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So viel wie nötig, so wenig wie möglich

Anzahl von Wirkstoffen nimmt ab – Kombination von Prognosemodellen und Sortengenetik spart Pflanzenschutzmaßnahmen ein

Der integrierte Pflanzenschutz rückt nach dem Aus der europäischen Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) wieder mehr in den Fokus. Diese Auffassung vertrat Prof. Verena Haberlah-Korr, Vorsitzende des DLG-Ausschusses für Pflanzenschutz, auf der DLG-Wintertagung vor Kurzem in Leipzig. Die Wissenschaftlerin an der FH Südwestfalen in Soest kündigte ein Positionspapier des DLG-Ausschusses in diesem Frühjahr an. Mit fachlich fundiertem Wissen möchten die Mitglieder zum besseren Verständnis von Pflanzenschutz in der Bevölkerung beitragen.

Die Politik sucht nach dem Scheitern der SUR im Europaparlament nach kooperativen Lösungen zwischen Pflanzenschutz und Naturschutz, eröffnete Prof. Verena Haberlah-Korr das Impulsforum „Pflanzenschutz von Morgen – integrierte Maßnahmen konkret umsetzen“. Hier sei der integrierte Pflanzenschutz der Hoffnungsträger, zum einen zur Sicherung von Erträgen und zum anderen, um politisch gewollte Pflanzenschutzmittel-Reduktionsziele zu erfüllen, Nach dem Motto: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich an chemischem Pflanzenschutz“. Der integrierte Pflanzenschutz habe das Potenzial dazu, diese Vorgaben zu erreichen. Doch hapere es noch mit der konsequenten Umsetzung, so die Expertin. Lösungsvorschläge, wie eine Kombination verschiedener Maßnahmen zum Pflanzenschutz künftig zum Einsatz kommen könnte, diskutieren die Referenten und Teilnehmer des Impulsforums.

Weniger Wirkstoffe

Hohe Erwartungen in Sachen nachhaltigem Pflanzenschutz werden beispielsweise an die Züchtung gestellt. Dr. Bernd Rodemann, stellvertretender Institutsleiter im Institut für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland am Julius Kühn-Institut (JKI) in Braunschweig, beschäftigt sich mit der Nutzung der Sortenresistenz sowie der Wirksamkeit von Fungiziden und ist selbst praktizierender Landwirt.

Eingangs wies der Forscher darauf hin, dass die Anzahl der verfügbaren Wirkstoffe in den vergangenen Jahren abgenommen habe. Die Erwartungen, dass biologische Produkte diese Lücke ersetzen, habe sich aufgrund der nur wenig verfügbaren Mittel nicht erfüllt. So gibt es bei den Fungiziden in Getreide nur noch drei Wirkstoffgruppen. Gravierender sei die Situation bei Insektiziden, die, so Rodemann, fast nur über die Pyrethroide abgedeckt werden. Derzeit seien kaum neue Wirkstoffe in Sicht.

Anzahl von Behandlungen verringern

Bis 2030 soll in der EU der Einsatz von Pflanzenschutz um die Hälfte reduziert werden. Am Beispiel eines Behandlungsindizes von 7,9, den das JKI für Raps ermittelte, seien die Werte immer noch hoch. Hier sei die Aufgabe, Umweltschutz zu betreiben und die Anzahl der Behandlungen zu verringern. Viele Investitionen richten sich auf die Entwicklung von Prognosemodellen und Entscheidungshilfen, um punktuell bei Überschreiten der Schadschwellen Maßnahmen durchzuführen. Vorangetrieben werde auch die Resistenzzüchtung, um die Voraussetzungen für einen Pflanzenschutz ohne chemische Mittel zu schaffen. Ferner nennt Rodemann Drohnen und andere digitale Techniken, um den integrierten Pflanzenschutz zu stärken und unerwünschte Umweltwirkungen reduzieren. All diese Aktivitäten stehen unter der Maxime, die Wirtschaftlichkeit der Betriebe sicherzustellen.

Multiple Resistenzen

Der JKI-Wissenschaftler berichtet über gute Vegetationsverläufe von Getreidesorten, die mit multiplen Resistenzen ausgestattet seien. Neue Sorten mit Resistenzen gegenüber pilzlichen Schaderregern finden im Markt Beachtung. Denn in Zukunft dürfte es bei Kontrollen zu Einhaltung des integrierten Pflanzenschutzes zu Nachfragen kommen, ob Landwirte alle vorbeugenden Methoden ausgeschöpft hätten, bevor sie chemische Maßnahmen einsetzen, zeigte sich Rodemann überzeugt.

CR+-Sorten mit einer Cercospora-Toleranz

So könnten bei der Krankheit Ährenfusariosen durch den Umstieg auf eine tolerante, resistente Sorte gegenüber einer anfälligeren Sorte wie Tobak Wirkungsgrade von 70 bis zu 80 Prozent erzielt werden. Somit lassen sich schwer zu terminierende Fungizid-Anwendungen einsparen. Als ein weiteres Beispiel nannte Rodemann den Anbau resistenter Sorten gegenüber der Zuckerrüben-Blattkrankheit Cercospora beticola. Der natürliche Druck sei hoch und erfordere zwei bis drei Fungizid-Maßnahmen. Mit dem Anbau der neuen CR+-Sorten mit einer Cercospora-Toleranz könnten Landwirte den Einsatz reduzieren.

Gute Erfahrungen gibt es nach Darstellung Rodemanns mit der Nutzung resistenter Rapssorten gegen Kohlhernie in Befallsgebieten. Doch sei der Sortengenetik bei der Reduktion von Pflanzenschutzmaßnahmen Grenzen gesetzt, führte der JKI-Experte aus. Er rät zu einer guten Kombination von Prognosemodellen, Sortengenetik und nachhaltigen Anbausystemen. Eine geringere Rolle dürften künftig Wachstumsregler spielen. Hier sieht Rodemann ein großes Potenzial an Einsparungen.

Aussaatzeitpunkt versus Schädlingsbefall

Als Maßnahme zur Gesundhaltung von Beständen gilt zudem eine breite Fruchtfolge. Mit sieben verschiedenen Kulturen, die Landwirt Mark Heubach anbaut, fallen ihm keine Früchte mehr ein, die er noch in die Fruchtfolge aufnehmen könnte. Durch die Größe des Betriebes im Erfurter Becken, „sind wir gezwungen, die Fruchtfolge zu erweitern“, führte Heubach auf dem Impulsforum weiter aus. So frage er sich zusammen mit Kollegen, auf welche Weise sie als gut ausgebildete Pflanzenbauer noch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren könnten.

Intensiv beschäftigt sich der diplomierte Agrarwissenschaftler mit den Zusammenhängen von Aussaatzeiten und reduziertem Pflanzenschutz. So filtert er jährlich das Sortenverzeichnis für Weizen auf hohe Bewertungsnoten für Pflanzengesundheit und umweltstabile Sorten. Allerdings sei die Ausbeute mit zwei oder drei Sorten, die übrig blieben, gering. Dafür nehme er eine Krankheit in Kauf, die er behandeln müsse. Beim Anbau von Qualitätsweizen seien die Kriterien Qualität und Fallzahl wichtig. Ferner achte er auf die Stickstoff-Effizienz aufgrund der Dünge-Restriktionen sowie Virusresistenzen.

Aufschlussreich ist für Landwirt Heubach der Aussaatzeitpunkt: Dieser habe unterschiedliche Auswirkungen. So könne eine verspätete Aussaat einen Ertragsausfall von 20 bis 30 Prozent nach sich ziehen. Hingegen führe eine spätere Aussaat zu weniger Problemen mit Unkräutern. Ein zu früher Saatzeitpunkt wiederum erhöhe den Krankheitsdruck sowie Befall mit Schädlingen.

Hoher personeller Einsatz

Eine zu frühe Aussaat beim Raps wiederum führe zu Einkürzungen sowie Auswinterungen, lauteten die weiteren Erfahrungen des Erzeugers aus Thüringen. So könnten Landwirte durch eine späte Aussaat der Kohlhernie aus dem Weg gehen. Unterschiedliche Erfahrungen machte Heubach mit dem Aussaatzeitpunkt beim Rapserdfloh. Seine Hoffnung setze er auf einen Ertrag von 5 t/ha Raps zur Aussaat am 30. September, um allen Widrigkeiten wie Ausfallgetreide und Schädlingen im Herbst aus dem Weg zu gehen. Hier seien auch die Züchter angesprochen, betonte er.

Ein hohes Einsparpotenzial von Pflanzenschutzmaßnahmen habe der Betrieb mit dem Einsatz von Hacken, Striegeln und Bandspritzen. Allerdings sei damit ein hoher maschineller und personeller Aufwand erforderlich.

Am Ende ist für den Landwirt im Thüringer Becken die Witterung ausschlaggebend. Ist eine Infektions-Wetterlage angesagt, führe er in der Regel eine Behandlung durch, so Heubach. Soll es trocken bleiben, verzichte er darauf. Oft liege das Problem dabei an den Wettervorhersagen, die „schlecht“ seien, sagt Heubach. Vielmals sei ein komplett anderes Wetter eingetreten als vorhergesagt - und damit eine Behandlung falsch eingesetzt worden.

Kombination von chemischen und biologischen Mitteln

Dr. Mark Winter vom Industrieverband Agrar (IVA) stellte als dritter Referent die Auswertung von Zulassungen der Pflanzenschutzmittel bis 2021 vor. Demnach habe die Anzahl der Produkte zugenommen, jedoch sei die Zahl der darin enthaltenen Wirkstoffe gleich geblieben. Bei insgesamt 190 Wirkstoffen, blieben für den Ackerbau nur 22 übrig, die sich auf die verschiedenen Anwendungen aufteilten. Oft stünde das „letzte Mittel“ nicht mehr zur Verfügung.

Einsatz von Smart-Farming

Auch die biologischen Pflanzenschutzmittel müssten den engen Flaschenhals der strengen Zulassungshürden durchlaufen, betonte der IVA-Experte. Daher sollten sich in Zukunft Fachgremien mit einer Kombination von chemischen und biologischen Mitteln beschäftigen, schlägt Winter vor.

Abschließend berichtete Winter über die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zum Einsatz von teilflächenspezifischen Applikationen und Spot Spraying. 56 Prozent der befragten Betriebsleiter setzen demnach beispielsweise eine Einzeldüsenschaltung ein. Andere planten in Hinblick darauf, den Pflanzenschutz zu reduzieren, diese Technik anzuschaffen. Demnach dürften bis zum Jahr 2030 rund 85 Prozent der Betriebe dieses Smart-Farming-Tool einsetzen.

In der Anwendung seien bereits Apps, die Blattflecken, Unkräuter oder Schädlinge erkennen und Prognosemodelle. Farm-Managementsysteme führen die Komplexität von Faktoren wie Sortenresistenz, Ertrag, N-Effizienz, mechanischer Bekämpfung mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) zusammen. Daraus könne am Ende der Landwirt seine Entscheidung treffen.


Daphne Huber, agrarticker.de

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