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Nichts ist beständiger als der Wandel!

Gunther Lötzke zur neuen Definition von Wertvorstellungen in der Landwirtschaft

Das Herz schlug höher, als wir hunderte oder tausende von Traktoren mit Rundumlicht im Fernsehen oder auf Pressefotos gesehen haben. Berlin fest in Bauernhand! Manch einer der demonstrierenden Landwirte und Landwirtinnen kam angesichts des Zuspruchs aus der Bevölkerung wie berauscht zurück nach Hause. Mitbürger und Mitbürgerinnen hatten aus Sympathie den in der Kälte Stehenden Kaffee, Suppe und Brot gebracht. Es gab viel positiven Zuspruch. Es wurde gewunken, gehupt und applaudiert. Das war ein großer und wichtiger Moment für die Landwirtschaft in Deutschland.

Trotz aller öffentlicher Kritik an der Landwirtschaft, die es in den letzten Jahren gegeben hat, scheinen die Bürger und Bürgerinnen doch hinter den Menschen zu stehen, die tagtäglich für die Grundversorgung der Bevölkerung arbeiten. So scheint also die Bedeutung des Agrarsektors als staatstragende Kraft im Bewusstsein der Mitbürger und Mitbürgerinnen verankert zu sein, auch wenn in den vergangenen Jahrzehnten eine fortschreitende Entfremdung von der landwirtschaftlichen Praxis stattgefunden hat.

Doch was folgt nun aus einem Protest, dessen Aufhänger das Festhalten an alten Strukturen ist? Strukturen, die eigentlich Gegenstand des Protestes waren, denn viele Landwirt*innen äußerten sich in den sozialen Medien und forderten ein Ende der Subventionspolitik. Ihnen sei ein gerechter Preis für ihre Produkte lieber als der Staatstropf mit Sanktionskatalog und ausufernder Bürokratie. Es wird ein Wandel gewünscht, der weit über eine veränderte Agrarpolitik hinausgeht.

Neues Denkmuster in den Köpfen

Wenn die Landwirtschaft eine Veränderung hin zu gerechten Preisen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und erbrachte Gemeinwohlleistungen fordert, impliziert dieser Wunsch die Forderung nach neuen Denkmustern in den Köpfen der gesamten Bevölkerung. Lebensmittel würden wieder als wertvolles Mittel für gutes, individuelles Leben verstanden, erbrachte Leistungen für Natur und Umwelt wären keine Belastung, sondern ein Beitrag zum spürbaren Wohlergehen der Gesellschaft. Kurzum, Erzeuger, Erzeugerinnen, Verbraucher und Verbraucherinnen sowie alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette müssten ihrer Wertevorstellungen neu definieren.

Tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen gingen oft geschichtsträchtige Ereignisse voraus. Neue Formen des Zusammenlebens oder Trends entstehen nach wie vor aufgrund der Ablehnung des Alten oder der Sehnsucht nach etwas Neuem. Es sind aber auch Erkenntnisse aus Wissenschaft und Gesellschaft, die Impulse für Neuorientierung geben. Allen gemein ist, dass es ein Ziel gibt! Bedeutsam wird das jeweilige Ziel, indem es formuliert und ausgesprochen wird.

Ein Beispiel für die Wandlungsfähigkeit der Landwirtschaft stellt der Ökolandbau dar. Es waren gesellschaftliche und politische Entwicklungen, die die Gründer und Gründerinnen dazu bewogen haben, eine andere Form der Landwirtschaft betreiben zu wollen. In den 1920-iger Jahren stellte Demeter eine Gegenbewegung zu dem beginnenden Zeitalter der chemisch-synthetisch getriebenen Landwirtschaft dar. Von 1970 bis in die 80iger Jahre gründeten sich die Öko-Anbauverbände Bioland und Naturland in einer Zeit, die durch den fortwährenden Vietnamkrieg, die Friedensbewegung, den NATO-Doppelbeschluss und durch Probleme aufgrund von Umweltverschmutzung geprägt waren.

Den Ökoverbänden ist es gelungen, mit ihren selbstverordneten Richtlinien eine andere Landwirtschaft zu etablieren und Teile der Bevölkerung von ihrer Arbeit zu überzeugen und als Kunden zu gewinnen. Durch weitergehende Vorgaben für Verarbeiter und Händler wurden assoziative Partnerschaften mit der Landwirtschaft aufgebaut.

Wenn sich also die Landwirtschaft – sowohl konventionell als auch ökologisch – nach einem Wandel in Gesellschaft und Politik sehnt, dann sollte sie jetzt die hohe öffentliche Aufmerksamkeit nutzen und selbst Ziele benennen bzw. neue Wege beschreiben. Ein Ende staatlicher Einkommensstützung bietet die Chance, ohne Scheuklappen selbstbestimmt unternehmerisch agieren zu können. Je klarer die Ziele sind, auf die wir zulaufen wollen, umso weniger benötigen wir die Führung durch den staatlichen Zügel. „Ziele statt Zügel“ lautete das Thema der diejährigen DLG-Wintertagung 2024 Mitte Februar in Leipzig.


Gunther Lötzke,
Vorsitzender DLG-Ausschuss Ökolandbau,
Gutsverwalter, Freiherr von der Borch´sche Verwaltung Gut Holzhausen