Auf Nachhaltigkeit getrimmt
Von der Züchtung neuer Getreidesorten, die dem Klimawandel trotzen, bis hin zum ökologischen Fußabdruck von Bäckereien: Damit die Wende hin zu einer zukunftsfähigen Wirtschaftsweise in der Backwarenindustrie gelingen kann, arbeiten Forscher an der Universität Hohenheim intensiv daran, praxistaugliche Lösungen für die Bäckerei der Zukunft zu finden.
Die Backwarenindustrie benötigt leistungsstarke Getreidesorten mit ausreichend Proteingehalt. Nur so ist sichergestellt, dass Brotteig locker und geschmeidig ist – und sich gut verarbeiten lässt. Wie wichtig diese Kriterien für die Zukunft der Branche sind, hat ein Projekt der Universität Hohenheim gezeigt. Unter anderem bauten die Wissenschaftler dabei Weizen in Klimakammern an, die Temperaturen und Kohlendioxidgehalte des Jahres 2050 simulieren. Zwar hat CO2 prinzipiell einen förderlichen Einfluss auf das Wachstum von Pflanzen, da das Treibhausgas wie ein Dünger wirkt. Allerdings geht dies auf Kosten der Qualität: Die Modellpflanzen wiesen einen deutlich geringeren Proteingehalt auf. Ebenfalls nahm der Gehalt an Nährstoffen wie Calcium, Eisen, Magnesium und Zink ab. Auch die Konzentrationen der Aminosäuren war um bis zu elf Prozent verringert.
Robuster Weizen im Visier
In Hohenheim diskutieren Forscherinnen und Forscher unterschiedlicher Fachbereiche, welche Getreidesorten unter den sich verändernden Umwelt- und Anbaubedingung für die Versorgung von morgen noch robust genug sind. Neben Kriterien wie Ertrag, Krankheitsresistenz, Teig- und Backeigenschaften wird analysiert, welche Sorten das beste Profil für die menschliche Ernährung bieten. Rund 300 verschiedene Weizensorten werden dafür in Zusammenarbeit mit der Universitätsmedizin Mainz und den Züchtungsfirmen DSV, Limagrain, KWS und WvB im Rahmen des Projekts Betterwheat in jeweils vier bis acht unterschiedlichen Anbauregionen kultiviert und unter die Lupe genommen. Der springende Punkt: Alle genannten Kriterien unterliegen je nach Umwelteinflüssen und Sortenwahl erheblichen Schwankungen. Aber nur die Merkmale, die hauptsächlich von der Sorte und weniger von der Umwelt beeinflusst werden, kann man erfolgreich in der Wertschöpfungskette beeinflussen. „Wir leisten hier Pionierarbeit, die für die heimische Züchtung und die Entwicklung neuer Weizenprodukte hochrelevant ist und zudem unser allgemeines Verständnis für den Einfluss von Umweltfaktoren auf die Getreidequalität verbessert“, erklärt Projektleiter apl. Prof. Dr. Friedrich Longin von der Landessaatzuchtanstalt an der Universität Hohenheim. Dazu kombinieren er und sein Team moderne Verfahren der Genomik, der Proteomik, der Spektrometrie sowie Klimadaten.
Kann die Digitalisierung helfen?
Die Züchtung neuer Getreidesorten ist traditionell ein langsames Geschäft, das sich über Jahre hinzieht. Hilfe verspricht die Digitalisierung: „Wir arbeiten daran, durch DNA-Datenbanken und biostatistische Methoden die Suche nach den erfolgversprechendsten ‚Eltern‘ für eine Kreuzung zu optimieren – und so den Züchtungsprozess erheblich zu beschleunigen“, so Prof. Dr. Karl Schmid, Leiter des Fachgebiets Nutzpflanzenbiodiversität und Züchtungsinformatik. Ein wichtiges Ziel der Züchtungsforschung ist es, die Verarmung des Gen-Pools zu stoppen. Denn nur eine breite genetische Grundlage ermöglicht es, in Zukunft, schnell anpassungsfähige Getreidesorten hervorzubringen, die beispielsweise mit extremeren Wetterbindungen und Dürreperioden zurechtkommen und somit die Ernährung künftiger Generationen sicherstellen.
Bessere Backeigenschaften durch weniger Düngung
Ebenfalls auf dem Prüfstand der Hohenheimer Experten stehen die Kriterien, mit denen die Qualität von Getreide bemessen wird. Bislang war es allen voran der Eiweißgehalt, der als ausschlaggebend galt. „Große Handelsketten machen genaue Vorgaben zum Proteingehalt von Mehl, welcher zum bestimmenden Faktor für den Getreidepreis wird“, erklärt Prof. Dr. Christian Zörb vom Fachgebiet Qualität pflanzlicher Erzeugnisse. Erreicht wird der hohe Proteingehalt neben der Züchtung entsprechender Hochleistungssorten vor allem durch Düngung. Die Faustregel lautet: Je mehr Stickstoff auf dem Acker, desto mehr Protein im Weizen. Das kann jedoch zu gravierenden Umweltproblemen, wie einer Belastung des oberflächennahen Grundwassers, führen. Außerdem neigen sich die weltweiten Phosphorvorräte dem Ende zu – und sind global höchst ungleich verteilt. Die Politik reagierte 2020 mit einer neuen Düngemittelverordnung, die die Landwirte vor große Herausforderungen stellt. „Wir wollen dem Zusammenhang von Proteingehalt und Backqualität deshalb genauer auf den Grund gehen“, so Prof. Dr. Zörb. Erste Ergebnisse belegen, dass weniger die Proteinmenge insgesamt, sondern vor allem die Zusammensetzung und die Qualität der Proteine entscheidend ist. „Wir schätzen, dass genauere Erkenntnisse darüber, welche Sorten und wie viel Düngung tatsächlich die gewünschten Eigenschaften hervorbringen, helfen können, weltweit bis zu einem Viertel der Stickstoffdüngung beim Anbau von Weizen einzusparen.“
Innovative Technologien für mehr Qualität
Soll die Qualität von Getreide künftig nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Mühlen- und Getreidewirtschaft detaillierter bestimmt werden, sind dafür neue Technologien erforderlich, die praktikabel und kostengünstig eingesetzt werden können. Am Fachgebiet für Prozessanalytik und Getreidewissenschaft arbeitet man deshalb daran, ein Spektroskopie-Verfahren zu etablieren: Ziel ist, neben den Konzentrationen von Eiweiß und Stärke, insbesondere die Backeigenschaft vorherzusagen, die sich bislang nur über aufwendige Backversuche sicher bestimmen lässt. Um natürliche Schwankungen im Proteingehalt auszugleichen und die Knetfähigkeit von glutenarmem beziehungsweise -freiem Mehl zu verbessern, sind darüber hinaus weitere innovative Strategien gefragt. Eine Möglichkeit könnte die Behandlung des Mehls mit kaltem Plasma oder Ozon sein. „Das kalte Plasma sowie das Ozon bewirken durch Oxidation eine Stärkung des Proteinnetzwerks im Mehl, was den Teig elastisch und viskos macht. Die Behandlung ist rückstandsfrei – nur die oxidierten Moleküle verbleiben im Teig, Mehlbehandlungsmittel, die sonst die Oxidation übernehmen, sind deshalb nicht mehr erforderlich“, erklärt Prof. Dr. Bernd Hitzmann vom Fachgebiet für Prozessanalytik und Getreidewissenschaft.
Benötigte Mengen besser abschätzen
Der Experte wirft einen umfassenden Blick auf alle wichtigen Prozesse, die in einer Bäckerei ablaufen. Computermodelle sollen dabei helfen, Abläufe so zu optimieren, dass Energieverbrauch und CO2-Ausstoß minimiert werden und möglichst keine Lebensmittelabfälle anfallen.