Die digitale Patentlösung gibt es nicht
Prof. Till Meinel sieht großen Bedarf an digitalen Beratungsangeboten
Zum dritten Mal nach 2016 und 2020 befragte der Digitalverband Bitkom in Kooperation mit der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) im Frühjahr 2022 Landwirt:innen zur Digitalisierung in der Landwirtschaft. Trotz der zum Teil recht unspezifischen Fragestellungen lohnt der Blick auf die Ergebnisse. Die Antworten spiegeln das gewachsene Vertrauen in die Anwendung digitaler Technologien in landwirtschaftlichen Betrieben wider. Für 78 Prozent der Befragten überwiegen die Vorteile der Digitalisierung deren Nachteile. Hohe Zustimmungsraten erhielten die Aussagen „Digitale Technologien helfen, Dünger, Pflanzenschutzmittel und andere Ressourcen einzusparen“ (92 Prozent) sowie „Digitale Technologien ermöglichen eine umweltschonendere landwirtschaftliche Produktion“ (81 Prozent).
Weniger optimistisch beurteilen die Teilnehmer:innen das Thema Kostensenkung. Lediglich 63 Prozent waren der Meinung, dass landwirtschaftliche Betriebe mithilfe digitaler Technologien langfristig ihre Kosten senken können. Dies verwundert nicht angesichts der oft stolzen Mehrpreise für Hard- und Software. Nicht in allen Betrieben steigt der Gewinn durch teilflächenspezifische Flächenbewirtschaftung.
Zeitersparnis und körperliche Entlastung
Als wichtigste Vorteile digitaler Anwendungen sehen die an der Umfrage Beteiligten Zeitersparnis (64 Prozent), körperliche Entlastung (63 Prozent) und umweltschonendere Produktion (63 Prozent) an. Dies deckt sich mit meiner Erfahrung, dass digitale Technologien relativ schnell in der Praxis ankommen, wenn ihr Nutzen für den Anwender unmittelbar mess- und spürbar ist. Parallelfahrsysteme sind hierfür ein gutes Beispiel. GPS-gesteuerte Landmaschinen sind denn auch die Nr. 1 der in den befragten Betrieben eingesetzten digitalen Technologien oder Verfahren. 58 Prozent der Umfrageteilnehmer:innen setzen diese bereits ein, 24 Prozent planen/diskutieren dies. 79 Prozent nutzen bereits mindestens eine digitale Technologie oder ein digitales Verfahren. Besonders große Hoffnungen setzen die Umfrageteilnehmer:innen in den Einsatz von Sensoren und Künstlicher Intelligenz (KI)/Big Data-Anwendungen.
Verlust der Datenhoheit
„Welche Hemmnisse bremsen Ihrer Meinung nach die Digitalisierung der Landwirtschaft am stärksten?“ lautete eine weitere Frage, bei deren Beantwortung Mehrfachnennungen zugelassen waren. Die mit Abstand am häufigsten gegebene Antwort betraf hier die hohen Investitionskosten (84 Prozent). Auf den Plätzen folgen die Sorge vor mehr Bürokratie, unzureichende standardisierte Schnittstellen und Vernetzung der Systeme sowie eine unzureichende Internetversorgung.
Die Befragten schätzen die Digitalkompetenz ihrer eigenen Beschäftigten mit der Schulnote 2,8 ein. Diese Situation kann und muss deutlich verbessert werden. Eine Möglichkeit ist die Förderung digitaler Kompetenzen in der Aus- und Weiterbildung, die 90 Prozent der Umfrageteilnehmer:innen von der Politik fordern. Aber auch die DLG kann ihre Mitglieder und weitere Interessierte durch entsprechende Bildungsangebote künftig auf diesem Weg unterstützen.
Als Forderungen an die Politik formulieren 95 Prozent der Befragten anwenderfreundliche, kostenfreie Geo-, Betriebsmittel- und Wetterdaten sowie 56 Prozent den Aufbau einer zentralen Agrarplattform für das Datenmanagement der Betriebe. Die Umsetzung dieser Forderungen bei vollem Erhalt der Datenhoheit für die Landwirt:innen wären entscheidende Schritte, um den Nutzen und die Akzeptanz digitaler Systeme vor allem auch in kleineren landwirtschaftlichen Betrieben deutlich zu steigern.
Hinsichtlich der Bürokratie zeigt sich in den Ergebnissen der Studie die Zweischneidigkeit digitaler Möglichkeiten: Einerseits besteht die Sorge vor mehr Bürokratie als Bremser der Digitalisierung in der Landwirtschaft, andererseits die Hoffnung, durch automatisierte Datenaufbereitung und -nutzung den bürokratischen Aufwand zu senken.
Messbare Arbeitserleichterung
Die Studie wirft ein Schlaglicht auf die Komplexität der Fragestellungen, die Potenziale und die Risiken der Digitalisierung in landwirtschaftlichen Betrieben. Digitale Technologien werden – genau wie alle anderen innovativen Produkte – sehr schnell in den Betrieben ankommen, wenn sie messbar die Arbeit erleichtern, Zeit sparen sowie Effizienz und/oder Qualität verbessern. Es wird jedoch keine digitalen Patentlösungen geben – Expertenwissen und Erfahrung der Betriebsleiter:innen bleiben auch in Zukunft das Fundament aller betrieblichen Entscheidungen.