Kompassnadel der internationalen Nutztierhaltung
Dr. Lothar Hövelmann zur Bereitschaft für Investitionen in der Tierhaltung
Die Produktions- und Wertschöpfungsketten sowie gesellschaftliche und umweltpolitische Ansprüche an die Nutztierhaltung verändern sich – verstärkt in Deutschland und Europa, aber zunehmend auch weltweit. Umso mehr ist es für landwirtschaftliche Betriebe und Unternehmen im Agribusiness wichtig, die Zukunft aktiv mitzugestalten. Hier setzt die EuroTier – die weltweit führende Fachmesse für Tierhaltung und Livestock-Management – an und bietet als internationale Plattform Innovationen und Lösungsansätze für die Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen.
Die EuroTier wird vom 15. bis 18. November wieder auf dem Messegelände in Hannover Innovationen und Trends für die Landwirtschaft präsentieren. Rund 1.700 Aussteller aus 55 Ländern zeigen auf circa 250.000 m2 Hallenfläche ein vollständiges Angebot rund um die moderne Tierhaltung und Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft. In zahlreichen Fachvorträgen und Diskussionsrunden werden hierzu auf der EuroTier an allen Ausstellungstagen neueste Erkenntnisse und Lösungswege diskutiert. Veranstalter der Messe und ihres Fachprogrammes ist die DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft).
Internationalität der Aussteller
Die Internationalität unter den Ausstellern der EuroTier hat wieder ein hohes Niveau erreicht: Mit 1.017 Unternehmen (rund 60 Prozent) aus dem Ausland ist der Anteil wieder so hoch wie 2018. Die meisten kommen aus den Niederlanden (165 Unternehmen). Auf dem zweiten Platz folgt Frankreich (115), dann Italien (102), Spanien (95), die Türkei (57), Dänemark (54), Belgien (43), Österreich (37), China (36), die USA (35) und Großbritannien (31). Die hohe Beteiligung aus dem Ausland zeigt, dass die Unternehmen nach dem Abflauen der Corona-Pandemie die Weltleitmesse für professionelle Tierhaltung und Livestock-Management wieder nutzen, um neue globale Märkte zu erschließen. So sind auch Aussteller aus Ländern wie Kolumbien, dem Iran, Marokko, Tunesien, Algerien, Japan und Thailand vertreten. Länderpavillons sind u. a. aus Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Südkorea und den USA (Iowa) angemeldet.
Der Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) führt seinen Jahreskongress wieder zeitlich überlappend mit der EuroTier auf dem Messegelände in Hannover durch. Diese Synergie schafft Gelegenheit, dass Tierärzte und Landwirte aus aller Welt ihre Erfahrungen und Meinungen in Fragen der Tiergesundheit und des Tierwohls intensiv austauschen.
Impulsgeber für richtungsweisende Innovationen
Eine unabhängige Kommission von Fachleuten hat aus 150 zum „Innovation Award EuroTier“ eingereichten neuen Produkten 18 als Innovationen mit Medaillen ausgezeichnet: vier in Gold und 14 in Silber. Viele dieser Innovationen tragen dazu bei, die Haltungsbedingungen für die Tiere sowie die Arbeitsbedingungen für die Menschen richtungsweisend zu verbessern. Die DLG hat zusammen mit dem Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) drei Gewinner des Innovation Awards mit dem „Animal Welfare Award“ ausgezeichnet, die im besonderen Maße den Anforderungen an einen höheren Tierwohlstandard gerecht werden.
Erstmalig werden 2022 auf der EuroTier auch Konzepte für die Weiterentwicklung der Tierhaltung ausgezeichnet: Produkte mit Relevanz und Potenzial zur Verbesserung der guten fachlichen Praxis können am Wettbewerb „DLG-Agrifuture Concept Winner“ teilnehmen. Dabei handelt es sich um Konzepte und Visionen, die noch keine Marktreife erlangt haben, sondern sich in der Entwicklungsphase befinden. Die fachliche Durchführung liegt in den Händen einer unabhängigen Jury, die sich aus Mitgliedern der Jungen DLG und weiteren Experten zusammensetzt. Die EuroTier wird mit all diesen internationalen Neuheitenwettbewerben Trends für eine nachhaltige, moderne Tierhaltung für alle Regionen der Welt setzen und richtungsweisende Impulse für den einzelnen Betrieb und die gesamte Branche geben.
Turbulente Rahmenbedingungen für die Branche
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft und die vor- und nachgelagerten Bereiche sind derzeit starken Turbulenzen ausgesetzt. Sie werden global stark beeinflusst durch den Ukraine-Krieg und die Corona-Pandemie, in Europa durch die anstehende GAP-Reform und eine historische Dürre, und in Deutschland hat die Afrikanische Schweinepest den Export nach China blockiert.
Das Preisniveau landwirtschaftlicher Produkte ist in der EU27 in den Jahren 2021/22 stark gestiegen. Insbesondere bei Getreide trieben Spekulationen und die Unsicherheiten durch den Krieg in der Ukraine die Preise in die Höhe. Eine gute Ernte und politische Handelsabkommen konnten den Preisanstieg zwar etwas dämpfen, dennoch ist weiterhin ein hohes Preisniveau zu erwarten, was eine erhebliche Belastung bei den Futterkosten für die Tierhaltung ist. Die globale Weizenernte wird derzeit vom Verbrauch übertroffen, sodass die Lagerbestände in den wichtigsten Exportländern zurückgehen. Produktion und Verbrauch sind zum ersten Mal seit Jahren rückläufig. Gleichzeitig lagern fast 58 Prozent der Weizenmenge in China, aber der Rest der Welt ist nicht ausreichend versorgt. Das Preisniveau für Commodities ist jetzt sehr abhängig von der Ernte und von den Exporten aus der Ukraine und Russland. Die gehandelte Menge an Ölsaaten ist in den letzten Jahren mit unterschiedlichen Wachstumsraten gestiegen. Die Gesamterzeugung wird voraussichtlich im Zeitraum 2022/23 steigen, weil der Anbau von Sojabohnen und Raps ausgeweitet wird. Durch die Situation in der Ukraine geht aber der Sonnenblumenanbau zurück. In der EU steigen die Erzeugung und der Verbrauch von Rapssaat an bei konstant niedrigen Lagerbeständen.
Die Versorgungsbilanz in der EU für Futtergetreide und Mais ist durch eine sinkende Futtermittelproduktion und sinkende Bestände für 2022/23 gekennzeichnet. Daher sinkt die Exportmenge, insbesondere weil die Dürre zu niedrigeren Maiserträgen in Europa 2022 geführt hat. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts hat es in Europa keine so große Dürre über einen längeren Zeitraum gegeben. Die Schweinepreise in der EU, den USA, Brasilien und Kanada sind zwar gestiegen, aber hohe Energie- und Futterkosten zehren den Markterlös wieder auf. Aber trotz des geringen Angebotes an lebenden Tieren in der EU bleiben die Ferkelpreise niedrig. Auf dem Milchmarkt liegt die EU-Milchmenge unter dem Niveau des Vorjahres, viele Betriebe melken derzeit mit reduziertem Kraftfuttereinsatz. So steigt zwar der Milchpreis, aber auch die Milchviehhalter sind von hohen Inputpreisen betroffen. Aufgrund der Trockenheit wird im Winter ein zusätzlicher Futterzukauf in ganz Europa erwartet.
Der Krieg in der Ukraine hat zu steigenden Rohstoffpreisen geführt, insbesondere bei Erdgas, das der wichtigste Energieträger für die Industrie in Deutschland ist. Die gegenüber den USA bis zu fünfmal höheren Gaspreise in Europa schwächen die EU im Wettbewerb: Die Energiepreise stiegen im Februar 2022 im Vergleich zu Februar 2021 bei importierter Energie um 129,5 Prozent, bei in Deutschland erzeugter Energie um 68 Prozent und die Energiepreise für Haushalte um 22,5 Prozent. Die Einkaufspreise für landwirtschaftliche Betriebsmittel lagen insgesamt im Juni 2022 um 33,9 Prozent höher als im Juni 2021. Als Folge dieser Krise zeichnet sich bei der Ausgestaltung der GAP ein Zielkonflikt zwischen „gutem Umweltzustand“ und der weltweiten Ernährungssicherung ab.
Positive Stimmung der Milcherzeuger
Die DLG hat über 2.000 Betriebe aus aller Welt für die „DLG Agrifuture Short Study 2022“ im Juli befragt. Im Zentrum standen der Einfluss des Marktumfeldes und die Investitionsbedingungen auf das Geschäftsklima und die derzeitigen Geschäftserwartungen der Betriebe.
Während die Milchviehhalter ihre aktuelle Situation meist positiver einschätzen, sehen sich viele Schweinehalter derzeit mit schlechteren Bedingungen und Zukunftsperspektiven konfrontiert. Sauenhalter - insbesondere in Deutschland - bewerten ihre wirtschaftliche Situation besonders schlecht. Milcherzeuger schätzen ihre Lage besser ein, wobei Betriebe außerhalb Deutschlands einen positiveren Blick auf die aktuelle und zukünftige Situation haben. Unterschiede in den Ländern gibt es je nach „agrarpolitischer Anspannung“ und unterschiedlichen Faktorkosten. Im Rahmen des Strukturwandels der letzten Jahren sind viele Milchviehbetriebe, die expandiert haben, noch mit Schulden belastet. In Deutschland schlägt die Afrikanische Schweinepest stark auf das Befragungsergebnis durch: Viele Betriebe schätzen die Perspektiven für den Schweinemarkt in Zukunft als unsicher ein und bewerten ihre aktuelle Geschäftslage und Rentabilität derzeit nicht gut. Schweinehalter im Ausland sehen dagegen weitaus bessere ökonomische Rahmenbedingungen. Die steigenden Einkaufspreise für Betriebsmittel und Energie schlagen derzeit stark auf alle Betriebe durch - am stärksten in der Geflügelhaltung. Die Verfügbarkeit von Betriebsmitteln erscheint für die meisten Betriebe noch als ausreichend. Am höchsten wird allerdings der Einfluss von Politik und Gesellschaft auf die Wettbewerbsfähigkeit eingeschätzt.
Schweinehalter haben ein Liquiditätsproblem
Für die meisten Betriebe ist der Zugang zu Fremdkapital weiterhin möglich, allerdings haben vor allem Schweinehalter ein Liquiditätsproblem. Die steigenden Futtermittelpreise belasten alle Tierhalter erheblich. Aber auch alle anderen Betriebe haben mit gestiegenen Einkaufspreisen für Betriebsmittel zu kämpfen.
Der Generationswechsel scheint in den meisten befragten Betrieben weitgehend gesichert, wobei die sinkende gesellschaftliche Akzeptanz in den Betrieben ein Thema ist. Sauenhaltungsbetriebe sehen sich erheblich den verstärkten Anforderungen an Tier- und Umweltschutz ausgesetzt.
Investitionsbereitschaft gemischt
Generell ist festzustellen, dass Betriebe im Ausland eine höhere Investitionsbereitschaft haben. Viele Milchviehbetriebe, die in den letzten Jahren in Deutschland gewachsen sind, wollen sich nun konsolidieren und über Skaleneffekte am Markt Vorteile erzielen. Den Schweinehaltern in Deutschland fehlt es derzeit grundsätzlich an Planungssicherheit, um wieder in ihre Betriebe investieren zu können. Dafür stehen bei vielen Geflügelbetrieben laut Umfrage Erweiterungen und Neuinvestitionen an. Für die Bereiche Ackerbau und Energieerzeugung wird derzeit nur eine geringe Bereitschaft zu Neuinvestitionen angegeben. In der Tierhaltung ist jedoch eine Bereitschaft für Erweiterungen und Neuinvestitionen spürbar. Schweinehalter befassen sich mit neuen Haltungskonzepten, wobei der Ausbau ihrer bestehenden Anlagen rückläufig ist. In der Milchviehhaltung geht der Trend zu mehr Automatisierung.
Mit Blick auf die steigenden Energiepreise werden von den Befragten neue Investitionen als wichtig angesehen. Insbesondere die Schweine- und Geflügelhaltung haben einen hohen Energiebedarf. Dieser Bereich ist derzeit stark von der jeweiligen Förderpolitik in den Ländern abhängig.
EnergyDecentral 2022
An das Thema Energie in der Landwirtschaft knüpft die Schwestermesse EnergyDecentral, die internationale Fachmesse für innovative Energieversorgung, mit insgesamt 220 angemeldeten Ausstellern an. Sie findet in den Hallen 24 und 25 sowie dem Freigelände nördlich der Halle 26 zeitgleich mit der EuroTier statt und ist damit optimal in das landwirtschaftliche Umfeld eingebunden. Der Krieg in der Ukraine und die damit durch Russland verursachte Krise der deutschen Energieversorgung lassen die Nachfrage nach dezentralen, nicht fossilen Energieträgern dieses Jahr aber nicht nur für landwirtschaftliche Betriebe in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Mit ihren einzigartigen Produkt- und Informationsangeboten werden die EuroTier und die EnergyDecentral 2022 wieder live auf dem Messegelände in Hannover richtungsweisende Impulse für beide Branchen setzen. Wir freuen uns darauf und auf Ihren Besuch!
Dr. Lothar Hövelmann, DLG-Hauptgeschäftsführer