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„Die Veredlungsbranche ist völlig verunsichert“

Wolfgang Reimer im DLG-Interview über die Gewinner der neuen GAP und den Aufstieg ländlicher Räume


Die Konsensorientierung in der Agrarpolitik ist derzeit ohne Alternative. Wenn ich einen Sektor wie die landwirtschaftliche Tierhaltung umbauen will, kann ich das nur mit der Branche tun. Hervorheben möchte ich, dass sich die Verbände im vergangenen Jahr doch sehr bewegt haben. Das ist sowohl in der Borchert-Kommission als auch in der Zukunftskommission Landwirtschaft zum Ausdruck gekommen.

Eine Konsensorientierung entspricht dem kooperativen Stil des Bundesagrarministers Cem Özdemir. Gerade beim Umbau der Tierhaltung hat sich die Agrarbranche in die „grüne“ Richtung bewegt. Da muss der Minister nicht mit der Branche in Konflikt gehen, eher schon mit der FDP in der Ampel-Regierung. Denn ohne die Branche geht es nicht. Wir dürfen nicht vergessen, die deutsche Landwirtschaft erzielt etwa die Hälfte ihres Einkommens mit der Tierhaltung.

Für eine Bilanz ist es deutlich zu früh. Die Regierung hat ja eine ganze Weile gebraucht, um sich zusammenzufinden, dann kamen zu Corona der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Diskussionen um die Energieversorgung, die Umsetzung der GAP, die Frage der Getreideversorgung armer Länder und so weiter. Das war ganz sicher kein normales Jahr.

Allerdings stehen mit dem Green Deal und der Umsetzung der GAP-Reform weitere Herausforderungen an, so dass die Agrarpolitik für das Bundeslandwirtschaftsministerium weiterhin im Mittelpunkt stehen wird. Warum die ländlichen Räume gegenüber den Städten im Vorteil sind, erläutert

Wolfgang Reimer,
Vorsitzender der Agrarsozialen Gesellschaft (ASG) im DLG-Interview.

Zur Person:

Wolfgang Reimer führt einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb von etwa 55 ha in Baden-Württemberg. Er war von 2001 bis 2011 im Bundesagrarministerium in Bonn und Berlin in verschiedenen Funktionen tätig. Von 2011 bis 2016 war der Agrarökonom Amtschef im Landwirtschaftsministerium in Stuttgart, dann von 2016 bis 2022 Regierungspräsident im Bezirk Stuttgart. Seit November 2022 ist er ehrenamtlicher Vorsitzender der Agrarsozialen Gesellschaft (ASG). In diesem Gremium ist auch Stefan Zwoll, Leiter Büro der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) in Berlin.

Interview

DLG-Mitgliedernewsletter: Stört es Sie, dass sich Bundesagrarminister Cem Özdemir mehr mit Umweltverbänden als mit der Agrarbranche trifft? Bringt er damit nicht die Landwirte gegen sich auf?

Wolfgang Reimer: Das würde ich nicht überbewerten. Für den Minister wird eher zum Problem, dass es offensichtlich nicht klappt, die Ergebnisse der Borchert-Kommission zum Umbau der Tierhaltung umzusetzen. Da ist einmal das Finanzierungsproblem, weil sich die FDP sperrt, zum anderen war die Vorlage aus dem BMEL zur Tierhaltungskennzeichnung problematisch, weil sie einer praktischen Umsetzung des Umbaus der Tierhaltung nicht gerecht wird. Außerdem ist die Veredelungsbranche völlig verunsichert, was denn nun in Zukunft gelten soll. Beim jetzigen Stand wird niemand in einen teuren Stallum- oder -neubau investieren. Die Länder fangen jetzt an, eigene Investitionsprogramme aufzulegen, so dass das Bundesprogramm außerhalb der GAK noch weniger bewirken wird.

Experten halten den geplanten Umbau der Tierhaltung für nicht realisierbar. Welche Betriebe fühlen sich angesprochen, welche nicht?

Reimer: Das sehe ich anders. Wir hatten ja noch nie eine so große Übereinstimmung in der Branche. Seit dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates des BMEL von 2014 gab es eine breite Diskussion in Landwirtschaft und Gesellschaft zur Zukunft der Tierhaltung. Diese mündete ja in die Vorschläge der Borchert-Kommission, die von den Bauernverbänden, dem Lebensmitteleinzelhandel und sogar von Umwelt- und Tierschutzverbänden mitgetragen wurden. Die Betriebe würden mitziehen.

Geht die ländliche Entwicklung nicht unter bei so viel Tierwohl?

Reimer: Dieser Einwand ist berechtigt. Auch in den absolut ländlich und landwirtschaftlich geprägten Landkreisen trägt die Landwirtschaft nur ein bis zwei Prozent zum jeweiligen Bruttonationalprodukt und den Arbeitsplätzen bei. Das bedeutet, dass wir für die Entwicklung der ländlichen Räume einen viel breiteren Ansatz brauchen, und dem wird ja auch die Agrarsoziale Gesellschaft gerecht. Es geht uns ja insgesamt um die Stärkung der ländlichen Räume, und da muss man alle Bereiche durchdeklinieren, angefangen von der Infrastruktur (Breitband, ÖPNV) über die Bildung (von Kita bis zum Gymnasium) und soziale bzw. medizinische Betreuung bis hin zur allgemeinen Wirtschaftspolitik.

Die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln soll überwiegend mit dem Einsatz von smart Farming erreicht werden. Seien wir mal ehrlich, diese Hightech-Maschinen können sich in den strukturarmen Gebieten im Süden Deutschland weder die landwirtschaftlichen Betriebe noch die Maschinenringe leisten.

Reimer: In der Tendenz haben Sie recht, es gibt aber im Süden auch größere Ackerbaubetriebe, die das anwenden. Allerdings darf man die Reduktion des PSM-Einsatzes nicht nur auf die Technik verkürzen. Die Versuche der Kammern und Landesanstalten zeigen, dass man jetzt schon mit einer um 15 Prozent verringerten Intensität deutlich N Dünger und PSM einsparen könnte, ohne wesentliche Ertragseinbußen zu haben und damit wirtschaftlich gut fährt. Wir werden aus verschiedenen Gründen (Klimawandel, Verringerung Futtermittelimporte usw.) unsere Fruchtfolgen verbreitern müssen. Auch eine engere Kooperation von Viehhaltung und Ackerbau ist sinnvoll, und damit wird nicht nur der Wirtschaftsdünger besser verwendet, sondern es werden mehr Eiweiß- und Ölpflanzen im Ackerbau angebaut. Diese Verbreiterung der Fruchtfolgen ist entscheidend für die Verringerung des PSM-Einsatzes. Und natürlich muss auch mehr in den Köpfen passieren.

Stichwort Digitalisierung. Seit Corona ist das Leben auf dem Land wieder attraktiv geworden. Was braucht es, um im Homeoffice online zu sein?

Reimer: Wir haben derzeit eine Riesenchance für die Aufwertung des Landes. Die Ballungszentren sind zu teuer geworden, und das wird anhalten. Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung haben in der Corona Zeit einen kulturellen Wandel in Bezug auf Homeoffice durchgemacht, und der Fachkräftemangel wird bleiben. Das heißt, ich kann einerseits von viel größeren Entfernungen aus arbeiten als bisher, weil ich ja nur ab und zu pendeln muss, andererseits könnten viele kleinere Dienstleistungsbetriebe vom teuren Ballungszentrum aufs Land ziehen.

Aktuell widmet sich die ASG den leerstehenden Hofgebäuden. Gibt es von Städtern nicht genug Nachfrage nach solchen Immobilien?

Reimer: Es braucht natürlich gewisse Voraussetzungen dafür, dass diese Strategie aufgehen kann. Einerseits brauche ich baurechtliche Erleichterungen, dass ich leerstehende Hofgebäude oder Gebäude im Dorf leichter umwidmen und ausbauen kann, andererseits sind gute Breitbandverbindungen die Voraussetzung. Dann kommen aber auch andere oben schon genannte Infrastrukturausstattungen in erreichbarer Nähe ins Spiel. Entscheidend ist aber auch eine Willkommenskultur örtlicher Bürgermeister, Ortschaftsräte usw., was vor allem in den neuen Bundesländern entscheidend sein wird. Das darf man nicht unterschätzen, das hat in den Dörfern in BaWü, wo ich herkomme, in den 70er und 80er Jahren eine große Rolle gespielt.

Die Junglandwirteprämie ist derzeit sehr gefragt. Ist damit die neue GAP 2027 auf dem richtigen Weg? Für wen rechnet es sich, aus der GAP und damit dem Agrarantrag auszusteigen?

Reimer: Also die Junglandwirte werden ganz sicher nicht  aussteigen, denn diese sind die Hauptprofiteure der aktuellen GAP-Reform. Die großen Ackerbaubetriebe werden auf jeden Fall die Basisprämie mitnehmen und je nach Erwartung bezüglich der Getreidepreisentwicklung andere Angebote annehmen oder ablehnen. Ich rechne damit, dass viele die bürokratischen Neuregelungen nicht in Anspruch nehmen, wenn sich die Getreidepreise auf hohem Niveau halten.

Selbstkritisch müssen wir uns aber auch an der eigenen Nase packen. Wir haben die Bürokratie der GAP selbst provoziert. Zu Zeiten der großen europäischen Agrarreform – wir erinnern uns an die Kommissare MacSharry, Fischler, Fischer-Boel, Ciolos usw. - war eigentlich klar, dass die Direktzahlungen der 1. Säule nur übergangsweise den Abbau von Interventionspreisstützungen und Exportprämien ausgleichen und das Geld dann über die 2. Säule zur Honorierung der gesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft eingesetzt werden sollte. Das hat die Agrarseite erfolgreich verhindert, mit dem Ergebnis, dass zur Legitimation der Gelder der 1. Säule zuerst Greening und Cross Compliance eingeführt wurden und jetzt das ganze Prozedere der 2. Säule auch für die Direktzahlungen gilt, einschließlich eines Strategieplanes von über tausend Seiten.

Das Interview führte: Daphne Huber, agrarticker.de