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Zeitenwende?

Alfons Balmann diskutiert globale und lokale Treiber einer Agrarwende

Die Landwirtschaft soll sich verändern, aber es gibt enorme Zielkonflikte!

Der Krieg in der Ukraine hat wieder ins Bewusstsein gerückt, dass die Sicherung der Ernährung die grundlegende gesellschaftliche Funktion der Landwirtschaft ist. Bedeutende gesellschaftliche Kritikpunkte bleiben dennoch. Das gilt ebenso für die Zielkonflikte, wie etwa zwischen Tier- und Klimaschutz oder zwischen Artenschutz und Ernährungssicherung. Allerdings gibt es unterschiedliche Vorstellungen darüber, ob sich die Zielkonflikte eher im Rahmen einer ökologischen Agrarwende oder durch eine nachhaltige Intensivierung bewältigen lassen. So wirft eine drastische Ausdehnung der Öko-Landwirtschaft im Hinblick auf die wachsende Weltbevölkerung bei begrenzten Flächen Fragen zu ihrer Nachhaltigkeit auf, falls dem Ökolandbau nicht drastische Steigerungen der Flächenproduktivität gelingen.

Es gibt eine Reihe gleichzeitiger Treiber!

Die Landwirtschaft befindet sich weltweit im Wandel, angetrieben durch die Digitalisierung, biotechnologische Entwicklungen, den Klimawandel und sich ändernde Konsummuster. Vor dem Hintergrund eines globalen Wettbewerbs sind daher Diskussionen verkürzt, deutsche Standortnachteile primär an höheren Umweltstandards festzumachen. Hinzu kommen lokale Treiber des Wandels, wie die geringe Rentabilität der Landwirtschaft. Die Mehrzahl der Haupterwerbsbetriebe erzielt Gewinne je Familienarbeitskraft, die unterhalb der Einkommen anderer Sektoren liegen. Zudem sorgt der demografische Wandel dafür, dass nur noch ein Bruchteil der altersbedingt aus dem Berufsleben ausscheidenden Arbeitskräfte durch jüngere ersetzen werden können. Die Landwirtschaft wird um diese knapper werdenden Arbeitskräfte mit prosperierenden urbanen Regionen konkurrieren müssen. Auswege eröffnen Strukturwandel, Digitalisierung, Abbau arbeitsintensiver Produktion sowie Fachkräfte aus dem Ausland.

Landwirtschaft nur als Teil der Gesellschaft wandelbar!

Forderungen nach einer Agrarwende erwecken den Eindruck, dass sich zukunftsfähige und gesellschaftlich akzeptierte Landwirtschaft an einem postmodernen naturalistischen Leitbild orientieren müsse, das von Ganzheitlichkeit, Suffizienz und Regionalität geprägt ist. Umgeben ist die Landwirtschaft allerdings von einer Gesellschaft, die weiter auf Wachstum, Innovation und Globalisierung setzt und sich auch nicht scheut, moderne Verfahren der Gentechnik in anderen Wirtschaftssektoren und der Medizin einzusetzen, während diese der Landwirtschaft vorenthalten werden. Diese Widersprüche müssen überwunden werden.

Diskursversagen erfordert Lösungen!

Die politischen Auseinandersetzungen um die Landwirtschaft leiden unter einem Diskursversagen. Die Diskussion um die Frage der Aussetzung der Flächenstilllegung von 4 Prozent im Rahmen der künftigen EU-Agrarpolitik als Antwort auf den Krieg in der Ukraine mag als Beleg für gegenseitiges Fingerzeigen genommen werden. Die von der Landwirtschaft geforderte Aussetzung der Stilllegung löst die Nahrungsmittelkrise nicht und hätte hohe Folgekosten für die Biodiversität. Umgekehrt lässt sich das Anliegen der Ernährungssicherung seitens der Umweltverbände nicht einfach damit entkräften, dass anstelle einer Aussetzung der Stilllegung einfach weniger Fleisch gegessen werden könne. Statt gegenseitigen Schuldzuweisungen ist mehr Selbstkritik in Landwirtschafts- und Umweltverbänden nötig.

Was wäre zu tun?

Anknüpfen lässt sich an die Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL), die zwischen den Interessengruppen ausgehandelt wurden. Doch ist zu befürchten, dass sich viele der von der ZKL formulierten Erwartungen  kaum erfüllen lassen und sich einige der Kompromisse als „faul“ erweisen: 1.) Die Zielkonflikte sind kaum adressiert; 2.) Die globalen und lokalen Treiber von Veränderungen werden in ihrer Bedeutung unterschätzt, wie die Digitalisierung und die strukturellen Probleme der Landwirtschaft; 3.) Es wird ein wirklichkeitsfremdes Bild der Gesellschaft gezeichnet, der in Zeiten von Digitalisierung, teuren Klimaschutzerfordernissen und demographischem Wandel, Suffizienz wichtiger als Wohlstand sein soll. Mit einem Schulterklopfen in Erwartung eines neuen Geldregens ist es angesichts geschröpfter staatlicher Kassen und hoher Inflation nicht getan. Vielmehr müssen die Potentiale zur Verbindung von Ernährungssicherheit mit Umwelt-, Klima- und Tierschutzzielen innerhalb von Landwirtschaft und Wertschöpfungskette erschlossen werden. Dafür braucht es Unterstützung aus Landwirtschafts- und Umweltverbänden.