Erzeugung von Putenfleisch droht ins Ausland abzuwandern
Leopold Graf von Drechsel hält die BMEL-Vorschläge für unverhältnismäßig
Eigentlich könnte sich die Geflügelbranche glücklich schätzen. Während der Fleischkonsum in Deutschland zurückgeht, ist die Nachfrage nach Geflügelfleisch stabil. Global gesehen steht das Geflügel an der Spitze bei der Fleischerzeugung: Tendenz steigend. Denn das weiße Fleisch ist kostengünstig, ernährungsphysiologisch hochwertig und schneidet in der Ökobilanz im Vergleich zu anderen Fleischarten sehr gut ab.
Also kein Grund zur Klage? Die Antwort ist ein klares „Leider doch!“. Denn mit dem Anstieg der Preise für Futter und Energie wurde eine Welle losgetreten, die seither kaum zu stoppen ist. Mit der Verschiebung von Einstallungen über leer stehende Ställe bis hin zu Betriebsaufgaben – sowohl in der Primärerzeugung als auch in den vor- und nachgelagerten Bereichen steht die Branche massiv unter Druck. Es sind nicht nur die gestiegenen Erzeugerkosten, die es der Geflügelhaltung sehr schwer machen.Die ständigen Einschläge durch die Geflügelpest mit ihren katastrophalen Folgen für die Betriebe – vom Leid der Tiere ganz zu schweigen – machen es nicht leichter.
Die Hoffnung auf einen effektiven Impfstoff ist groß, die politischen Rahmenbedingungen jedoch, die jegliche Klarheit, Konstanz und Sicherheit vermissen lassen, nehmen den Geflügelhaltern die Lust. Ohne stabile und berechenbare Rahmenbedingungen verliert jeder Wirtschaftszweig an Kraft und an auf die Zukunft ausgerichtete Investitionen.
Im Dezember 2022 veröffentlichte das Bundesagrarministerium (BMEL) Eckpunkte mit Mindestanforderungen für die Haltung von Puten, Jung- und Legehennen, Masthühner-Elterntieren sowie Bruderhähnen. Darin werden deutlich reduzierte Besatzdichten für fast alle Geflügelarten vorgeschlagen. Für die Putenhaltung sind die vorgeschlagenen Werte von 40 kg LW/m² für Hähne und 35 kg LW/m² für Hennen besonders unverhältnismäßig. Zum Vergleich: Die Besatzdichten der Initiative Tierwohl (ITW), bei der Lebensmitteleinzelhandel und Geflügelwirtschaft an einem Tisch sitzen und Tierwohlstandards verhandeln, liegen bei 53 kg LW/m² für Hähne und 48 kg LW/m² für Hennen. Und ein Blick ins benachbarte Ausland zeigt: Der Verband der europäischen Geflügelschlachtereien (AVEC) hat Ende 2022 in seinem Managementleitfaden für die Mastputenhaltung Besatzdichten von bis zu 63 kg LW/m² für Hahn und Henne vorgeschlagen.
Negativbeispiel Österreich
Die Forderungen des BMEL gehen also völlig an der Realität vorbei. Die Kostennachteile für deutsche Erzeuger würden dazu führen, dass die Putenfleischerzeugung ins Ausland mit niedrigeren Standards abwandert. Ein Negativbeispiel gibt es mit Österreich bereits. Seitdem dort für Hähne und Hennen die Besatzdichte auf 40 kg LW/m² reduziert wurde, können nur noch 30 Prozent des Bedarfs an Putenfleisch aus heimischer Erzeugung gedeckt werden.
Die Geflügelbranche steht weiteren Verbesserungen des Tierwohls offen gegenüber. Im internationalen Wettbewerb können diese aber nicht im Alleingang, sondern nur über harmonisierte Haltungsstandards auf EU-Ebene erreicht werden.
Im Februar dieses Jahres hat die European Food Safety Authority (EFSA) im Rahmen der laufenden Überarbeitung der EU-Tierschutzgesetzgebung zwei Gutachten zum Tierwohl von Legehennen und Masthühnern mit entsprechenden Haltungsempfehlungen veröffentlicht. Danach sei in der Masthühnerhaltung mit einer Besatzdichte von mehr als 11 kg LW/m² bereits mit Einschränkungen für die Tiergesundheit und das Tierwohl zu rechnen. Also empfiehlt die EFSA eine Reduktion auf nur 11 kg LW/m² pro Masthuhn. Zum Vergleich: Nach der Branchenvereinbarung der ITW werden heute bereits reduzierte 35 kg LW/m² (Stufe 2, Stallhaltung Plus) umgesetzt. Das sind 10 Prozent weniger als gesetzlich gefordert.
Wirtschaftliche Tragfähigkeit nicht ignorieren
Beteiligung von Fachorganisationen und Verbänden? Fehlanzeige. Folgenabschätzung für die Betriebe? Fehlanzeige. Viele europäische Länder, allen voran Deutschland, haben hohe Tierschutzstandards; global gesehen, deutlich höhere als der Rest der Welt. Die Geflügelbranche ist Verbesserungen gegenüber stets aufgeschlossen und verweigert sich den Entwicklungen nicht. Doch darf ‒ dem Nachhaltigkeitsprinzip folgend ‒ bei allen Anstrengungen für mehr Tierwohl die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Erzeugung nicht komplett ignoriert werden. Warum also liegt das wissenschaftlich und mit hohem Aufwand erarbeitete Zukunftskonzept der Borchert-Kommission nach wie vor unbeachtet in der Schublade? Es gäbe den Tierhaltern eine klare Perspektive!
Wir wollen in Deutschland gerne weiterhin ein regional und nachhaltig produziertes Lebensmittel mit höchsten Qualitätsstandards produzieren – aber bitte unter fachkundigen, tiergerechten und auch wirtschaftlich vernünftigen Voraussetzungen. Dass dies im Sinne der Verbraucher ist, wissen wir. Wir sehen es jeden Tag an der Ladentheke.