„Inhouse Farming – Feed & Food Show“
Neue DLG-Plattform für die Nahrungsmittelproduktion der Zukunft
aus: DLG-Lebensmittel 1-2/2023
Wie können wir mit innovativen Produktionssystemen die wachsende Weltbevölkerung mit gesunden, nährstoffreichen und nachhaltig produzierten Lebensmitteln versorgen? Antworten auf diese Frage will die „Inhouse Farming – Feed & Food Show“ liefern. Die von der
DLG organisierte B2B-Plattform findet vom 12. bis 18. November parallel zur Agritechnica in Hannover statt. Marcus Vagt, DLG-Bereichsleiter Energie, Inhouse Farming und New Foods, erläutert das Konzept der neuen B2B-Plattform
Herr Vagt, laut Prognose der Vereinten Nationen wird die Zahl der Stadtbewohner bis zum Jahr 2030 um eine Milliarde auf 5,2 Milliarden Menschen steigen ...
Marcus Vagt: Rund 60 Prozent der Weltbevölkerung werden dann in Städten leben. Ein Großteil davon dürfte keinen Zugang zu regional produzierten, frischen Lebensmitteln haben. Der Megatrend der Urbanisierung stellt die gegenwärtigen Agrarsysteme vor komplexe Herausforderungen. Es braucht deshalb Lösungen, wie Städte selbst mehr zu ihrer Versorgung beitragen können. Das ist ein Thema, dem wir uns gezielt auf der diesjährigen Agritechnica im Rahmen der „Inhouse Farming – Feed & Food Show“ widmen.
... das heißt, im urbanen Umfeld klettert der Anbau nach oben?
Vagt: Das Schlüsselwort heißt hierbei Vertical Farming, worunter man das Konzept eines Anbaus von Nahrungsmitteln in mehreren Etagen oder Stockwerken zusammenfasst. Die Nutzpflanzen werden dabei unter kontrollierten Umgebungsbedingungen angebaut. Möglich machen dies sogenannte Controlled-Environment-Agriculture-Technologien, kurz CEA, wie sie auf der „Inhouse Farming – Feed & Food Show“ vorgestellt werden.
Erste Versuche, Pflanzen in Regalsystemen anzubauen, gehen zurück auf die 1960er-Jahre. Doch erst 1999 weckte Prof. Dickson Despommier von der Columbia University mit seiner Vision einer vertikalen Landwirtschaft das öffentliche Interesse. Was verbirgt sich hinter diesem Konzept?
Bei der vertikalen Landwirtschaft können über mehrschichtige Ebenen ganzjährig, unabhängig vom regionalem Klima und von Jahreszeiten, vor allem Früchte, Gemüse, Kräuter, Pilze sowie Algen angebaut werden – und das in gleichbleibender Qualität. Wir haben also einen von der äußeren Welt abgeschlossenen Kreislauf, daher sind auch keine Pflanzenschutzmittel erforderlich.
Um sich mit einem solchen in sich geschlossenen „Gewächshaus“ auf mehreren Etagen von Wetter und Jahreszeit unabhängig zu machen, bedarf es der Integration innovativer Technologien ...
Vagt: Eine wichtige Rolle spielen dabei professionelle LED-Pflanzenbeleuchtungssysteme und Klimaanlagen, über die sich Temperatur und Luftfeuchtigkeit steuern lassen. Die Wurzeln der Pflanzen wachsen meist nicht auf der Erde, sondern in hydroponischen Systemen, durch die mit Nährstoffen angereichertes Wasser fließt. Die Aufgabe besteht darin, die technischen Systeme so aufeinander abzustimmen, dass jede einzelne Pflanze ihre optimalen Wachstumsbedingungen vorfindet.
In so einem geschlossenen System lassen sich im Vergleich zum Feldanbau bis zu 95 Prozent des Wasserverbrauchs einsparen ...
Vagt: ... und ich sehe noch einen weiteren Vorteil, denn Vertical Farming schafft nicht nur neue Anbauflächen in einer urbanen Umgebung, sondern verkürzt auch die Transportwege und Kühlketten zu den Konsumenten, was einen geringen CO2-Fußabdruck hinterlässt.
Welche Perspektiven hat das Inhouse Farming? Wird es in den kommenden Jahren in nennenswertem Umfang einen Beitrag zur Lebensmittelversorgung liefern?
Vagt: Vertical und Indoor Farming wird die Versorgung mit gesunden und vitaminreichen Lebensmitteln auf absehbare Zeit sinnvoll ergänzen, aber wir brauchen weiterhin die Freilandproduktion und Gewächshäuser. Die Stärken geschlossener Agrarsysteme kommen hauptsächlich dort zum Tragen, wo die herkömmlichen Anbaumethoden an ihre Grenzen stoßen.
In den meisten Indoor-Farmen werden derzeit Microgreens angebaut – Keimlinge von frischem Gemüse oder Salate, die wenige Wochen nach der Aussaat geerntet und verzehrt werden. Welche Chancen bieten die neuen Produktionsweisen für proteinreiche Pflanzen?
Vagt: Genau das sind die Nahrungsmittel, die zur Bekämpfung des Welthungers wichtig sind. Hier ist ein Zusammenspiel von Wissenschaft und Praxis gefordert. Die Ausweitung der Produktvielfalt geschlossener Agrarsysteme ist deshalb eine zentrale Aufgabe, der sich aktuell diverse Aktivitäten im Bereich der angewandten Forschung widmen.
Mit was beschäftigt sich die Wissenschaft genau?
Vagt: Zu den ambitionierten Fraunhofer-Projekten zählt beispielsweise „FutureProteins“, in dessen Mittelpunkt vier geschlossene Anbausysteme stehen: Vertical Farming für Pflanzen, Insect Farming für Insekten, Bioreaktoren für Pilze sowie Photobioreaktoren für Algen – allesamt Technologien, die wir auch im November in Hannover abbilden. Als alternative Proteinquellen dienen hierbei Kartoffeln, Weizengras, Luzerne aber auch Insekten und filamentöse Pilze sowie Mikroalgen. Sie enthalten allesamt ein hochwertiges Aminosäureprofil sowie gute Verarbeitungseigenschaften, wodurch sie auch für die Lebensmittelindustrie interessant sind. Ein weiterer wichtiger Aspekt von „FutureProteins“ ist die Nutzung von Energie-, Abfall- und Abwasserströmen, um kosteneffiziente und ressourcenschonende Kreisläufe zu schaffen.
Sie haben es bereits angesprochen: Die Wassereinsparungen sind enorm, die Energiekosten aber auch. Energieeffizienz ist also ganz entscheidend für die Wirtschaftlichkeit der vertikalen Landwirtschaft ...
Vagt: Eine Herausforderung, die von den Ausstellern der „Inhouse Farming – Feed & Food Show“ adressiert wird. Beispielsweise mit stromsparenden und langlebigen LEDs, die genau die Lichtfrequenzen aussenden, die Pflanzen für die Photosynthese benötigen. Neben der Beleuchtung und der Bewässerung spielt auch die Klimatechnik eine entscheidende Rolle. Auf dem Messegelände sind intelligente Lösungen zu finden, die Abwärme nutzen und die Energieeffizienz steigern.
Dezentrale Energien und dessen effiziente Erzeugung sind also ebenfalls ein wichtiges Thema auf der „Inhouse Farming – Feed & Food Show“?
Vagt: Ja, für die Wärme- und Energieerzeugung braucht es mehr erneuerbarer Energiequellen wie Sonne und Biogas, um die geschlossenen Anbausysteme nahezu CO2-neutral und emissionsfrei betreiben zu können. Landwirtschaftliche Betriebe, die ihren Strom mit Photovoltaikanlagen auf dem Dach und Blockheizkraftwerken selbst produzieren, sind hier klar im Vorteil. Erstmals wird die Agritechnica dem Thema „Erneuerbare Energien“ deshalb einen eigenen Bereich widmen.
Wo sehen Sie noch Hindernisse und den größten Forschungsbedarf?
Vagt: Auch wenn die neuen Anbaumethoden die klassische Landwirtschaft nicht ersetzen können: Geschlossene Agrarsysteme bieten Ideen und Lösungsansätze für die dringlichen Themen der Gegenwart, die keinen Aufschub dulden. Der Landwirt der Zukunft muss in der Lage sein, sowohl im Freiland zu produzieren als auch die neuen Produktionssysteme zu nutzen. Aufgabe der Wissenschaft ist es, die Lücken zu schließen, die es in der Umsetzung noch gibt. Die Entwicklung energieeffizienter Technologien ist ein wichtiges Forschungsfeld. Nicht zuletzt gilt es auch, eine neue Pflanzenvielfalt für das Inhouse Farming zu finden.