (ZKHL) seien vorhanden. Das gegenseitige Vertrauen sei zwar nicht gewachsen, aber mit etwas mehr gegenseitiger Wertschätzung könne die Basis dafür geschaffen werden.


1  Gesamtbetriebliches Haltungskonzept Schwein - Sauen und Ferkel | Nutztiere | Landwirtschaft | BLE-Medienservice;
Gesamtbetriebliches Haltungskonzept Schwein - Mastschweine | Nutztiere | Landwirtschaft | BLE-Medienservice

2  Gesamtbetriebliches Haltungskonzept Geflügel - Junghennen | Nutztiere | Landwirtschaft | BLE-Medienservice