„Ganz ohne Nachweispflichten geht es nicht“
Bundesagrarminister Cem Özdemir über Bürokratieabbau, politische Prioritäten und die Koexistenz von ökologischer und konventioneller Landwirtschaft
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir betont im DLG-Interview, dass beim Abbau bürokratischer Hürden alle gefordert sind und hofft auf gute Anregungen aus dem Dialognetzwerk Landwirtschaft. Zur zukünftigen Förderung innovativer Technologien nach dem Auslaufen des Investitionsprogramms Landwirtschaft in diesem Jahr laufen im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) gegenwärtig noch die Überlegungen. Bei den Themen Neue Genomische Techniken (NGT) und ökologische versus konventionelle Landwirtschaft spricht sich der Minister für eine ideologiefreie Herangehensweise aus. Bundesagrarminister Cem Özdemir hielt auf der DLG-Mitgliederversammlung im Rahmen der DLG-Wintertagung 2024 in Leipzig eine Keynote.
DLG: Landwirtinnen und Landwirte bemängeln häufig bürokratische Belastungen, etwa durch Mehrfachdokumentation ähnlicher oder identischer Vorgänge, fehlende digitale Schnittstellen und Vernetzung der Behörden untereinander. Wie will das BMEL hier Abhilfe schaffen?
Bundesagrarminister Cem Özdemir: Der Wunsch nach weniger Bürokratie kommt in fast jedem meiner Gespräche auf – vor allem in den letzten Wochen. Ich glaube, man kann ein hohes Niveau bei Umweltschutz, Tierwohl und an handwerklicher Verarbeitung haben − und das trotzdem bürokratieärmer machen. Wir packen das jetzt intensiv an. Zusammen mit dem Wirtschaftsministerium prüfen wir, wie mit Praxischecks bürokratische Hürden identifiziert werden können.
Welche Schritte sind dazu konkret eingeleitet?
Mit den Betrieben diskutieren wir das Thema in unserem Dialognetzwerk Landwirtschaft, und ich hoffe, dass wir da aus der Praxis guten Input bekommen. Zudem habe ich die Länder gebeten, dass sie im Februar konkrete Vorschläge für weniger Bürokratie vorlegen. Wenn wir Bürokratieabbau ernst meinen, sind da alle gefordert – immer nur auf die nächsthöhere Ebene zu verweisen, bringt uns nicht weiter. Ich spreche übrigens bewusst von „weniger Bürokratie“, denn ganz ohne Nachweispflichten geht es nicht.
Die aktuellen Proteste in der Landwirtschaft stehen im Widerspruch zu einer gegenwärtig vergleichsweisen soliden wirtschaftlichen Situation der Erzeugerinnen und Erzeuger: Welche Handlungsoptionen sehen Sie beziehungsweise das BMEL, um den Landwirtinnen und Landwirten positive Zukunftsperspektiven zu eröffnen?
Der Agrardiesel oder die Kfz-Steuer waren ja nur der Anlass für die jetzigen Proteste. Der Grund liegt aber tiefer: Wenn innerhalb von zehn Jahren die Hälfte der Schweinehalter aufgibt oder man als Hof nicht sicher sein kann, was man für seine Milch bekommt, wenn man die bei der Molkerei abliefert, dann stimmt doch was nicht. Ich will nicht immer in der Vergangenheit rumwühlen, aber die Agrarpolitik der letzten Dekaden mit ihrem „wachse oder weiche“ war wirtschaftlich gesehen wenig nachhaltig. Gleichzeitig wurden gesellschaftliche Entwicklungen ignoriert, auch das rächt sich. Das zu ändern, damit unsere Landwirtinnen und Landwirte verlässlichere Rahmenbedingungen haben, treibt mich politisch an.
Wenn Sie die Schaffung verlässlicher Rahmenbedingungen politisch antreibt, was tun Sie in der Praxis dafür?
Nehmen Sie die Tierhaltung. Da haben wir schon jetzt mehr für die Höfe erreicht als in den letzten 20 Jahren zusammengenommen: Tierhaltungskennzeichnung, Herkunftskennzeichnung – beide Forderungen der Landwirtschaft sind umgesetzt. Ich habe mit einer Milliarde Euro Anschubfinanzierung mehr Geld bereitgestellt für eine zukunftsfeste Tierhaltung als jede Bundesregierung zuvor. Jetzt gilt es, das zu verstetigen und weiter auszubauen. Und der wichtigste Punkt ist und bleibt natürlich die Gemeinsame Agrarpolitik der EU, hier müssen wir mit Blick auf die nächste Förderperiode ab 2027 den Hebel umlegen. Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen, darum muss es gehen, damit die Landwirtschaft honoriert wird, die einen Mehrwert für beispielsweise Klima- und Umweltschutz, Biodiversität oder Tierwohl schafft.
In der Agrarwirtschaft werden bisweilen eine zu starke Prozesslastigkeit und mangelnde Ergebnisorientierung in den politischen Prozessen kritisiert. Inwiefern sind hier Reformen hin zu einer stärkeren Zielorientierung bei gleichzeitiger Technologieoffenheit denkbar – ein konkretes Beispiel wäre mehr Offenheit bei Neuen Genomischen Techniken (NGT)?
Das Beispiel taugt meiner Meinung nicht wirklich. Auch viele konventionelle Betriebe werben mit der Gentechnikfreiheit und dahinter steht ein milliardenschwerer, funktionierender Markt – das bestreiten ja weder Gegner noch Befürworter. Ich gehe das Thema nicht ideologisch an und ich rate dazu, nicht auf diejenigen zu hören, die am liebsten in alte Schwarz-Weiß-Debatten zurückfallen wollen, weil das die Welt so schön einfach macht. Auf der einen Seite diejenigen, die pauschal alles verteufeln, auf der anderen Seite diejenigen, die darin die großen Heilsversprechen sehen. Daher freue ich mich, dass es auch viele gibt, die sehr pragmatisch diskutieren.
Wo liegen bei dem Thema Ihre politischen Prioritäten?
Mir sind zwei Aspekte bei der Neuregelung wichtig: Erstens Koexistenz zwischen denjenigen, die mit, und denen, die ohne Agrogentechnik arbeiten wollen. Unsere Land- und Lebensmittelwirtschaft, egal ob konventionell oder ökologisch, darf durch neue Regeln nicht in ihrer wirtschaftlichen Substanz gefährdet werden. Kurz: Wer gentechnikfrei wirtschaften möchte, muss das weiterhin tun können. Das muss für die gesamte Wertschöpfungskette gelten. Und zweitens: Patentfreiheit. Wir haben gerade in Deutschland starke mittelständische Züchtungsunternehmen, die über einen riesigen Werkzeugkoffer verfügen, um an den Pflanzen der Zukunft zu forschen.
Im Bereich der Landtechnik gibt es viele Innovationen. Wie will das BMEL die Anwendung und Verbreitung dieser Innovationen zukünftig – nach Auslaufen des Investitionsprogramms Landwirtschaft – effektiv fördern?
Was konkret das Investitionsprogramm angeht, laufen die Überlegungen noch. Aber natürlich unterstützen wir die Weiterentwicklung der Landwirtschaft weiterhin. Mir fallen da wirklich viele Beispiele ein, stoppen Sie mich also einfach … (lacht).
Dann legen Sie mal los …
Nehmen Sie etwa unsere Bekanntmachung zum Gartenbau 4.0, mit der innovative, nachhaltige Technologien in dem Bereich weiterentwickelt werden sollen. Oder unsere digitalen Experimentierfelder, also digitale Testfelder direkt auf den Höfen. Und weil ich auch für die ländlichen Räume zuständig bin, noch ein letztes Beispiel: unsere Förderung ländlicher Zukunftsregionen. Sie sehen, die Angebote sind vielfältig und gut angenommen werden sie auch.
Wie steht das BMEL zu einer Verbindung von Ökolandbau und konventioneller Landwirtschaft als möglichem Modell für eine zukunftsorientiere Landwirtschaft?
Diese strikte Trennung herrscht aus meiner Sicht nur auf dem Papier. Wenn Sie auf die Höfe gehen, sind die Gräben schon lange zugeschüttet. Ich weiß, dass die Betriebe voneinander lernen. Ich habe das in der Tierhaltung gesehen, wo tierwohlgerechte Stallkonzepte übernommen werden. Oder im Pflanzenbau: Hier hat der Ökolandbau die Entwicklungen zu den hochtechnisierten mechanischen Verfahren beim Pflanzenschutz angestoßen und heute sind sie Standard in konventionellen Betrieben – und die deutsche Landmaschinenindustrie verfügt über Exportschlager. Parallel tauschen sich der konventionelle Betrieb und sein Öko-Kollege von nebenan zu Fruchtfolgen und Leguminosen aus. Spannend finde ich auch, was sich unter dem Stichwort der regenerativen Landwirtschaft tut. Die Landwirtschaft wird sich in jedem Fall weiterentwickeln, wie sie es auch immer getan hat und wie es auch in der ZKL und in der Borchert-Kommission Konsens ist. Dass sich eine Weiterentwicklung in Richtung Nachhaltigkeit für die Betriebe lohnt, das begleiten wir mit Nachdruck.
Interview: Stefanie Pionke, DLG-Kommunikation