Erfolgsmodell Normenkommission wird fortgesetzt
Ende April 2001 fiel mit der ersten Sitzung in Bonn/Röthgen der Startschuss für die Arbeit der Normenkommission des Zentralausschusses der Deutschen Landwirtschaft (ZDL). Seit nunmehr zwei Jahrzehnten führt die von diesem Gremium erarbeitete Positivliste auf, welche Einzelfuttermittel in Deutschland und weiteren Ländern im Rahmen von Qualitätssicherungsprogrammen zum Einsatz kommen dürfen. Heute spiegelt die Positivliste in ihrer 14. Auflage mit über 400 gelisteten Einzelfuttermitteln nicht nur die riesige Vielfalt des deutschen und internationalen Futtermittelsektors wider. Sie hat sich gleichzeitig als wichtiges Nachschlagewerk und unverzichtbarer Bestandteil in einer transparenten Wertschöpfungskette von Lebensmitteln tierischen Ursprungs etabliert.
Die Tagung wurde von Dietrich Holler von vox viridis moderiert. Neben dem Blick zurück auf die Gründung und die Meilensteine der vergangenen 20 Jahre wurde auf der Veranstaltung vor allem die Sichtweise der Wirtschaft, der Beratung und der Futtermittelüberwachung auf die Bedeutung und den Nutzen der Positivliste in den Vordergrund gestellt. Dazu wurde der Blick nach vorn auf die zukünftigen Aufgaben und Herausforderungen der ZDL-Normenkommission gerichtet und im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit den Vertretern aus Landwirtschaft und Wirtschaft sowie Standardgebern erörtert.
In den Grußworten bescheinigte einerseits Dr. Thomas Schneider vom Bundesagrarministerium (BMEL) in Bonn, dass die stark beachtete Futtermittelsicherheit eine hohe Strahlkraft sowohl in Deutschland als auch in Europa habe. Die Positivliste liefert einen Steckbrief und ein Sicherheitsdatenblatt für Einzelfuttermittel. Der EU-Katalog kann diese akribische Arbeit nicht ersetzen und dient damit eher der Einordnung und Beschreibung von Einzelfuttermitteln, wodurch gleichzeitig die weitere Unterstützung des BMEL zum Ausdruck gebracht wurde.
Funktionierende Kreislaufwirtschaft
Im zweiten Grußwort stellte Gerhard Schwetje vom ZDL und Präsident des Verbandes der Landwirtschaftskammern (VLK) heraus, dass Futtermittel und Tierernährung essenzielle Bestandteile der landwirtschaftlichen Produktion im Sinne einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft darstellen und dass deren Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Hier trägt die Normenkommission maßgeblich zur Sicherheit und Transparenz im Futtermittelmarkt bei.
Erste Auflage der Positivliste 2001
Im ersten Fachbeitrag berichtete Dr. Franz-Peter Engling von der LUFA Nord-West als langjähriges Mitglied und Vorsitzender der Normenkommission über die Anfänge der Arbeiten. Vor dem Hintergrund der BSE-Krise im Jahr 2000 sollte die Positivliste einer besseren Transparenz in der Lebensmittelkette dienen. Mit der Wiedereinrichtung der Normenkommission ordneten und gruppierten die zusammengerufenen Experten die Futtermittel, bezeichneten und beschrieben diese genau und legten bereits im Dezember 2001 die erste Auflage der Positivliste vor. Im Laufe der Zeit wurden die Kriterien zur Aufnahme eines Einzelfuttermittels immer wieder kritisch überdacht und angepasst, wodurch die Positivliste schließlich trotz ihres futtermittelrechtlich nicht verbindlichen Charakters auch außerhalb Beachtung und Anwendung erreichte und sich als wertvolle Grundlage bei der Auswahl der Einzelfuttermittel etablierte. Dazu ist sie als komprimiertes Nachschlagewerk für Einzelfuttermittel unverzichtbar für die Rationszusammenstellung.
Anschließend widmete sich Prof. Hans Schenkel vom Institut für Nutztierwissenschaften an der Universität Hohenheim der Bedeutung einer fachlich fundierten Bewertung von (Einzel-)Futtermitteln. Im ersten Schritt der Bewertung der Futtermittel für Lebensmittel liefernde landwirtschaftliche Nutztiere – im Unterschied zum EU-Futtermittelkatalog – wendet die Normenkommission verschiedene Prüfschritte oder -bereiche in der Abhandlung eines Entscheidungsbaums an. So können Einzelfuttermittel sicher von Arzneimitteln, Futtermittelzusatzstoffen oder Diätfuttermitteln unterschieden werden. Im Laufe der Jahre haben die Futtermittel zugenommen, die nur einen geringen Beitrag zur Energie- oder Nährstoffversorgung liefern, wodurch die Bewertung von zusätzlichen Wirkungen wie beispielsweise zum Ballaststoffcharakter oder zum Einfluss auf das Mikrobiom des Gastrointestinaltraktes sowie im Organismus als systemische Reaktionen erfasst und in die Bewertung eingebunden werden müssen.
Gesundheitsrisiken abwägen
Eine klare Trennlinie zwischen Einzelfuttermittel, Zusatzstoff und Arzneimittel zu finden, wird aber insbesondere auch dann schwierig, wenn die Dosierungen im Futter bei größer 1 Prozent liegen. Dazu spielt die Abschätzung möglicher Risiken für die Gesundheit von Tier und Mensch sowie für die Umwelt eine weitere zentrale Rolle in der Bewertung. Über Atteste müssen Wirkungen und Sicherheit klar belegt und ständig überarbeitet werden. Mit der Zusammenfassung von Nutzen und Risiken beschreibt und differenziert die Positivliste Einzelfuttermittel und unterstreicht damit die Bedeutung der Futtermittelkunde.
Zur Bedeutung und zum Nutzen der Absicherung der Qualität von Futtermitteln wurden drei Beträge präsentiert. Im ersten Referat erläuterte Hendrik Riekenbrauck von Westfleisch (Münster) die Anwendung und die Erfahrungen aus Sicht der Wirtschaft. Die Genossenschaft legt mit dem Motto „Futtermittelsicherheit ist Lebensmittelsicherheit“ sehr viel Wert auf die Transparenz und die Sicherheit, die aus der Positivliste resultieren, nutzt dies bislang allerdings nur in Deutschland und nur indirekt für den Export. Dazu muss die Nutzung von Nebenprodukten zukünftig noch besser geregelt werden, da in der Biogasherstellung derzeit noch viel verwendet wird, was nicht in jedem Fall im Sinne einer möglichst effizienten nachhaltigen Nährstoffnutzung ist.
Hohe Transparenz in der Kette
Aus Sicht der Beratung führte anschließend Prof. Dr. Hubert Spiekers, LfL-Tierernährung, Grub und DLG-AK Futter & Fütterung aus, dass Futter eine zentrale Bedeutung hat und dass Kenntnisse zum Futterwert und zur Einordnung von Futtermitteln sowie eine hohe Transparenz in der gesamten Kette unverzichtbar sind. Dieses mögliche „Reinheitsgebot“ ist Voraussetzung für eine optimale Rationsgestaltung. Informationen zu (neuen) Einzelfuttermitteln gerade aus Nebenprodukten, die aus der Weiterentwicklung der Herstellung von Lebensmitteln oder Bioenergie resultieren, stellen unerlässliche Grundlagen zur Bewertung der „Nahrungskonkurrenz zwischen Teller und Trog“ sowie eines umfassenden Umweltschutzes dar und tragen somit wesentlich zu einer insgesamt nachhaltigeren Futterwirtschaft bei. Hier hat die Normenkommission der Fütterungsberatung effektiv zugearbeitet und zur Wiedererlangung der Reputation nach der BSE-Krise beigetragen. Darüber hinaus hat sich die enge Verzahnung mit den Gremien der Tierernährung bewährt. Aus fachlicher Sicht sollte zukünftig mehr in Land- und Stoffnutzungskonzepten gedacht und geforscht werden.
Hohe Transparenz verpflichtet
Aus Sicht der amtlichen Überwachung hob Christiane Schmidt-Thiel vom Agrar- und Umweltministerium in Mecklenburg-Vorpommern sowie von der LAV-AFU (Arbeitsgruppe Futtermittelsicherheit (AFU) der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz (LAV)) die Notwendigkeit einer gründlichen und fachlich fundierten Bewertung und Sortierung hervor, damit Einzelfuttermittel beim Nutztier mit einer hohen Transparenz sowie sicher und zweckorientiert zum Einsatz kommen können. Die Verpflichtung der Futtermittelwirtschaft, im Rahmen verschiedener Qualitätssicherungssysteme die Positivliste anzuwenden, stellt aus Sicht der amtlichen Futtermittelüberwachung ein wichtiges Sicherheitskriterium bei der Herstellung von Mischfuttermitteln dar und unterstützt die amtliche Futtermittelüberwachung in hohem Maße bei ihrer Tätigkeit. Allerdings wird die Beanstandungsquote bei unerwünschten Stoffen von größer 1 Prozent bislang in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen.
Den in die Zukunft gerichteten Blick wagte Dr. Anja Töpper von der LTZ Augustenberg in Karlsruhe, indem sie versuchte, zukünftige Aufgaben der Normenkommission unter sich ändernden Rahmenbedingungen abzuleiten. Hier werden sicherlich die Arbeiten um die Bewertung wie in den vorgenannten Beiträgen bestehen bleiben. Darüber hinaus wird es aber auch erforderlich sein, neue Parameter zur Charakterisierung von Futtermitteln wie beispielsweise zur Beschreibung verschiedener Faserfraktionen zu berücksichtigen und sinnvoll in die Bewertung einzubeziehen. In diesem Zusammenhang spielen die Weiterentwicklungen in der Analytik ebenso eine wichtige Rolle. Da vielen Lebensmittelherstellern die fachlichen, rechtlichen und sicherheitsrelevanten Fragestellungen nicht vollumfänglich bewusst sind, wird sich die Normenkommission auch stärker in die Aufklärungsarbeit einbringen müssen. Des Weiteren muss zukünftig mehr Augenmerk darauf gerichtet werden, die Inhalte der Arbeit der Normenkommission und die Ergebnisse in Form der Positivliste einer breite(re)n Öffentlichkeit zugänglich zu machen und eine transparente und verständliche Darstellung der Aktivitäten zur Verbesserung der Akzeptanz der Bevölkerung anzustreben.
Umbau der Tierhaltung
Im letzten Teil der Jubiläumsveranstaltung ging der Moderator in der Podiumsdiskussion den Fragen zu den zukünftigen Erwartungen der Branche an die Normenkommission nach, die als Auftrag der Nutzer der Positivliste an die Normenkommission zu verstehen sind. Hierzu diskutierte Roger Fechler vom Deutschen Bauernverband (DBV) darüber, dass die Positivliste keinesfalls als Knebelinstrument der Beteiligten angesehen wird oder werden sollte. Die vorgestellten guten Vorträge lieferten wesentliche Inhalte und Vorschläge für die Zukunft. Die entsprechenden Chancen müssen entdeckt und auf den Weg gebracht werden. Fraglich ist bislang, wie die Normenkommission im Speziellen den Umbau der Tierhaltung positiv begleiten kann. Hierzu wären klare Vorgaben aus der Politik nützlich, die verlässlich für Planungen verwendet werden könnten.
Wünsche der Nutzer
Anschließend hob Claudia Brill von der QS GmbH, Bonn, hervor, dass QS die fundierte Arbeit der Normenkommission sehr zu schätzen weiß und auch weiterhin auf diese Arbeit setzt. Allerdings müsse der Bearbeitungsprozess selbstkritisch überdacht und ggf. überarbeitet werden, da dieser nach Einschätzung von außen ohne die genaue Berücksichtigung der Detailarbeit fälschlicherweise als teils langwierig und zäh eingeschätzt wird.
Im letzten Teil ging Peter Radewahn vom Deutschen Verband Tiernahrung (DVT) auf die Sichtweisen und Wünsche der Futterhersteller ein. Er stellte klar, dass sich die Arbeit der Normenkommission weiterentwickeln müsse. Dabei gilt es zukünftig noch stärker zu berücksichtigen, dass die Fütterungsbasis sehr spezialisiert ist und damit Bewertungskriterien für Normtypen immer schwieriger anzuwenden sind. Dazu sollte großer Wert darauf gelegt werden, die Selbstständigkeit der Normenkommission zu bewahren und aktuelle Themen wie die Nahrungskonkurrenz von Futtermitteln in die Arbeit zu integrieren.
Unabhängige Organisation
Im Schlusswort hob Dr. Reinhard Grandke (DLG /ZDL) die äußerst erfolgreiche Arbeit der Normenkontrollkommission in den vergangenen 20 Jahren hervor. Dies wird mit der aktuellen 14. Auflage der Positivliste für Einzelfuttermittel hinreichend unter Beweis gestellt. Die Normenkommission gilt als einer der stillen Stars, die sich durch ihre Unabhängigkeit, Konstanz und hohe Fachlichkeit auszeichnet. Auch wenn es zukünftige Veränderungen geben wird, muss diese fachlich unabhängige Organisation in ihrer Funktion und Bedeutung erhalten bleiben. Die Normenkommission ist und bleibt das größte Projekt des ZDL. Dies ist auch den Mitgliedern der Normenkommission zu verdanken, die stets mit ihrer fachlich versierten Arbeit zum Erfolg beigetragen haben. Die Normenkommission ist mehr als ein Erfolgsmodell und eine Besonderheit, die weiterhin ihre Berechtigung haben wird. Die Nachfrage nach Arbeit wird steigen, und über spannende Aufgaben und kritische Diskussionen kann die Bedeutung zukünftig noch stärker herausgestellt werden. Im Namen des ZDL geht der Dank an alle ehemaligen und aktuellen Mitglieder der Normenkommission.
Die Vortragsveranstaltung fand am Donnerstag, dem 12. Mai 2022 im Forum des Johann Heinrich von Thünen-Instituts in Braunschweig statt. Interessierte können den Tagungsband mit den Kurzfassungen der Referate über p.schneider@bauernverband.net kostenfrei bestellen.