„Strategien zwischen Markt, Pandemie und Green Deal“
Plenum
Ökologisch-soziale Marktwirtschaft als Wirtschaftssystem der Zukunft
„Die Treiber der Entwicklung sind schon lange nicht mehr nur die Nachfrage nach Lebensmitteln und der Produktivitätsfortschritt in der Erzeugung. Die politisch gesetzten Rahmenbedingungen sind mehr und mehr der entscheidende Standortfaktor für die ganze Lebensmittelwirtschaft.“ So brachte DLG-Präsident Hubertus Paetow die aktuelle Situation für die Agrarbranche auf den Punkt. Mit den abschließenden Entscheidungen zur Düngeverordnung und der Verabschiedung der Nutztierhaltungsverordnung seien in letzter Zeit zwei Entscheidungen mit größter Tragweite für die gesamte Branche gefallen, und mit dem Insektenschutzprogramm stehe die nächste vor der Tür. Die EU-Kommission habe mit Green Deal und Farm2Fork die Richtung für die nächste GAP vorgegeben, was auch Auswirkungen auf die Agrarwirtschaft in Deutschland haben werde. Dabei gelte es sauber zu unterscheiden, was an diesen politischen Initiativen ein tatsächlicher, langfristig stabiler Trend der Weiterentwicklung einer Gesellschaft ist, und wo die parteitaktischen Überlegungen und die Kampagnenaktivitäten von einzelnen Gruppen den Blick auf die tatsächliche Entwicklung verstellen. „Ein Volksbegehren ist eben noch kein gesellschaftlicher Konsens, sonst bräuchten wir keine Wissenschaft, keine Parteien und keine Parlamente“, so Paetow.
Die DLG habe sich mit diesen Themen und mit einer sauberen Unterscheidung zwischen Hype und Trend in den letzten Monaten unter anderem in einer Klausurtagung intensiv beschäftigt, um die wirklich zukunftsrelevanten Punkte herauszuarbeiten. Als Ergebnis stehe eine Prognose und ein Arbeitsprogramm fest, welche die DLG in den nächsten Wochen und Monaten weiterentwickeln und diskutieren werde. „Aus unserer Klausurtagung ist zunächst einmal ein Zukunftsbild für die deutsche Landwirtschaft entstanden, das einige Überraschungen birgt, wenn man von früheren Prognosen einer ‚Landwirtschaft der Zukunft‘ ausgeht“, so DLG-Präsident Paetow. „Bis vor wenigen Jahren wollten wir im Wesentlichen mit modernsten Maschinen und hochspezialisierten Betrieben die Welt ernähren. Es hat sich gezeigt, dass die Entwicklung der Landwirtschaft mit mehr Dimensionen verknüpft ist, als sich in Stückkosten, Erträgen und Tageszunahmen festmachen lässt.“. Die DLG habe daher fünf Punkte für eine Zukunftsvision für die deutsche Landwirtschaft identifiziert:
- Landwirtschaft in Deutschland ist gesellschaftlich akzeptiert.
- Landwirtschaft ist in hohem Maße produktiv und nachhaltig.
- Landwirtschaft wird von Unternehmen verschiedenster Struktur geprägt.
- Unternehmensziele der Landwirtschaft sind gleichermaßen Gewinnerzielung, ökologische Verträglichkeit, Tierwohl und gesellschaftliche Akzeptanz.
- Das Ernährungssystem entwickelt sich aus eigenem Antrieb marktwirtschaftlich weiter.
Auf dem Weg in diese Zukunft müsse insbesondere dem Fortschritt geholfen werden, sich seinen Weg zu bahnen, forderte Paetow, denn Visionen würden nicht von selbst zur Realität. Die Betriebe würden daher vor neue Aufgaben gestellt, wie denn eine Landwirtschaft in der Ökologisch-Sozialen Marktwirtschaft aussehen könnte. Für die Arbeit der DLG hätte diese Zukunftsvision ebenfalls Auswirkungen, die Paetow in diesen Punkten zusammenfasste:
- Die Ökologisch-soziale Marktwirtschaft ist das Wirtschaftssystem der Zukunft.
- An Innovation und Fortschritt führt kein Weg vorbei.
- Die Landwirtschaft kann es nicht alleine richten.
„Nachfrageschock durch Corona-Krise“
Dr. Michaela Helbing-Kuhl, Marktanalystin bei der Commerzbank Commodity Research in Frankfurt am Main, zeigte, welche Auswirkungen die Corona-Krise auf die internationalen Agrarmärkte hat. Die Unsicherheit an Agrarmärkten sei weiterhin sehr hoch. Durch Wetterereignisse sei dies oft angebotsseitig eingetroffen, die Corona-Krise habe aber eher als Nachfrageschock auf den Märkten durchgeschlagen. Damit habe sie zwar einen starken Einfluss auf die Agrargüterpreise, aber es gebe keine einheitliche Entwicklung, auch nicht innerhalb der Produktgruppen. Auf dem Getreidemarkt sei der Einfluss langfristig gering, der Markt für Ölsaaten habe aber einen Dämpfer sowohl wegen der niedrigeren Preise für Biodiesel als auch durch den geringeren Außer-Haus-Verzehr erhalten. Ein geringerer Verbrauch von Pommes und Softdrinks hätten somit ihre Spuren hinterlassen. Auch am Zuckermarkt sei die geringere Nachfrage spürbar gewesen. Insgesamt hätten die Lieferketten jedoch gut gehalten.
Je nach Dauer und Tiefe der Corona-Krise gebe es nach Dr. Helbing-Kuhl deutliche Bremsspuren bei der Nachfrage, vor allem bei den Produkten, deren Konsum stark mit dem Einkommen schwanken. Grundnahrungsmittel seien im Gegensatz dazu weniger betroffen.
Die Analystin beschrieb jedoch nicht nur die Risiken durch die geänderte Nachfrage, sondern zeigte auch Chancen auf einigen Märkten auf: Aktuell seien in Folge von ASP hohe Exporte von Schweinefleisch aus Deutschland nach China möglich, auch wenn einige Länder in Europa betroffen sind. Die EU erhoffe sich zudem dauerhafte Handelszuwächse durch neue Handelsabkommen (z.B. mit dem Vereinigtem Königreich und Mercosur). Daher sei es nicht zuletzt auch wichtig, wie der Handelsstreit zwischen den USA und China weitergehe, der manche Märkte, vor allem bei den Ölsaaten, durcheinander gewirbelt habe.
„Konsum der Zukunft ist ein Qualitätskonsum“
Prof. Siegfried Pöchtrager vom Institut für Marketing und Innovation an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien zeigte in seinem Vortrag, wie landwirtschaftliche Unternehmer neue Geschäftsfelder identifizieren und entwickeln könnten. Im Mittelpunkt seiner Analyse sieht Pöchtrager „den kritischen, verantwortungstragenden Konsument“, der getrieben von den Trends Globalisierung, Individualisierung, Gesundheit und Urbanisierung maßgeschneiderte Lösungen für seine Ernährung suche. Für diese Kunden der Land- und Ernährungswirtschaft sind Aspekte wie „Glokalisierung“ des Essens, Regionalität und Transparenz, neue Geschmackserlebnisse, Gesundheitsbewusstsein mit Lifestyle wichtig und sie sind offen für pflanzenbasierte Ersatzprodukte. „Der Konsum der Zukunft ist ein Qualitätskonsum. Er ist ein intelligenter, global verträglicher Balanceakt aus Genuss, Nachhaltigkeit und Verfügbarkeit,“ fasst der Wissenschaftler diese Entwicklungen zusammen.
Landwirtschaftliche Unternehmer sollten laut Pöchtrager in diesen bewegten Zeiten Mut für Veränderungen haben und nicht scheuen, kreativ manches Vorhandene zu zerstören. Bei den Kunden der Landwirtschaft sind Wünsche, Werte und das Alter ständig im Wandel. Ein Leben im Wohl-Stand sei nicht zugleich ein Stillstand, sondern ein laufender Prozess, der Veränderungen auf vielen Ebenen nach sich ziehe. Eine Veränderung des Geschäftsmodells könne dann zum Erfolg werden, wenn man ein nachhaltiges Kundenbedürfnis entdeckt oder geweckt habe, eine völlig neue Problemlösung auf den Markt gebracht habe und sich dann auf das Wesentliche konzentriere. Jede Geschäftsidee müsse mit einem Business-Plan vorab durchdacht werden. Dieser Plan diene als zentrales Kommunikationsinstrument zwischen den verschiedenen Partnern, gebe einen Überblick über die benötigten Ressourcen und decke daher Lücken im Vorfeld auf. Für Pöchtrager sind Business-Pläne die „Trockenübung für den Ernstfall“, notwendig, um bei einer Bank Kredit zu bekommen. Sie seien das wichtigste Kontrollinstrument für die Entwicklung des neuen Geschäftsfeldes.
Praktiker präsentieren neue Ideen
Lucas Kohl, Öko-Milchviehhalter und Öko-Marktfruchterzeuger in Gilserberg (Hessen) präsentierte, welche Optionen er sieht, mit Landwirtschaft „Klimafarming“ zu betreiben. Diese wären Humuszertifikate, Pflanzenkohlezertifikate und „Regenerative Landwirtschaft“. Es gebe jedoch noch Unsicherheiten, wie Humuszertifikate einsetzbar wären. Zum Beispiel würden die CO2-Emissionen in der Landwirtschaft nicht erfasst und gegengerechnet, die Beprobungsmethoden seien heute noch zu ungenau und beim Humusaufbau gebe es keine langfristige Garantie für die Kohlenstoffspeicherung. Beim Einsatz mit Zertifikaten von Pflanzenkohle (pyrolisierte pflanzliche Biomasse) sehe es besser aus: Diese könne der Tiernahrung beigemischt werden und als Wirtschaftsdünger auf die landwirtschaftlichen Nutzflächen ausgebracht werden, wo sie als Kohlenstoff-Senke wirke und den Humusaufbau fördere. Zudem seien 10 bis 15 Prozent höhere Erträge möglich und ein bis zu 13 Prozent höherer Methanertrag in der Biogasanlage. Pflanzenkohle könne tausende Jahre stabil im Boden verbleiben. Lucas Kohl zeigte betriebliche Kalkulationen über die Wirtschaftlichkeit von selbst hergestellter Pflanzenkohle, Zertifizierung und Anwendung im Betrieb.
Ein weiteres Beispiel für Klimafarming ist für Kohl die „Regenerative Landwirtschaft“. Hierbei würden rund ein Drittel weniger Treibstoff als auch Arbeitszeit benötigt. Im Gegensatz zur konventionellen Bewirtschaftung, die in den kommenden Jahren durch Wetterextreme mehr und mehr Ertragsverluste hinnehmen müsse, könne mit „Regenerativer Landwirtschaft“ ein stabiler Deckungsbeitrag erwirtschaftet werden.
Dr. Jens van Bebber, Schweinehalter in Samern (Niedersachsen), zeigte, wie er mit Markenschweinen im Offenstall ein neues Geschäftsfeld erschlossen hat. Bis 2014 hatte er 10.000 konventionelle Mastplätze, seit 2019 wirtschaftet er mit 5.000 Mastplätzen, davon mit 2.000 Schweinen in Offenställen. Aufgrund begrenzter Möglichkeiten, den Betrieb in einer viehintensiven Veredlungsregion weiterzuentwickeln, entschied er sich, die Art der Tierhaltung neu auszurichten und so neue Märkte zu erschließen. Das Ziel war, eine Identität – von Person, Tier, Betrieb/Hof, Partnern und Produkt – zu schaffen, so dass er als Erzeuger nicht nur abliefern musste, sondern selbst das eigene Produkt erstellen und verkaufen konnte. Insbesondere durch die Einführung der eigenen Marke „Duke of Berkshire“ schaffte es van Bebber, eine Beziehung vom Verbraucher über das Produkt bis zum Tier und zum Mensch zu schaffen. So konnte nicht nur die Wertschätzung, sondern auch die Wertschöpfung gesteigert werden.
(Exklusiv für DLG-Mitglieder)