Hybridfleisch im Fokus
DLG-Innovation Award „Junge Ideen“
Sandra Renz vom Institut für Lebensmittelwissenschaften und Biotechnologie der Universität Hohenheim ist mit dem Innovation Award „Junge Ideen“ 2023 der DLG ausgezeichnet worden. Die Lebensmittelwissenschaftlerin überzeugte die Experten-Jury mit ihrer praxisrelevanten Dissertation über „HybridMeat – Produkte aus tierischen und pflanzlichen Quellen“. Der insgesamt mit 2.500 Euro dotierte DLG-Lebensmitteltechnologiepreis fördert herausragende Nachwuchswissenschaftler:innen.
Die Nachfrage nach Lebensmitteln, die ganz oder teilweise aus alternativen, pflanzlichen Proteinen bestehen, wächst stetig. Viele Industrieprozesse zur Extraktion und Verarbeitung von Pflanzenproteinen wurden in den letzten Jahren entwickelt. Doch Kenntnisse über funktionelle und sensorische Eigenschaften sowie Wechselwirkungen mit anderen Inhaltsstoffen fehlen. Ziel der Dissertation von Dr. Sandra Renz war deshalb die Erarbeitung mechanistischer Zusammenhänge zwischen Rohstoffzusammensetzung, physikochemischen Eigenschaften und Technofunktionalität von pflanzenbasierten und tierischen Proteinen mit einem speziellen Fokus auf die Rohwurstherstellung und -technologie. Die gewonnenen Erkenntnisse liefern Produktentwicklern systematische Ansätze zum Design von Hybridfleischprodukten und Fleischalternativen. Sie ermöglichen so zielgerichtetere und ressourcenschonendere Innovationen.
Funktionelle Eigenschaften
Im Zuge der Arbeit wurde eine große Anzahl an Pflanzenproteinen auf ihre funktionellen Eigenschaften und ihre Eignung in diesen Produktklassen untersucht. Dies umfasste kommerziell weitverbreitete Quellen (z. B. Erbse) sowie proteinreiche Nebenproduktströme aus der Herstellung von Pflanzenöl mit noch wenig genutztem Marktpotenzial (z. B. Sonnenblume, Kürbis). Die Studien zeigten, dass sich Pflanzenproteine nicht nur hinsichtlich ihrer funktionellen, organoleptischen, physikochemischen und prozesstechnischen Eigenschaften von tierischen unterscheiden. Hinzu kommen die botanische Herkunft, Aufreinigung und Weiterverarbeitung.
So lag die Löslichkeit in wässrigen Medien zwischen 4 % und 100 % – abhängig von der Proteinkonzentration und dem Vorkommen bestimmter Proteinklassen in den Präparaten. Ein hoher Anteil an Prolaminen (Weizen) oder Glutelinen (Reis, Kürbis) bedingte eine schlechte Löslichkeit, wohingegen Sonnenblumen-, Erbsen- und Kartoffelproteine durch die darin enthaltenen Albumine und Globuline gut bis sehr gut löslich waren. Generell konnte eine Korrelation zwischen Löslichkeit, nativem pH-Wert, Farbe und Erscheinungsbild mit dem jeweils verwendeten Aufreinigungs- und Extraktionsprozess festgestellt werden. Eine Kartoffelproteinfraktion mit niedrigem Molekulargewicht (< 24 kDa) wurde aufgrund ihrer Löslichkeit von 100 % näher untersucht. Ihre individuelle Partikelgröße und die elektrostatischen und hydrophoben Oberflächeneigenschaften wurden bestimmt und mit denen verschiedener Mischungen aus Kartoffel- und Fleischproteinen zwischen pH 3,0 und 7,0 verglichen.
Der isoelektrische Punkt (pI) einiger Fleischproteine (pH ~ 5,5) stellte einen wichtigen Grenzwert für das Phasenverhalten der Mischungen dar, da an diesem Punkt die isotropen Lösungen (pH > pI) in einen zweiphasigen, aggregierten Zustand (pH ≤ pI) übergingen. Es entstanden dichte, unregelmäßig geformte „Heteroprotein“-Partikel, die sich in ihrer Morphologie wesentlich von der für Fleischproteine typischen anisotropen fasrigen Struktur unterschieden. Dies deutete auf einen Störeffekt der Kartoffelproteine auf die typische Selbstassoziation der Fleischproteinen unterhalb ihres pI hin, welcher auf Veränderungen der elektrostatischen (Oberflächenladung) und hydrophoben (Oberflächenhydrophobizität) Protein-Protein Interaktionen zurückgeführt werden konnte.
Ungeeignete Mischpartner
Validiert durch Ergebnisse von FTIR- und Bildanalysen der Mikrostruktur stellten sich diese kleinen, hydrophilen Kartoffelproteine als für Fleischproteine ungeeignete Mischpartner heraus – eine wichtige Erkenntnis, da dieses Kartoffelisolat vor allem im Bereich der alternativen Milchprodukte aufgrund seiner Emulgier- und Schaumeigenschaften breite Anwendung findet.
Organoleptische Eigenschaften
Da organoleptische Eigenschaften von großer Bedeutung sind, um die Eignung von Pflanzenproteinen in Lebensmitteln abzuschätzen, wurden zwei Erbsenproteinisolate mithilfe von Gaschromatografie kombiniert mit Massenspektroskopie und Olfaktometrie (GC-MS-O) untersucht, nachdem sie aus der Lösung an ein Adsorbens gebunden worden waren (DI-SBSE). Die Ergebnisse wurden mit denen der daraus produzierten Extrudate verglichen, um den Einfluss des Extrusionsprozesses zu bestimmen. Die Analyse identifizierte 24 geruchsaktive Stoffe, von denen neun als wesentliche in Erbsen bekannt sind. Diese neun Substanzen wurden durch Extrusion merklich beeinflusst, was auf einen positiven Effekt von Extrusion auf die Produktqualität schließen ließ und so die Nutzung von Pflanzenproteinen als Lebensmittelinhaltsstoff erleichtert.
Extrudate
Die darauf folgenden Studien fokussierten sich aus diesem Grund auf Extrudate und deren Effekt auf die traditionelle Rezeptur und Herstellung von Produkten mit Rohwurstcharakter. Dies beinhaltete ihre pH-Abhängigkeit und ihr Verhalten während Säuerung und Trocknung im Vergleich zu tierischen Proteinquellen. Zur Untersuchung der physikochemischen Eigenschaften wurden Modellsysteme entwickelt, die von wässriger Lösung (Pufferkapazität) auf die ‚Bulk-Eigenschaften‘ in Lebensmittelmatrizes (Säuerungsverhalten mit Glucono-delta-lacton) hochskaliert wurden. Im Anschluss wurde ein mathematisches Modell entwickelt, um Rezepturanpassungen von Hybridprodukten, aber auch das Verhalten von pflanzenbasierten Extrudaten in veganen und vegetarischen Lebensmitteln abzuschätzen. Eine Anwendung bei der Herstellung einer Hybridwurst mit bis zu 50 % Fleischreduktion durch Extrudate validierte das Modell. Alle Formulierungen erreichten den gewünschten pH-Wert mit einer Genauigkeit von pH ± 0,06.
Science & Start-up Spirit
Die gewonnenen Erkenntnisse konnten einen wichtigen Beitrag zur Kommerzialisierung von Hybridfleisch- und Alternativprodukten leisten und so den Einsatz von Pflanzenproteinen als Lebensmittelzutaten erleichtern. Aufgrund der breiten Wissensbasis zu den Eigenschaften alternativer Proteinquellen wurde von drei Doktorand:innen des Instituts für Lebensmittelwissenschaft und Biotechnologie der Universität Hohenheim in Stuttgart ein Full-Service-Beratungsunternehmen gegründet, das Start-ups, KMUs und Corporates ‚from field to fork‘ bei der Produktentwicklung von Lebensmitteln unterstützt.
www.betterfoodconsulting.de
DLG-Innovation Award „Junge Ideen“
Der DLG-Innovation Award „Junge Ideen“ wird jährlich vergeben und ist mit 2.500 Euro dotiert. Der Preis fördert Forschungsarbeiten junger Wissenschaftler:innen, die sich produkt- und branchenübergreifend mit folgenden Themenbereichen befassen: Lebensmitteltechnologie, Verpackung, Abfülltechnologie, Ingredienzien, Produktentwicklung, Automatisierung, Qualitätssicherung, Hygiene, Gesundheit, Ernährung oder Business-Modelle. Unter den Bewerbern ermittelt der wissenschaftliche Beirat des DLG-Hauptausschusses Fachzentrum Lebensmittel die Preisträger:innen.