„Emissionsvorgaben bedrohen Tierhaltung“
Für Albert Stegemann ist der geplante Schwellenwert von 300 GVE eine Tierwohlbremse
Im Europäischen Parlament wird derzeit über die Novellierung der Industrieemissionsrichtlinie (IED) verhandelt. Aktuell fallen rund 9.000 Industrieanlagen in Deutschland unter die Bestimmungen der Richtlinie. Davon sind rund ein Drittel Anlagen der landwirtschaftlichen Tierhaltung.
Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, die Bestimmungen für Industrie und Landwirtschaft drastisch zu verschärfen. Zukünftig sollen damit deutlich mehr Unternehmen eine Genehmigung nach IED benötigen. Allein 185.000 weitere landwirtschaftliche Betriebe in Europa werden künftig zusätzlich in den Anwendungsbereich der IED-Richtlinie fallen.
Zeitaufwändige Nachrüstpflichten
In der Agrarwirtschaft soll der in Großvieheinheiten (GVE) gemessene IED-Schwellenwert von 600 auf 150 reduziert werden. Mit einem Schlag wären über 22.000 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland plötzlich von der IED betroffen. Das entspricht einer Verachtfachung der bisher betroffenen Betriebe. Auch der von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir vorgeschlagene Schwellenwert von 300 GVE stellt eine massive Tierwohlbremse dar. Sie trifft den landwirtschaftlichen Mittelbau und Anlagen, die noch arbeitswirtschaftlich seriös betrieben werden können. Statt den Umbau der Tierhaltung zu gestalten, dürften sich die Betriebsleiter stattdessen mit neuen Auflagen und Nachrüstpflichten, die mit viel Zeit und hohen Kosten einhergehen, herumschlagen.
In dieser Woche hat der Agrarausschuss in Brüssel seine Beschlüsse gefasst und weitere Anpassungen gefordert. Beispielweise soll die Rinderhaltung wieder herausgenommen werden. Federführend ist aber der Umweltausschuss. Im Mai folgt dann die Plenardebatte im Europäischen Parlament, so dass noch vor der Sommerpause die Trilogverhandlungen zwischen Europäischem Rat, EU-Kommission und EU-Parlament starten können.
Vertrauensverlust in der Landwirtschaft
Die Zeit drängt also. Auf vielen Höfen, gerade auf denen, die bisher nicht unter die IED-Richtlinie fallen, ist die Thematik aber noch gar nicht angekommen. Es droht wie bei der FFH-Richtlinie vor 30 Jahren ein enormer Vertrauensverlust. Der ist vor allem durch spätere Auflagen, die auch bei der IED einer „Blackbox“ gleichen, entstanden. Zugleich sollten wir uns abgewöhnen, unerfüllbare Grenzwerte und Ziele zu formulieren. Ansonsten ist das darauffolgende Gerichtsverfahren nur eine Frage der Zeit.
Wir können nicht in öffentlichen Debatten über Offenställe als gesellschaftliches Ziel sprechen, wenn wir diese im Kleingedruckten über das Immissionsrecht unmöglich machen. Wir können nicht das Wasserstoff-Zeitalter fordern und gleichzeitig Genehmigungsverfahren für Elektrolyseure um zwei bis drei Jahre verlängern. Für diese Glaubwürdigkeitslücke zahlen wir ansonsten als Demokratie insgesamt bei den anstehenden Europawahlen im Juni 2024 einen hohen Preis.
Neue Richtlinie bindet Finanzmittel
Die Überarbeitung der Industrieemissionsrichtlinie mag also gut gemeint sein, sie hat aber fatale Auswirkungen auf die angestrebte Transformation Europas – insbesondere in der Landwirtschaft. Die neue Richtline würde keine Zielkonflikte lösen, sondern Transformationsprozesse ausbremsen. Sie bindet damit Finanzmittel, die für andere Maßnahmen wie wirtschaftliche Transformation oder die Verbesserung des Tierwohls in der Landwirtschaft dringend erforderlich wären. Zugleich schafft sie keine Lösungen.
Es hilft ein Blick nach China, wo die Ernährungssicherheit national oberste Priorität einnimmt. Dazu gehört auch ein möglichst umfassender Selbstversorgungsgrad, der in deutschen Debatten oftmals eher Vorwurf als Lob für die eigene Wettbewerbsfähigkeit ist.
Auch wir brauchen in Europa und Deutschland eine klare Priorisierung unserer Ziele. Wir müssen uns ehrlich machen. Alle Ziele lassen sich nicht zeitgleich in hoher Geschwindigkeit erreichen. Andernfalls werden wir uns am Ende gänzlich verzetteln und den gesellschaftlichen Rückhalt verlieren.
Daher werbe ich dafür, dass wir uns in Europa klare Zielvorgaben für das Jahr 2045 setzen. Wir sollten auf die Ziele aber nicht mit Mikromanagement reagieren. Denn unsere bereits auf dem Tisch liegenden Ziele, beispielsweise die 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung oder die Klimaneutralität bis 2045, werden wir nicht durch höhere bürokratische Hürden für unsere Unternehmen erreichen.
Betriebe legen Transformationspläne fest
Stattdessen können und dürfen wir von den Betrieben in Europa, egal ob Landwirtschaft oder Industrie, erwarten, dass diese für sich Transformationspläne machen, wie sie die Zielvorgaben in Ihrem Betrieb mit Leben füllen wollen und werden.
Statt uns im Klein-Klein zu verzetteln, sollten wir uns gemeinsam auf den Weg machen und die Weichen so stellen, dass unsere landwirtschaftlichen Betriebe eine nachhaltige und innovative Landwirtschaft in Europa in Zeiten des Klimawandels leisten können.
Dann werden wir auch in den kommenden Jahrzehnten – trotz aller vor uns liegenden Herausforderungen – ein starker Wirtschafts- und damit Wohlfahrtsstandort bleiben.