Vom Landwirt zum Ökosystemwirt
Stefanie Pionke zu den vielfältigen Facetten der Regenerativen Landwirtschaft
Die Regenerative Landwirtschaft ist eine „vielversprechende Idee“, auch wenn es für dieses neue Konzept noch keine festgeschriebene Definition gibt. Diese Beobachtung traf DLG-Präsident Hubertus Paetow auf dem DLG-Kolloquium 2023 am Dienstag in Berlin. Vielversprechend an dem Konzept der Regenerativen Landwirtschaft sei das Ziel, ein Mehr an Nachhaltigkeit in der Bewirtschaftung mit dem Erhalt der Produktivität in Einklang zu bringen. Neu und begrüßenswert sei auch, dass das Konzept der Regenerativen Landwirtschaft „dynamisch in Hinblick auf die Zielerreichung“ sei. Sprich: Die Herangehensweise zur Erreichung von Zielen wie eine verbesserte Bodenqualität oder Biodiversität könne erfolgsbasiert angepasst werden. Das sei zielführender als ein „starres Festhalten an Regularien“.
PD Dr. Gernot Bodner von der Universität für Bodenkultur in Wien identifizierte auf dem DLG-Kolloquium in seinem Vortrag mehrere Treiber, die dem Konzept der Regenerativen Landwirtschaft Vorschub leisten. Das EU-Klimaschutz- und -Nachhaltigkeitsprogramm Green Deal etwa beinhalte im Bereich Landwirtschaft viele Anforderungen, die einen guten Zustand der Böden zum Ziel hätten. Darüber hinaus zeige sich in vielen europäischen Ländern ein Trend zur konservierenden Bodenbearbeitung. Fortschritte in der Landtechnik, wie etwa durch Systeme zur teilflächenspezifischen Bewirtschaftung, würden außerdem ihren Teil zur wachsenden Bedeutung des Konzepts der Regenerativen Landwirtschaft beitragen. Zudem seien Regenerative Landwirtschaft oder No-Till-Systeme eher auf Betrieben mit großen Flächen anzutreffen, beobachtete Bodner.
Zunahme des Bodenwassergehaltes
Ob Markterwartungen ein Treiber für die Regenerative Landwirtschaft sein können, bleibe abzuwarten, sagte der Experte von der Universität für Bodenkultur in Wien. Beim biologischen Landbau sei dies mit einem eigenen Marktsegment, das sich im Laufe der Zeit herausgebildet habe, der Fall. Einige „Big Player“ aus der Nahrungsmittelindustrie würden bereits auf den Trend setzen.
Zwar würde Regenerative Landwirtschaft auch gegenüber intensiveren Ansätzen mit Ertragsrückgängen einhergehen; Bodner skizzierte aber auch Win-Win-Situationen, etwa bei der Verbesserung des Bodenwassergehalts. Nach seinem Definitionsansatz ist Regenerative Landwirtschaft eine Form der „bodenbiologiezentrierten Landwirtschaft“, deren Schwerpunkte auf einer minimalen Bodenbearbeitung, Erhaltung der Wurzelsysteme, der Bodenbedeckung oder vielfältigen Fruchtfolgen liegen.
Fokus auf vorbeugende Maßnahmen legen
Prof. Verena Haberlah-Korr von der Fachhochschule Südwestfalen in Soest ging der Frage nach, inwieweit der Integrierte Pflanzenschutz Bestandteil der Regenerativen Landwirtschaft sei. Wie der Integrierte Pflanzenschutz auch, setze die Regenerative Landwirtschaft stark auf vorbeugende Maßnahmen, um die Böden gesund zu halten. Dazu zählten Zwischenfrüchte oder der Einsatz der Direktsaat, um für eine maximale Bodenbedeckung zu sorgen, weite Fruchtfolgen sowie die Wahl von widerstandsfähigen Sorten. Zudem fänden sich im Integrierten Pflanzenschutz Ansätze, Schadinsekten durch Begleitsaaten abzuwehren. Der „Instrumentenkasten“ des Integrierten Pflanzenschutzes könne also durchaus auch bei der Regenerativen Landwirtschaft zum Einsatz kommen, so Haberlah-Korr. Allerdings werde Pflanzenschutz als „Medizin“ weiterhin benötigt.
Weiterentwicklung der modernen Landwirtschaft
Die Regenerative Landwirtschaft eignet sich als „Role Model“, als Vorbild, für die Weiterentwicklung der modernen Landwirtschaft. Diese Auffassung vertrat Lea Fließ, Geschäftsführerin des Forums Moderne Landwirtschaft, auf dem DLG-Kolloquium in Berlin. In der medialen Diskussion werde Regenerative Landwirtschaft sowohl von der Fach- als auch von der Publikumspresse als „Problemlöser“ betrachtet, so Fließ weiter. Das Konzept beschere der modernen Landwirtschaft somit positive Aufmerksamkeit in der Gesellschaft.
Das Forum Moderne Landwirtschaft und seine Mitglieder würden Regenerative Landwirtschaft als „das Beste aus beiden Welten“, also der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft, definieren, betonte Fließ. Denn wissenschaftlich fundierte Praktiken aus beiden Ansätzen mit einem erwiesenen Nutzen für Bodengesundheit, Klimaschutz, Biodiversität und Ertragsresilienz würden in dem Konzept zum Einsatz kommen.
Abschied von etablierten Lehrsätzen
Landwirt Jan Große-Kleimann hat derweil die Umstellung des konventionellen Schweinemast- und Ackerbaubetriebs seiner Familie auf die Praktiken der Regenerativen Landwirtschaft begonnen. Er plädierte für mehrdimensionale Lösungsansätze in der Bewirtschaftung. Diese bestehen für ihn in einer Behebung von Ursachen bestehender Probleme wie beispielsweise Erosion, statt einer bloßen Bekämpfung von Symptomen. Er betonte zudem, dass die „Transformation“, der Wandel der Bewirtschaftung hin zur Regenerativen Landwirtschaft, „im Kopf beginnt“ – und mit einem Loslassen etablierter Lehrsätze einherginge: „Was kann ich heute unterstützen“, und nicht, „was kann ich heute bekämpfen“, laute die grundlegende Frage in der ganzheitlichen Landnutzung, unterstrich der Landwirt.
Auf seinem Hof im Münsterland setzt Große-Kleimann das Konzept der Regenerativen Landwirtschaft unter anderem in einem „Apfel-Agroforstsystem“ um. Darin würden der Getreideanbau und Obstbau miteinander kombiniert, berichtete er auf dem DLG-Kolloquium. Das Agroforstsystem erlaube dem Betrieb eine Diversifizierung in die Brotroggenvermarktung, da der Brotroggenanbau in das System integriert sei. Zudem würden wichtige Ökosystemleistungen erbracht: „Tiere, Vögel kommen durch die Vielfalt der Kulturen zurück“, so Große-Kleimann.
Sichtbare Erfolge im Bodenaufbau brauchen Zeit
Er verhehlte gleichzeitig nicht, dass die Transformation zur Regenerativen Landwirtschaft, oder auch vom „Landwirt zum Ökosystemwirt“, Arbeit, Geld und Geduld erfordere: Zentral, aber auch aufwendig ist aus Sicht des Landwirts die Kommunikation mit der Gesellschaft. Diese sei essenziell für die Wertschätzung und Kaufbereitschaft von Erzeugnissen aus Regenerativer Landwirtschaft. Der Familienhof Große-Kleimann habe dazu beispielsweise eine Pflanzaktion für die Apfelbaum-Alleen im eigenen Agroforstsystem durchgeführt. Auch würden Erfolge im Bodenaufbau einige Jahre Zeit brauchen, bis sie sichtbar würden. Und schließlich müsse man es aushalten, „die Transformation zu finanzieren“.
Positive Wahrnehmung in der Gesellschaft
Die Regenerative Landwirtschaft verhilft der modernen Landwirtschaft zudem zu einer positiven Wahrnehmung in der Gesellschaft. Das betonte Lea Fließ, Geschäftsführerin des Forums Moderne Landwirtschaft, auf dem DLG-Kolloquium. Das Konzept werde sowohl in der Fachpresse als auch in Publikumsmedien als „Problemlöser“ für Fragestellungen rund um die Nachhaltigkeit betrachtet. Ein Grund dafür: Die Regenerative Landwirtschaft ist quasi „das Beste beider Welten“: Sie vereint Praktiken aus der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft, die sich erwiesenermaßen positiv auf die Bodenqualität, Biodiversität und die Ertragsresilienz auswirken.
Stefanie Pionke,
DLG-Redakteurin Kommunikation /
Projektmanagerin Newsroom
s.pionke@dlg.org
1
Dr. Achim Schaffner, DLG, moderierte das DLG-Kolloquium „Regenerative Landwirtschaft.“
2
„Regenerative Landwirtschaft ist eine vielversprechende Idee“, betont DLG-Präsident Hubertus Paetow
3
Dr. Gernot Bodner, BOKU Wien: „Die Regenerative Landwirtschaft lenkt den Blick auf bodenbiologische Prozesse.“
4
Prof. Verena Haberlah-Korr FH Südwestfalen: „Wir brauchen die Pflanzenschutzmittel bei Bedarf als Medizin.“
5
Lea Fließ, Forum Moderne Landwirtschaft: „Die Regenerative Landwirtschaft hat das Potenzial die Landwirte und die Bevölkerung einander wieder näher zu bringen.“
6
Jan Große-Kleimann, Landwirt aus Steinfurt (NRW): „Wir bauen hier ganze Ökosysteme wieder auf.“
Tisch1
Bei den Tischgesprächen wurde rege über das gehörte disktuiert.
Tisch2
Bei den Tischgesprächen wurde rege über das gehörte disktuiert.
Saal
Bis auf den letzten Platz war das DLG-Kolloquium 2023 in Berlin ausgebucht.