Haltungskennzeichen
Robert Römer zur gemeinsamen Anstrengung für das Tierwohl
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft plant eine Kennzeichnung der Tierhaltung bei der Fleischerzeugung. Diese Kennzeichnung soll sich an der bereits im Markt etablierten Kennzeichnung für Eier orientieren. Was auf den ersten Blick einfach und einleuchtend erscheint, ist in Wahrheit allerdings komplex und gegebenenfalls äußerst kontraproduktiv. Warum ist das so, und was können wir tun?
Zunächst muss konstatiert werden, dass die Haltung von Legehennen mit ganz anderen Herausforderungen umgehen muss als die Haltung von Mastgeflügel. Herausforderungen wie etwa das Kükentöten oder die Käfighaltung gibt es in der Geflügelmast nicht. Entsprechend kann die Systematik der Eierkennzeichnung, die der Käfighaltung eine ganze Stufe – die Stufe mit der Kennung 3 – widmet, gar nicht auf die Mast übertragen werden. Weder auf die Hähnchenmast noch auf die Schweinemast, bei der die Tiere bekanntermaßen ebenfalls nicht in Käfigen gehalten werden.
Eine weitere potenzielle Schwierigkeit besteht in der Reservierung der Stufe 0 für die Haltung nach EU-Öko-Verordnung. Hier wird es richtig problematisch: Tierwohlprogramme, die strengere Tierwohlvorschriften als die EU-Öko-Verordnung verlangen, indem sie etwa die Anbindehaltung von Rindern vollumfänglich ausschließen, leisten mehr Tierwohl, werden dann aber trotzdem in die Stufe 1 eigeordnet. Mehr Tierwohl, aber in der schlechteren Stufe einer Tierwohlkennzeichnung, etwa weil kein Bio-Futter eingesetzt wurde – das wäre keinem Verbraucher zu vermitteln.
Zu den genannten Schwierigkeiten kommt noch hinzu, dass es im Fleischbereich bereits eine sehr gut etablierte Kennzeichnung des Tierwohl-Niveaus gibt: die vierstufige Haltungsform-Kennzeichnung. Verbraucher finden sie in weit über 20.000 Filialen des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland, zahlreiche Schulbücher lehren unsere Kinder bereits Fleisch anhand der Haltungsform-Kennzeichnung einzukaufen und 90 Prozent der Bundesbürger finden laut einer repräsentativen forsa-Befragung vom Dezember 2021 die vierstufige Haltungsform-Kennzeichnung für Fleisch gut oder sehr gut. Wer hier etwas Neues einführt, muss das sehr gut begründen.
Eine Gefahr geht von dem Vorhaben der Bundesregierung überdies für die bereits erzielten Tierwohl-Fortschritte in Deutschland aus. 90 Prozent des Geflügelfleisch-Absatzes im Lebensmitteleinzelhandel, ein Großteil der Importe, 75 Prozent der insgesamt in Deutschland geschlachteten Hähnchen und Puten sowie mindestens 2/3 des Schweinefleischs im Handel also insgesamt jedes zweite Mastschwein stammen aus Betrieben der Initiative Tierwohl. Wenn das Engagement dieser Betriebe künftig in dieselbe Stufe 3 einer etwaigen staatlichen Kennzeichnung fiele wie die Erzeugnisse jener Betriebe, die nur das europäische gesetzliche Mindestmaß leisten, wäre der Initiative Tierwohl das Wasser abgegraben. Kein Händler würde in Tierwohl investieren, das von einer staatlichen Kennzeichnung als solches nicht ausgewiesen werden könnte.
Dass der Staat einen Beitrag leisten kann, um das Tierwohl in Deutschland weiter voranzubringen, steht außer Frage. Wenn er das jedoch gegen das Engagement der Wirtschaft tut, wird daraus kein Fort- sondern ein Rückschritt. Die Initiative Tierwohl steht bereit, Hand in Hand mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten. Eine Annäherung der politischen Pläne an die Prinzipien der vierstufigen Haltungsform-Kennzeichnung wäre ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung.