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Zurück in die Mitte der Gesellschaft!

Susanne Schulze Bockeloh zum „Projekt #Zukunftsbauer“

Seit Jahren kämpft die Landwirtschaft in Deutschland mit einem ernsten Akzeptanzproblem: Haltungsbedingungen und Produktionsverfahren auf unseren landwirtschaftlichen Betrieben werden von führenden Medien, politischen Parteien und Nichtregierungsorganisationen als nicht mehr legitim abgelehnt. Diese Kritik ist ernst zu nehmen, denn sie ist Ausdruck eines tiefgreifenden und vermutlich auch langfristig stabilen gesellschaftlichen Wertewandels. Mit immer neuen Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz in der Landwirtschaft steigen die Produktionskosten in der Branche, während die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher stagniert. An diesem Befund haben im Kern auch die Verwerfungen durch den Krieg in der Ukraine wenig geändert. Was Not tut, sind neue Ansätze und neue Konzepte.

Vor diesen Erkenntnissen setzten der Deutsche Bauernverband und die Landesbauernverbände Ende 2021 eine Arbeitsgruppe ein mit dem Auftrag, außerhalb der bestehenden Gremienstruktur die Zukunft der Landwirtschaft in der Gesellschaft „mit Beinfreiheit“ neu zu denken. Die Arbeitsgruppe wurde mit Landwirten und Landwirtinnen aus den Landesbauernverbänden besetzt und stützte ihre Arbeit inhaltlich vor allem auf zwei Dokumente, die 2021 veröffentlicht worden waren:

Das erste Dokument war der 2021 vorgelegte Abschlussbericht der „Zukunftskommission Landwirtschaft“, in dem erstmals die Dauerkonfrontation zwischen der Landwirtschaft und den kritischen Gruppen aus dem Natur-, Umwelt- und Tierschutz überwunden und eine Verständigung auf Kompromisslinien erzielt werden konnte. 

Das zweite Dokument war eine Studie der Kölner Marktforschungsagentur Rheingold Salon zu der Frage, welche Möglichkeiten die Landwirtschaft besitzt, in der Gesellschaft von heute neue Wertschätzung zu erfahren. Danach leben die deutschen Landwirte und Landwirtinnen und die nicht-landwirtschaftliche Bevölkerung in getrennten Parallelwelten. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, überholte Bilder voneinander zu haben, wobei eigenes Fehlverhalten nur selten eingestanden wird. Man spielt das bekannte „Schwarzer-Peter-Spiel“, Bereitschaft zu Selbstkritik ist kaum vorhanden. Die deutsche Bevölkerung zeigt keine Wertschätzung für die Tatsache, dass die heimische Landwirtschaft die Ernährungssicherheit gewährleistet und sieht die Landwirtschaft als Gefahr für die Natur.

Die Studie zeigte jedoch auch, dass es aktuell die Chance gibt, einen Image-Wandel hin zu einem positiven Bild der Landwirtschaft einzuleiten – indem die Branche das Bild des „Zukunfts-Bauern“ mit Leben füllt und aktiv kommuniziert. 

Die „AG Zukunftsbauer“ hat ihre Empfehlungen auf dem Deutschen Bauerntag 2022 in Lübeck zur Diskussion gestellt. Sie plädiert im Kern für einen radikalen Wandel und empfiehlt den Bauernfamilien und ihrer Interessenvertretung einen echten Paradigmenwechsel hin zu einem neuen Selbstverständnis (Veränderung in den Köpfen), einem neuen Rollenverständnis (Veränderung im Handeln) und einer neuen Kommunikation (mit neuen Konzepten und sicherer Finanzierung). Inhaltlich geht es um das Verlassen der „Agrarblase“, Kooperationen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, einen ehrlicheren Umgang mit Zielkonflikten und vor allem den Ausstieg aus der weit verbreiteten „Opferrolle“, in der sich viele Landwirte und Landwirtinnen – bewusst oder unbewusst – befinden. Die AG schlägt weiter vor, dass sich die Landwirtschaft künftig auch als Dienstleister für den Natur- und Klimaschutz unternehmerisch betätigt, als Teil der Lösung für viele gesellschaftliche Probleme auftritt und den gesellschaftlichen Wandel grundsätzlich als Chance für neue Geschäftsmodelle begreift.

Der „Zukunfts-Bauer“ ist weiterhin Garant für Versorgungssicherheit bei Nahrungsmitteln, baut aber immer öfter auch – gemeinsam mit anderen – mit an der Zukunft unseres gesamten Landes. Dieser Typus des Landwirts oder der Landwirtin, die es heute durchaus schon gibt, zeichnet sich aus durch eine konsequent unternehmerische, konstruktive Haltung und eine ausgeprägte kommunikative Stärke. Der „Zukunfts-Bauer“ meint nicht nur den Landwirt, die Landwirtin, sondern entsprechend der ZKL ist für die Zukunft der Landwirtschaft die gesamte Gesellschaft verantwortlich.

Das „Projekt #Zukunftsbauer“ ist auf Jahre angelegt und ein Thema für die gesamte Branche – auch hier liegt Stärke in der Gemeinsamkeit. Um es zu einem durchgreifenden Erfolg zu machen, braucht es Mut, Ressourcen, Entschlossenheit und einen langen Atem. Auf dem Deutschen Bauerntag 2023 werden die Delegierten einen ersten Zwischenbericht zum Stand des Projekts diskutieren.

Ja, die Zeiten werden sicherlich nicht einfacher, aber es ist unsere Zeit! Deshalb sollten wir die Chancen und Perspektiven, die das Projekt „Zukunfts-Bauer“ bietet, gemeinsam nutzen!


Susanne Schulz Bockeloh
Vize-Präsidentin Deutscher Bauernverband (DBV),
Diplom-Landwirtin, Münster