Pestizidatlas 2022: "Konstruierte Vorwürfe", so der IVA
Statt wie versprochen neue Daten und Fakten zur aktuellen Entwicklung zu präsentieren, fallen die Autoren des sogenannten Pestizidatlas 2022 zurück in Kampagnen-Reflexe und konstruieren aus altbekannten Vorwürfen und teils fragwürdigen Zahlenspielen ein Zerrbild des Pflanzenschutzes in der Landwirtschaft. Auf die Frage, wie man die Zielkonflikte von Ernährungssicherung und Ökologie löst, findet man im Atlas keine Antworten.
„Die Kampagne von Böll-Stiftung, PAN und BUND wirkt aus der Zeit gefallen. Während sich in der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) im vergangenen Jahr Agrar- und Umweltverbände konstruktiv über die Perspektiven unserer Landwirtschaft, einen nachhaltigen Einsatz und Wege zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln ausgetauscht hatten, versucht der sogenannte Pestizidatlas die alten Gräben wieder aufzureißen. Und er tut es mit teils unlauteren Mitteln – das ist schade, denn die Debatte war schon viel weiter, offener und ehrlicher“, kommentierte IVA-Hauptgeschäftsführer Frank Gemmer.
So wird etwa behauptet: „385 Mio. Menschen erkranken jährlich an Pestizidvergiftungen“ (S. 18). Statistisch würde also weltweit etwa jeder 20. Mensch einmal im Jahr erkranken – wie kommt es zu dieser unglaublichen Zahl? Basis dafür ist eine einzige Schätzung, die bezeichnenderweise von PAN-Aktivisten selbst erstellt und von keiner wissenschaftlichen Fachinstitution geprüft wurde.
Die Publikation enthält zahlreiche Unstimmigkeiten, Unsauberkeiten und methodische Mängel. So definieren die Autoren erst gar nicht, was sie unter einer Pestizidvergiftung verstehen, halten bei der Datenermittlung Exposition und Vergiftung nicht sauber auseinander und blähen damit die Gesamtzahl künstlich auf.
Wie wenig die angeblich 385 Mio. Vergiftungsfälle mit der Realität zu tun haben, veranschaulichen Zahlen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) aus einer aktuellen deutschen Pilotstudie: Gerade einmal 1,4 Prozent aller in der Studie ausgewerteten Vergiftungsmeldungen bezogen sich überhaupt auf Kontakte mit Pestiziden, davon wiederum nur 17,5 Prozent auf Pflanzenschutzmittel. Die meisten Verletzungen waren Augenkontakte mit Desinfektionsmitteln, die als Biozide zur Produktgruppe der Pestizide gerechnet werden.
Auch an anderer Stelle verfahren die Autoren nach dem Prinzip „Was nicht passt, wird passend gemacht“. So heißt es zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln: „Seit Jahrzehnten liegt in Deutschland der Verkauf von Pestizidwirkstoffen weitgehend unverändert hoch bei circa 30.000 t“. Auch das stimmt allenfalls zur Hälfte.
In der Tat bewegte sich der gemeldete Absatz an Pflanzenschutzmitteln lange in einem Korridor von 30.000 bis 35.000 t jährlich. Seit 2017 (34.583 t) sind die Absatzmengen allerdings deutlich zurückgegangen auf zuletzt 27.813 t. Auch die zuletzt stark rückläufigen Umsätze der Industrie bestätigen diesen Trend.
Da es sich bei den Wirkstoffen um knapp 300 verschiedene Substanzen handelt, reicht es obendrein nicht aus, allein auf die Mengen zu schauen. Aussagekräftiger noch ist der EU-einheitlich erhobene Harmonisierte Risikoindikator 1 (HRI 1), der die Wirkstoffe nach ihrem Risikopotenzial gewichtet.
Seit 2012 ist dieser Indikator in Deutschland um etwa ein Drittel zurückgegangen, was nach Ansicht des IVA dafür spricht, dass die Reduktionsprogramme in Deutschland bereits auf einem guten Weg sind.