Gesundheit und Wohlergehen von Milchkälbern
Die Jahrestagung der Gesellschaft für Ernährungsphysiologie (GfE) gilt als wichtigste wissenschaftliche Austauschplattform der Tierernährung mit Fokus auf Ernährungsphysiologie und Tiergesundheit der Fachgebiete Agrarwissenschaften und Veterinärmedizin im deutschsprachigen Raum.
Dem Ruf zur Tagung folgten insgesamt 283 Teilnehmer aus Wissenschaft, angewandter Forschung, Beratung, Futtermittelindustrie sowie weiterer angrenzender Disziplinen, womit sowohl das hohe Interesse als auch die enorme Bedeutung des wissenschaftlichen Austausches auch unter den derzeitigen Einschränkungen betont wurde.
Die Basis für die fachliche Diskussion lieferten 113 begutachtete wissenschaftliche Beiträge (aufgeteilt in 66 Kurzvorträge und 45 Poster), die in 16 Sektionen präsentiert und diskutiert wurden. Neben klassischen Themen zu einzelnen Nährstoffen oder Verdauungs- und Absorptionsvorgängen wurden beispielsweise Fragen zur Futterbewertung und Fütterung sowie zu Fütterungskonzepten im Wechselspiel mit der Darmgesundheit und des Intermediärstoffwechsels nachgegangen.
Erstmals wurden in diesem Jahr dezidierte Sektionen für Beiträge zu „Nutrigenomics and Metabolomics“ und „Omics in Animal Physiology“ abgehalten.
Hervorzuheben ist das Übersichtsreferat am zweiten Veranstaltungstag, in dem Prof. Dr. Gerhard Flachowsky (Braunschweig) und Prof. Dr. Joseph Kamphues (Hannover) ausführlich auf Die vergangenen 25 Jahre (1997 – 2021) der Gesellschaft für Ernährungsphysiologie eingingen und dabei die einzelnen Aktivitäten innerhalb der Gesellschaft anschaulich und interpretiert vorstellten. Hierbei wurde sehr deutlich, dass die Tierernährung nicht nur als rein wissenschaftliche, sondern auch als anwendungsorientierte Disziplin im Fokus der Arbeiten der Gesellschaft steht. Die wissenschaftliche Seite enthält als Kernstück 25 Jahrestagungen, auf denen insgesamt 27 Übersichtsreferate, 3295 Kurzvorträge und Poster sowie 18 Workshops (mit 109 Beiträgen) präsentiert wurden.
Zu den anwendungsorientierten Arbeiten in diesem Zeitraum zählen sieben Empfehlungen zur Energie- und Nährstoffversorgung der Tiere und 22 Mitteilungen des Ausschusses für Bedarfsnormen, dem wichtigsten Arbeitsgremium der Gesellschaft.
Auf den gesammelten Ergebnissen und Erfahrungen beruhend versuchten die Referenten anschließend, die Rolle der Gesellschaft in der Zukunft zu skizzieren. Einen Schwerpunkt sollte und wird hier weiterhin die wissenschaftliche Erarbeitung beziehungsweise Ableitung von Versorgungsempfehlungen bilden. Es wurde allerdings auch klargestellt, dass entsprechende Daten aus Versuchen hierfür essentiell sind und die dazugehörigen Grundlagen zur wissenschaftlichen Bearbeitung unbedingt zur Verfügung gestellt werden müssen.
Unter Berücksichtigung, dass als internationale Gremien weltweit neben der GfE nur noch das National Research Council (NRC) in den USA die Erarbeitung von Versorgungsempfehlungen aus wissenschaftlicher Sicht betreibt, erlangt dies im Hinblick auf die wirtschaftliche Unabhängigkeit derartiger Daten und Informationen eine weiter steigende Bedeutung.
Darüber hinaus wird in der Fortführung der Jahrestagung neben der Präsentation aktueller wissenschaftlicher Arbeiten die Chance und die Notwendigkeit gesehen, sich mit kritischen gesellschaftspolitischen Themen noch intensiver auseinander zu setzen. Als Beispiel seien hier kurz genannt:
- Konsequenzen des Klimawandels für Futterbau und Tierhaltung
- Nährstoffökonomie/Rohstoffeinsatz
- Nahrungskonkurrenz Mensch – Tier (hef-values; human edible fraction)
- Interaktionen Pflanzenzüchtung – Tierernährung (einschließlich Gentechnik)
- Tierernährung und Umwelt (Emissionen von N, P, CH4, CO2 etc.)
- Tierernährung und Tiergesundheit
- Tierernährung und Produktqualität (in Zusammenarbeit mit anderen Gesellschaften wie der DGE)
Um die Reichweite und Wirksamkeit dieser Arbeiten zu erhöhen, bedarf es insgesamt auch eines stärkeren Fokus auf eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit. Hier geht es vor allem darum, der schwindenden Anzahl deutschsprachiger Fachzeitschriften mit einer höheren Zahl an Beiträgen in populärwissenschaftlichen Zeitschriften wie DLG-Mitteilungen, Feed Magazine, Top Agrar, etc. zu begegnen. Darüber hinaus sollte aber auch vermehrt der Schritt gewagt werden, Beiträge an große Tageszeitungen und überregionale Wochenblätter heranzutragen und die digitalen Wege zur Veröffentlichung auszubauen.
Der Workshop am dritten Veranstaltungstag widmete sich dem Thema Aufzucht von Milchkälbern mit Fokus auf Gesundheit und Wohlergehen. Hierzu waren vier ausgewiesene Experten dieses Fachgebietes eingeladen.
Im ersten Beitrag beschäftigte sich Prof. Dr. Hans-Joachim Schuberth vom Institut für Immunologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover mit der Bedeutung der „Kolostrumversorgung für die Entwicklung des neonatalen Immunsystems“. Hierbei fokussierte er insbesondere auf die Frage, wie das Kolostrum auf das angeborene Immunsystem wirkt und über welche Parameter die Qualität bzw. die biologische Aktivität von Kolostralmilch am besten beschrieben werden kann.
Anschließend stellte Dr. Christian Koch von der Lehr- und Versuchsanstalt für Viehhaltung Hofgut Neumühle die Wege zur „Umsetzung einer adäquaten Milchfütterung bis zum Absetzen“ vor. Seine wesentlichen Schlussfolgerungen bezogen sich auf eine angemessene Kolostrum- und Übergangsmilchfütterung, die eine intensive Fütterungsstrategie und ein langsames und sanftes Absetzen beinhaltet, wodurch sich Gesundheit, Barrierefunktion von Pansen und Darm sowie die Widerstandsfähigkeit und das Wohlbefinden der Kälber deutlich steigern lassen.
Im dritten Referat ging PD Dr. Ingrid Lorenz vom Tiergesundheitsdienst Bayern e. V., Poing,dem „Einfluss der Milchversorgung auf die Kälbergesundheit“ nach. Während des Vortrages wurden zahlreiche Studien vorgestellt, die die positiven gesundheitlichen Aspekte einer ad libitum Milchversorgung beim Kalb einhergehend mit einer reduzierten Krankheitsanfälligkeit anschaulich demonstrierten. Kritisch würdigte sie die in der Praxis oft angewandte frühe orale Gabe von Eisen, die in Versuchen bislang aber zu keinen klaren positiven Ergebnissen geführt hat.
Im letzten Beitrag erörterte Prof. Dr. Marina von Keyserlingk von der University of British Columbia in Vancouver, Canada,die „Auswirkungen der sozialen Unterbringung und der Milchmenge auf Verhalten, Wachstum und Entwöhnung zur Verbesserung des Wohlbefindens von Kälbern“. Wegen des großen Zeitunterschiedes wurde der Vortrag als aufgezeichnetes Video präsentiert.
Inhaltlich konnte sie verdeutlichen, wie sich einzelne, gezielt eingesetzte Maßnahmen auswirken. Anhand von eigenen Studien stellte sie dar, wie sich die ad-libitum-Tränke über Nippeltränken gemeinsam mit einem sanften Abtränkregime positiv auf die spätere Aufnahme von Festfutter und die Entwicklung der Kälber auswirkt. Dazu zeigte sie auch eindrucksvoll, wie die frühzeitige Gruppenhaltung gegenüber der Einzelhaltung bei Kälbern die Sozialkompetenz der Tiere stärkt. Ferner präsentierte sie auch neue Ergebnisse zur muttergebundenen Aufzucht, die bei der weiter zu führenden öffentlichen Diskussion zu berücksichtigen sein werden.
Die Ausführungen spiegeln den Umfang und die Vielfalt der wissenschaftlichen Arbeitsfelder der Tierernährung und Tierernährungsphysiologie wider und verdeutlichen darüber hinaus, dass sich die Gesellschaft für Ernährungsphysiologie über die fachliche Arbeit und die offene Diskussion den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen stellt und diesbezügliche Lösungen entwickelt. In diesem Zusammenhang sollte zukünftig stärker darauf geachtet werden, zielgenau wirksame Innovationen hervorzubringen und zu implementieren.
Obwohl als Präsenzveranstaltung geplant, musste die Tagung kurzfristig wieder im digitalen Format durchgeführt werden. Über die erneute Verwendung der bereits zur letzten Tagung erstellten und genutzten Veranstaltungsplattform war diese für alle Teilnehmer wieder sehr gut zu besuchen. Ein ganz besonderer Dank der GfE gilt an dieser Stelle abermals den Mitarbeitern des Instituts für Veterinär-Physiologie des Fachbereichs Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin für die tatkräftige Unterstützung im Vorfeld sowie während der Tagung.
Die Proceedings zur Tagung können beim DLG-Verlag (www.dlg-verlag.de) bezogen werden (Preis: 29,90 Euro zzgl. Versand). Weitere veröffentlichte Beiträge der GfE sind über die Webseite der Gesellschaft (www.gfe-frankfurt.de) erhältlich.
Die 77. Tagung der Gesellschaft für Ernährungsphysiologie soll vom 7. bis 9. März 2023 wieder in Göttingen stattfinden, Informationen zu Einladung und Anmeldung werden frühzeitig auf der Webseite der GfE bekanntgegeben.