Langfristige Verträge finanzieren die Mehrkosten
Nach zweijähriger Pause konnte der DLG-Ausschuss Schwein wieder seine „Berliner Runde“ durchführen und mit interessanten Gesprächspartnern über die aktuellen Herausforderungen für die Schweinehaltung in Deutschland sprechen. Erste Anlaufstelle war am 8. Juni 2022 die Agrargenossenschaft Trebbin, wo man sich mit Betriebsleitern von mehreren Betrieben aus dem Umland von Berlin austauschen konnte. Ein Schwerpunkt der interessanten Diskussionsrunde lag bei der Umstellung auf biologische Schweinehaltung. Da passte es gut, dass Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) am Vortag die Eckpunkte der geplanten staatlichen Tierhaltungskennzeichnung vorgestellt hat, die eine eigene Bio-Stufe vorsieht.
Dass biologische Erzeugung nicht auf Kleinbetriebe beschränkt ist, zeigt das Beispiel der Saalower Mast KG vor den Toren Berlins. Der Betrieb befindet sich derzeit in der Umstellung der gesamten Produktion auf biologische Erzeugung. Für Betriebsleiter Heiko Hofmann ist die Zeit von „Wachsen oder Weichen“ vorbei. Tierwohl, Nachhaltigkeit und Transparenz sind die Pfeiler, an denen sich sein Betrieb künftig ausrichten wird. Automatisierte Einstreu- und Entmistungsverfahren sind in diesem Zusammenhang wichtige Techniken, die in seinen Ställen zum Einsatz kommen. Betont wurde, dass eine nachhaltige Erzeugung auch von den Mitarbeiter:innen abhängt. Alle Beteiligten müssen voll und ganz hinter der Produktionsform stehen und sich damit identifizieren. Die höheren Lohnkosten müssen dann natürlich in der Vermarktung eingepreist werden.
Zum Abendessen hatte man dann die Gelegenheit, sich mit dem ehemaligen Bioland-Chef und jetzigen Leiter des Hauptstadtbüros der Tönnies-Unternehmensgruppe, Thomas Dosch, auszutauschen.
Er hat sich zur Aufgabe gemacht, zusammen mit Tönnies die Transformation der Landwirtschaft voranzutreiben und sieht in diesem Zusammenhang die staatliche Tierwohl-Finanzierung als wichtigste Aufgabe an. Auch für den Agraringenieur Dosch spielt die Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle beim Umbau der Tierhaltung. Landwirtschaft braucht die Tierhaltung, daher müsse alles getan werden, dass die Vorschläge der Borchert-Kommission jetzt umgesetzt werden.
Aktuell führe er im Hintergrund viele Gespräche zur Finanzierung des Umbaus, die aus Bundesmitteln erfolgen muss. Diese Mittel könnten beispielsweise, wie von der Borchert-Kommission empfohlen, über eine Streichung der ermäßigten Mehrwertsteuer auf tierische Produkte generiert werden. Nicht weniger wichtig sind für ihn die langfristigen Verträge mit dem Staat über 20 Jahre, damit die Betriebe Planungssicherheit haben.
Gastronomie mit ins Boot nehmen
Am 9. Juni 2022 stand für die Ausschuss-Mitglieder dann ein Gespräch mit Annette Kirste und Konstantinos Fidanidis von Aldi Nord auf dem Programm. Sehr interessiert zeigte man sich an der Umsetzung des von Aldi propagierten „Haltungswechsels“. Für Aldi funktioniert die Haltungskennzeichnung nur in Kombination einer gesicherten Finanzierung und erheblichen Anstrengungen bei der Anpassung des Baurechts. Daher stehe das Unternehmen im regelmäßigen Austausch mit dem BMEL, um die Einführung der staatlichen Tierhaltungskennzeichnung zu begleiten. Essenziell sei auch die Ausweitung der Kennzeichnung auf den Gastro- und Außer-Haus-Verzehr und verarbeitete Ware.
Man war sich einig, dass es eine stärkere Zusammenarbeit zwischen allen Partner der Wertschöpfungskette brauche. Mit der Zentralen Koordinierungsstelle Handel Landwirtschaft (ZKHL) existiere bereits ein Dialogformat. Die Kommunikation müsse aber auch zum Verbraucher geführt werden. Hierbei seien vor allem die sozialen Netzwerke und Werbekampagnen für die jüngere Generation essenziell. Neben der Haltungsform interessiert die junge Generation auch die Klimawirkung von Fleisch, was somit ein weiteres Qualitätsmerkmal für die Zukunft darstellt. Am Ende war man sich einig, dass der offene und ehrliche Austausch fortgesetzt werden sollte, um gemeinsam „Wissen zu schaffen“ – auch bei der Politik.
Burger-Patties aus Laborfleisch
Den Abschluss der „Berliner Runde“ bildete ein Vortrag von Prof. Nick Lin-Hi von der Universität Vechta zur „Zellulären Landwirtschaft“. Die Herstellung von kultiviertem Fleisch ist längst keine Vision mehr, sie ist bereits Realität und wird nach Ansicht von Lin-Hi die Tierhaltung revolutionieren. Er stellte die Hypothese auf, dass auch in der klassischen Nutztierhaltung zur Erzeugung von Lebensmitteln eine Zeitenwende bevorstehe. In Israel, Asien, USA und auch in den Niederlanden sind Start-ups tätig, die – unterstützt von namhaften Großkonzernen – in Kürze Produkte wie Burger-Patties aus Laborfleisch zu wettbewerbsfähigen Preisen herstellen können. Ob sich die Erzeugung in Großanlagen dann auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten durchsetzt und welche Chancen sich daraus für die Landwirtschaft ergeben, soll in einer Fortsetzung des Dialogs mit der DLG erörtert werden.