Weizen und Raps sind nur indirekt beeinflusst
Carlos Mera, Chefanalyst für Agrarrohstoffe der Rabobank in London, zur Inflation.
Anbauflächen, Wetter und Angst vor Versorgungsengpässen sind die wichtigsten Gründe für hohe Agrarpreise. Hohe Kosten für Maschinen, Diesel oder Dünger spielen nur eine untergeordnete Rolle.
Herr Mera, Inflation ist ein zentrales Thema und zu einer Gefahr geworden. Inwieweit sind die Agrarrohstoffe davon betroffen?
Carlos Mera: Die Antwort mag Sie erstaunen: wenig.
Damit hatte ich in der Tat nicht gerechnet! Was ist der Grund?
Mera: Einerseits sind die Rohstoffe bereits vor Beginn der gemessenen Inflation kräftig gestiegen. Die Getreidepreise haben bereits 2020 zu einem Höhenflug angesetzt. Energie war schon im Sommer 2021 teuer, da lagen die Inflationsraten noch bei unter 2 Prozent. Andererseits bilden sich die Rohstoffpreise nur wenig im Endprodukt ab. Denken Sie an den berühmten Mehlanteil im Brötchen. Wenn Backwaren teurer werden, dann hängt das kaum an gestiegenen Mehlpreisen.
Aber andere Rohstoffe wie Metalle, Gas oder Öl steigen doch auch kräftig?
Mera: Ja, aber die kommen von einem niedrigen Niveau und machen an den Gesamtkosten der meisten Lebensmittel viel mehr aus als Stärke, Zucker oder Öl. Von viel größerer Bedeutung ist, dass die Arbeitskosten steigen. Deren Anteil an den Gesamtkosten ist viel höher als der der Ausgangsmaterialien. Energie und Arbeitskosten sorgen für steigende Preise, viel weniger die Rohstoffe.
Also zieht die Inflation die Agrarpreise gar nicht mit?
Mera: Nicht direkt, aber indirekt. Denn auf mittlere Sicht steigen auch die Erzeugungskosten. Und die Preise für Weizen & Co. müssen über den Produktionskosten bleiben, sonst würde die Produktion eingeschränkt. Außerdem gibt es einen „Angsteffekt“. Die Angst vor Versorgungsengpässen, etwa während der Coronapandemie oder zu Beginn des Ukrainekrieges, lässt die Preise steigen. Das hat erst mal nichts mit Inflation zu tun, wirkt aber gleichwohl preistreibend.
Das bedeutet also, dass die Preise auf lange Sicht mit der Inflationsrate steigen, wenn auch zeitverzögert?
Mera: Ja, aber nur bei hohen Inflationsraten. Ein Teil der Preissteigerungen wird ja auch durch den technischen Fortschritt kompensiert. Daher fallen – jenseits von Missernten oder politischen Maßnahmen – die Agrarpreise auch bei zwei oder drei Prozent Inflation. Und am Ende haben gerade bei den Agrarrohstoffen die Anbaufläche und das Wetter einen viel größeren Hebel als die variablen Produktionskosten wie Energie, Betriebsmittel, Löhne oder Maschinen.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang Corona? War dies der Auslöser für eine Verknappung aller Waren und damit der Preissprünge?
Mera: Im Prinzip ist das so. Da wirken zwei Effekte: Die Verteuerung durch höhere Transportkosten und Lieferausfälle. Und noch stärker die Angst vor Versorgungslücken, die zu Käufen um jeden Preis führt. Nach Corona war der Ukrainekrieg im vergangenen Frühjahr ein weiterer Anlass für ein solches Verhalten. Diese Angst wirkt viel stärker preistreibend als die allgemeine Inflationsrate selbst. Nichtsdestotrotz kann sie bestehende Inflationstendenzen verstärken.
Die Angst hat sich ja mit dem Getreidekorridor aus der Ukraine gelegt. Wie wichtig ist dieser eigentlich?
Mera: Zu Beginn war er nicht nur wichtig, sondern für den Preis geradezu entscheidend. Aber mit jedem Monat, der vergeht, sinkt die Bedeutung des Getreidedeals. Je stärker die Vorräte der Ukraine abgebaut sind, je kleiner die Ernteaussichten dort werden, desto mehr verliert die zusätzliche Exportmöglichkeit für die Preisbildung eine Rolle. Überspitzt gesagt: Wenn die Ukraine keine Vorräte hat, braucht sie auch keine Exportmöglichkeit. Ein gutes Beispiel für nachlassende Angst sind die Exportverbote für Palmöl in Indonesien. Das Land hatte vergangenes Jahr die Exporte gestoppt, weil die Preise im Inland zu hoch waren. Sofort stiegen die Weltmarktpreise für Palmöl und alle anderen Pflanzenöle, weil niemand die Lage einzuschätzen wusste – obwohl allen klar war, dass Indonesien irgendwann wieder exportieren musste. Bei späteren Ankündigungen von Exportbeschränkungen reagierte der Markt gelassen, denn man hat inzwischen gelernt, damit umzugehen.
Die Fragen stellte Christian Bickert, DLG-Mitteilungen
Das Interview wurde zuerst veröffentlicht in den DLG-Mitteilungen, Ausgabe 04/2023