Der Stellenwert von Biogas in der Energiekrise
Marcus Vagt gibt einen Ausblick für Bestandsanlagen vor dem Ende ihrer Laufzeit
Die aktuelle Energiekrise trifft Verbraucher, Industrie und Landwirtschaft in einem unvorhergesehenem Ausmaß. Der Krieg in der Ukraine muss dafür herhalten, dass die Unabhängigkeit von russischem Gas, Öl und Kohle bei gleichzeitigem Ausbau der erneuerbaren Energien als primäres und alternativloses Ziel propagiert wird.
Die Probleme sind bekannt. Die Beschaffungskosten für Energie klettern in ungeahnte Höhen. Energieversorger kündigen ihre neuen Tarife zum Wechsel in den Herbst an und Kunden staunen über Preissteigerungen und neue Abschlagszahlungen.
Dabei ist der Preis noch nicht einmal das größte Problem. Mit Sorge betrachtet die Bundesregierung den Füllstand der Gasspeicher. Wortkreationen wie „Gas-Triage“ machen die Runde. In der Debatte um Laufzeitverlängerungen für Kernkraftwerke und Kohlestrom heißt es dann von offizieller Stelle: „Wir haben kein Strom-, sondern ein Gasproblem.“ Wirklich, das mag nun jeder selbst beurteilen und ist im Hinblick auf die Strompreisexplosion sowie das erst kürzlich beschlossene Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz wohl Ansichtssache.
Steigerungen bis zu 20 Prozent
Ein Gasproblem also. Zumindest wagt man sich nun auch wieder dem Thema Biogas von offizieller Seite anzunähern. Biogas und Erdgas – da muss es ja Gemeinsamkeiten geben. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kündigt dazu kurzfristig die Ausweitung der Biogasproduktion zur Einsparung von Erdgas an. Verbände reagieren erfreut und prognostizieren auch prompt Leistungssteigerungen in der Biogasproduktion von bis zu 20 Prozent.
An dieser Stelle sei ein Kompliment an den Fachverband Biogas und die beteiligten Verbände der Branche angebracht. Ohne sie wäre das Thema wohl noch immer unangetastet geblieben.
Aber zur Einordnung: Von den knapp 10.000 Biogasanlagen in Deutschland sind stolze 232 Anlagen mit einer Aufbereitungskapazität von insgesamt 146.959 Normkubikmeter pro Stunde in Betrieb, die Biogas in das Gasnetz einspeisen. Das entspricht ungefähr zehn Prozent der Gesamtproduktion an Energie aus Biogas. Pro Tag kamen aus Russland noch bis Ende Mai 2022 eine 50-mal so hohe Menge. Biomethan trägt also aktuell lediglich mit zwei Prozent zur Deckung unseres Energiebedarfs im Vergleich zu Erdgasimporten bei.
Der Rest der Biogasanlagen in Deutschland erzeugt direkten Strom. Und das nicht zu knapp. Rund 85 Terrawattstunden werden zu Strom und Wärme umgewandelt. Man darf aber auch nicht vergessen, dass Biogas mit seiner direkten Strom- und Wärmeerzeugung bereits voll in unseren Energiebedarf einzahlt. Grundlastfähig, unabhängig, regional, ja sogar je nach Betrachtungsweise CO2-neutral und mit dem Potenzial zu weitaus mehr Flexibilität.
Ohne Frage – eine Steigerung um 20 Prozent, wenn entsprechende Hürden beiseite geräumt werden, ist also wirklich ein Potenzial, das es zu heben gilt.
Großes Potenzial an Biomasse
Handlungsbedarf ist nun dringend gefordert, um etwa die Höchstbemessungsleistung auszusetzen und Regelungen wie Mindestgülleanteil unterschreiten zu können. Das Genehmigungsrecht muss zugleich angepasst werden, um eine erhöhte Gaserzeugung zu ermöglichen. Es sind insgesamt eine Menge Punkte, die im Rahmen vom Erneuerbare Energien Gesetz (EEG), Baugesetzbuch (BauGB), Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) und dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) beiseite geschafft werden müssen.
Ist man schon dabei, sollte man Biogas und Biomethan auch wieder langfristig im Ausbau der erneuerbaren Energien vorsehen. Zumal Deutschland über ein größeres, noch nicht erschlossenes Biomassepotenzial verfügt, das im Sinne des Klimaschutzes und der Versorgungssicherheit für eine Steigerung der Energieerzeugung aus Biomasse gehoben werden sollte.
Noch ein Blick auf die angesprochenen Energiepreise und die Systemrelevanz von Biogasanlagen. „Flatterstrom“ und damit die Notwendigkeit, die Residuallast auszugleichen, sollte mittelfristig mit Erdgas erfolgen. Gegen dieses Szenario spricht die aktuelle Agenda unserer Politik. Biogasanlagen eignen sich jedoch hierfür weiterhin hervorragend. Betrachten wir beispielsweise das Agorameter, https://www.agora-energiewende.de/service/agorameter, so lässt sich seit Jahren ein fast gleichmäßig grüner Balken zwischen 4,5 bis 5,0 Gigawatt (GW) ausmachen. Sind die Daten falsch oder wurde doch kaum flexibilisiert? Eine 5-GW-Leistung bei vierfacher Überbauung entspräche dann 20 GW in Zeiten, in denen nachts mal keine Sonne scheint.
Auch lohnt der Blick auf die Strompreise. Sofern in Deutschland in Ermangelung von Wind- und Photovoltaik-Strom teuer Energie zugekauft werden muss, klettern die Preise auf Spitzenwerte von 400 Euro pro Megawattstunde und mehr. Dafür kann jede Biogasanlage locker produzieren.
Biomethan ist heiß begehrt
Können wir es uns angesichts der Energiekrise und ihrer Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft leisten, auf diesen wertvollen Beitrag aus der Biogasproduktion zu verzichten? Nein! Das müssen wir auch nicht. Bei den aktuellen Energiepreisen sind die Erzeugungskosten bei flexiblen Biogasanlagen auch ohne Förderung bereits gedeckt. Biomethan für den Kraftstoffmarkt ist heiß begehrt, und Industriebetriebe suchen händeringend nach Lösungen, um ihren Energiebedarf zumindest bilanziell zu decken. Lediglich die Politik ist gefordert, hierfür die notwendigen Weichen zu stellen.
Aktueller denn je lohnt ein Blick in jede Einzelanlage, um Strom, Wärme und Biomethan für das Netz oder den Kraftstoffmarkt bereitzustellen. Der Weiterbetrieb von Biogasanlagen, die ihrem EEG-Ende eigentlich entgegengehen, drängt sich in Anbetracht von Laufzeitverlängerungen von Kohlekraft- und Atomkraftwerken förmlich auf.
Vom 15. bis 18. November 2022 bringt die EnergyDecentral, die Leitmesse für dezentrale Energieversorgung, die Akteure aus Landwirtschaft, Industrie und kommunaler Energiepolitik in Hannover zusammen, um die unterschiedlichen Geschäftsmodelle zu diskutieren, die den Einstieg und die Verlängerung in die Wertschöpfung mit Biogas- und Biomethan-Konzepten ermöglichen.