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Neue Proteine, Funktionen und Anwendungen

Wachsender Bedarf – wachsendes Angebot

aus: DLG-Lebensmittel 1/2022

Schon seit mehreren Jahren sind Lebensmittel mit Eiweiß, das nicht aus Fleisch, Fisch oder Milch stammt, auf dem Vormarsch. Für die Zukunft wird den Alternativen sogar eine Schlüsselrolle im Lebensmittelsektor zugesagt. Es besteht Bedarf an weiteren sicheren Proteinquellen, 
an optimierten Herstellungsverfahren und Eigenschaften. 

Immer mehr Konsument:innen wünschen sich eine größere Auswahl an pflanzenbasierten Lebensmitteln. Nach einer europaweiten Umfrage von ProVeg International besteht in verschiedenen Segmenten nach wie vor großes Potenzial für pflanzliche Lebensmittel. Neben Brot und Brötchen gibt es vor allem bei Kuchen, Torten und Gebäck eine starke Nachfrage. Sowohl Veganer als auch Flexitarier geben an, sich eine größere Auswahl an feinen Backwaren auf reiner Pflanzenbasis in Bäckereien und Lebensmitteleinzelhandel zu wünschen. „Die Herstellung von rein pflanzlichen Broten und Brötchen stellt in der Regel kein Problem dar“, sagt Michael Pruss. „Im Vergleich dazu sind feine Backwaren eine weitaus größere He­rausforderung“, so der Head of Business Development bei Planteneers. Auch wenn sie mehlbasiert sind, kommen meistens Eier, Butter, Milch oder Milchderivate zum Einsatz. Schokolade ist ebenfalls eine häufige Zutat. „Hier gilt es, die für das Backen wichtigen Funktionen der verschiedenen tierischen Bestandteile auch mit pflanzlichen Zutaten zu gewährleisten.“

Satt cremig fließt der Kakaodrink ins Glas. Mild süß und typisch schokoladig ist der Geschmack, nur das Mundgefühl erscheint üppiger und voller. Dass Reisprotein die Basis für den Drink bildet, fällt jedoch absolut nicht auf. Der Kakao ergänzt jetzt die vegane Range an haltbaren Milch­alternativen des Berliner Start-ups Vly. Neben löslichem Erbsenprotein (5 g/100 ml) und Wasser enthält er Datteln für die süße Note, Kakaopulver, Rapsöl, Zitrusfasern sowie natürliche Aromen und etwas Meersalz. Dabei sorgt das Erbsenprotein nicht nur für den Eiweißgehalt, sondern wirkt zugleich emulgierend. Die Zitrusfasern sollen ihrerseits primär die wahrgenommene Cremigkeit erhöhen. 

Reis gehört zur gewachsenen Range an pflanzlichen Proteinquellen, die in Lebensmitteln zum Einsatz kommen. Ansonsten können die Hersteller auf eiweißreiche Mehle, Proteinkonzentrate und -isolate etwa aus Soja, Bohnen, Linsen, Weizen, Hafer und Lupinen zurückgreifen. Mit Algen und Insekten, an denen derzeit weiter geforscht wird, erhöht sich die Auswahl um zukunftsträchtige nicht pflanzliche Möglichkeiten. Unabhängig vom jeweiligen Rohstoff – der Katalog an Zielen und Anforderungen an die Proteine gleicht sich in der Regel:

  • Verbesserung der Nährwertbilanz von Lebensmitteln 
  • Herkunft aus nachhaltiger,  GVO-freier Erzeugung
  • geringer ökologischer Fußabdruck 
  • einfaches Handling
  • Möglichkeit von Clean-Label-Rezepturen 
  • produkttypische funktionale 
  • Eigenschaften (Mundgefühl, Textur, Biss)
  • keine Qualitätsverluste durch Erhitzen oder andere Behandlungen 

Hersteller und Wissenschaftler kommen diesem Katalog mit regelmäßig optimierten Verfahren und Ansätzen entgegen.

 

Produkte auf Basis von Soja, Weizen und Seitan am populärsten

Je nach Einsatzzweck der Proteine bedarf es unterschiedlicher Formen und Strukturen. Um diese herzustellen, hat sich die Extrusion durchgesetzt. So stellt zum Beispiel die zur Despel & Deiters-Gruppe gehörende Firma Loryma mit diesem hydrothermischen Verfahren ihre unterschiedlichen Weizen-Texturate her. Zur Wahl stehen dadurch gleich sechs Formate. Für sich selber neutral schmeckend, sollen sie in Fleischalternativen als Endprodukt für einen charakteristischen Eindruck sorgen. Spezielle Clean-Label-Binder oder stärkebasierte Ingredienzien aus Lorymas Portfolio tragen dazu bei, dass Wurstpendants und andere Produkte gut gelieren und den passenden Biss haben.

Pflanzentexturate ebenfalls aus Weizen-, mittlerweile aber auch aus Soja- oder Erbsenproteinen bietet GoodMills Innovations an. Unter dem Namen Vitatex empfiehlt sie der Experte für funktionelle Spezialzutaten auf Getreidebasis zur Produktion von vegetarischen oder komplett veganen Applikationen mit einem authentischen Geschmacks­profil. Nicht nur Produkte aus Schweine-, Rinder- und Geflügelfleisch sollen sich ersetzen lassen, sondern auch Fischerzeugnisse vom Fischstäbchen bis zu Thunfisch. GoodMills reagiert damit auf das noch bestehende große Marktpotenzial dieser beliebten, aber knappen Lebensmittel. Der Proteingehalt der trockenen Vitatex-Texturate liegt laut GoodMills größenordnungsmäßig zwischen 75 und 80 Prozent. Für die Herstellung der gewünschten Fisch- oder Fleischimitate werden sie einfach rehydriert – wobei sich das gute Wasserbindungsvermögen auszahlt – und zusammen mit Gewürzen, Hydrokolloiden und weiteren Zutaten weiterverarbeitet. Im Zusammenspiel des jeweiligen Texturformats wie Flakes oder größere Chunks, den geschmacksgebenden Zutaten und der schon im Vorfeld berücksichtigten späteren Anwendung entsteht laut Hersteller der sensorische Gesamteindruck. 

Reis- oder Haferprotein nicht nur für Allergiker interessant

Taiyo, mit Deutschlandsitz in Nordrhein-Westfalen, entwickelt innovative und natürliche Lebensmittelzutaten mit gesundheitlichem oder funktionellem Mehrwert. Jetzt stellt das Unternehmen mit dem sogenannten Vegemeat eine neue vegane Hackfleischalternative auf Basis von Erbsenproteingranulat vor. Das dunkelrot-braune Produkt enthält nur vier Zutaten: Erbsenproteinisolat sorgt für den hohen Eiweißgehalt von 78 Gramm pro 100 Gramm Produkt. Erdbeersaft­konzentrat dient als origineller Farb­geber, Salz unterstützt den Geschmack. Konjakwurzelpulver beziehungsweise das dahinterstehende stärkeähnliche Glukomannan schließlich bindet das Protein und wirkt zugleich quellend. 

Wie bei den meisten pflanzlichen Proteinalternativen ist der Fettgehalt im Rohstoff gering. Hinsichtlich der Kalorien ein Vorteil, würden Fleisch- und andere Imitate ohne weitere Rezeptzutaten allerdings tendenziell weniger sättigen. Glucomannan ist allerdings als Ballaststoff und Sättigungshilfe anerkannt. Taiyo will daher das Vegemeat demnächst mit einem Health Claim anbieten. Bei der Anwendung erweise es sich außerdem als praktisch, dass das trockene, grobe Granulat einfach ohne vorheriges Einweichen bei der Zubereitung von Gerichten wie Bolognese, Lasagne oder in Instantsuppen eingesetzt werden könne. Auf Kundenwunsch sind in Zusammenarbeit mit Köchen gerne spezielle Würzungen möglich, sagt Geschäftsführer Dr. Stefan Siebrecht. Mit Blick auf ein mögliches Defizit bei Veganern schlägt er zudem den möglichen Zusatz von Eisenpyrophosphat vor. 

Interessant ist der eher unübliche Weg, den Taiyo bei dem Trocknungsprozess eingeschlagen hat, und zwar mittels Mikrowellenerwärmung. Siebrecht: „Das Produkt wird feucht vermischt und dann auf ein Band gegeben. Dieses durchläuft sechs bis zehn Mikrowellenöfen mit sehr schwacher Leistung, sodass es langsam und schonend getrocknet wird.“ Sofern man keinen Anbieter finde, will man es im Sommer selber auf den Markt bringen. 

Proteinreich & Bio funktioniert

Was pflanzliche Milch- und Joghurt­alternativen betrifft, liegt anstelle von Soja oder Reis als Basis in Deutschland derzeit Hafer absolut im Trend. Bei der Produktentwicklung hat sich die Bio-Branche als Vorreiter und Impulsgeber erwiesen. Meurens Natural reagiert nun mit dem neuen Clean-Label-Eiweißkonzentrat SipaPro-Oat auf den Bedarf an Rohstoffen – mit der Besonderheit, dass es aus gentechnikfreiem Bio-Hafer gewonnen wird. Auch der Herstellungsprozess für das Pulver ist nach Unternehmensangaben rein natürlich: Das gemahlene Korn wird unter Wärmezufuhr mit Wasser gemischt, mit ebenfalls GVO-freien Enzymen hydrolysiert und filtriert. Durch weitere Anreicherung der gewonnenen proteinhaltigen Fraktion lässt sich der Gehalt im Endprodukt auf mindestens 55 Prozent erhöhen, die angefallene Flüssigkeit sich ihrerseits zu einem vielseitigen Sirup einengen. Meurens Natural zufolge ist SipaPro-Oat mit seinem milden Hafergeschmack und einer Wasserbindungskapazität von 2,48 flexibel einsetzbar, zum Beispiel auch zur Nährstoffanreicherung von Cerealien, Backwaren, Snacks und Sportlernahrung. Positiv zum Tragen kommt hier, dass es zugleich 15 Prozent Ballaststoffe und 8,5 pflanzliche Lipide liefert.

Start-ups mit neu belebten Ideen

Neben Vly lässt sich unter anderem die ProteinDistillery mit Saccha als Ideengeber für neue Proteinansätze nennen. Das junge Unternehmen stellte auf der Food-Ingredients-Messe im Herbst ein Protein vor, das durch klassische Fermentation von Getreide mit Brauhefe und einer anschließenden Extraktion gewonnen wird. In dem schonenden Verarbeitungsprozess würden die Mikro­organismen inaktiviert und die natürlichen Proteine zu einem hochwertigen, gut verträglichen 80-prozentigen Eiweiß angereichert. Dessen Wertigkeit lasse sich mit der von Hühnereiweiß vergleichen, erläutert Christoph Pitter aus dem Gründerteam. Den Einsatz als Ei-Ersatz nennt er dann auch als eines der vielen Einsatzgebiete, etwa um in glutenfreien Backwaren eine luftige Struktur zu erzielen. Saccha gleiche in der Stabilität und Konsistenz dem tierischen Vorbild. Da man den Geschmack des Proteins gezielt steuern kann, sind komplett neutrale Lösungen genauso möglich wie eine bewusste Nutzung des Eigengeschmacks der Hefe. Die erste Variante bietet sich dabei genauso für vegane Milchalternativen an, zumal das Protein vollständig löslich ist. Für Letzteres liegt aufgrund der natürlichen Umami-Note in Fleischalternativen und Fertiggerichten großes Potenzial.

Klein, effektiv und nachhaltig

Nicht Mikroorganismen, sondern Mikro­algen stehen bei anderen Herstellern im Mittelpunkt. Beispielsweise bei Sophie’s BioNutrients (Niederlande/Singapur), die mit ihrem Protein aus Einzellern zu den Gewinnern der Start-up Innovation Challenge auf der Food Ingredients gehörten. Die Proteine aus den ebenfalls fermentativ vermehrten Mikroalgen werden in diesem Fall mittels Nassextrusion (high moisture extrusion, HME) zu den gewünschten Strukturen weiterverarbeitet. Auf Basis des wasserlöslichen Proteinmehls, das aus einem eigenen Mikroalgenstamm stammt, hat Sophie’s Bionutrients auf der Messe unter anderem eine allergenfreie Milchalternative vorgestellt. Der Nährwert sei vergleichbar mit dem von Kuhmilch, wobei der Protein­wert durch veränderte Verhältnisse im Algenmehl noch deutlich angehoben werden könne. Genauso möglich seien Burger-Patties, Alternativen zu 

Chicken Nuggets und ähnliche Trendprodukte im Fleischregal. 

Das Unternehmen steht nicht allein da; zahlreiche kleine und große Firmen (u. a. Unilever, Roquette, Nestlé) erkennen die Chancen von Mikroalgen als nachhaltige Zutat mit Zukunft: Sie wachsen sehr schnell – manche Arten können ihr Volumen in sechs Stunden verdoppeln – und lassen sich in speziellen Anlagen kontrolliert kultivieren. Dazu kommt die günstige Nährstoffzusammensetzung mit bis zu 70 Prozent Eiweiß, wichtigen ungesättigten Fettsäuren, Spurenelementen und Vitaminen oder ß-Carotin. Erstaunlich wenig stehen hierzulande dagegen Makrobeziehungsweise Meeresalgen im Blickpunkt. Zwar sind daraus gewonnene natürliche Verdickungsmittel wie Alginate oder Carrageen weit verbreitet, als eiweißreiches Lebensmittel landen Laminaria und Co. im Unterschied zu Ländern wie Japan und Nordfrankreich bisher selten auf dem Teller.

Wachsender Markt für Insektenprotein

Mit Insekten steht eine weitere zukunftsträchtige Proteinquelle für Lebensmittel in den Startlöchern. So unterstützt die Schweizer Bühler Group mit ihrer Expertise für Extraktionsanlagen Start-ups bei der Zucht und Verarbeitung von Mehlwürmern, Schwarzen Soldatenfliegen und anderen Insekten oder ihrer Larven. Als Vorteil neben dem Nährwert gilt, dass sie auf Weizenkleie, Reishülsen und ähnlichen Nebenprodukten wachsen können. 

Die aus dem Insektenrohmaterial abgetrennte Proteinfraktion wird in den modernen Industrieanlagen von Bühler dem Anforderungsprofil entsprechend gewürzt oder angereichert und mit Wasser oder Dampf konditioniert. Nach dieser Vorbereitung kommt die Masse in die Extruder, wobei Bühler modulare Doppelschneckenextruder empfiehlt. Um die Kapazität zu erhöhen, ist die direkte Verbindung mit einer Kühldüse möglich. Das Unternehmen hebt dabei die Flexibilität ihrer Anlagen hervor. Produzieren ließen sich trocken und auch nass texturierte Proteine, ebenso wie kochextrudierte Snackprodukte. Nass texturierte Proteine können anschließend mit einem Mehrzweck-Schneidegerät in Streifen, Würfel und Brocken geschnitten werden. Trocken extrudierte Proteine lassen sich dagegen etwa zu Hackfleischersatz oder unregelmäßigen Chunks zerkleinern und trocknen. 

Smart-Protein-Project – gemeinsam forschen 

Die Politik hat die Relevanz des Themas gleichfalls erkannt: Unter dem Dach des geförderten EU-Projekts „SmartProteinProject“ (Start 2020) haben sich über 30 Partner aus Industrie, Forschung und Wissenschaft zusammengeschlossen, um Proteine aus Pflanzen, Pilzen und Nebenprodukten der Lebensmittelproduktion aufzuspüren und sie mit innovativen, kosteneffektiven Prozessen zu gewinnen. Dabei soll jeweils die gesamte Protein-Wertschöpfungskette vom Anbau bis zur Verwendung im Hinblick auf die Effektivität, Nachhaltigkeit und Umweltbelastung betrachtet werden. Bei den pflanzlichen Proteinquellen werden zunächst Ackerbohnen, Linsen, Kichererbsen und Quinoa untersucht. Einerseits geht es darum, die Fraktionierung zu optimieren. Andererseits sollen mit den Ingredienzien Prototypen von proteinreichen Produkten wie Fleisch- und Fischalternativen, Getränken, Käse und Joghurt, Back- oder Teigwaren hergestellt werden. 

Das Fraunhofer-IVV beteiligt sich gleich mehrfach an dem EU-Projekt, unter anderem bei einer möglichen Nutzung von Nebenströmen, wie sie in Mühlen, bei der industriellen Produktion von Teigwaren, bei Bäckereien und Brauereien anfallen. Diese werden nun auf ihre Eignung als Substrate zur Fermentation mit Pilzen geprüft. Bei der Fermentation selber wollen die Wissenschaftler submerse Verfahren im Bioreaktor, die Festphasen-Fermentation zur Erzeugung von essbaren Mycelium-Kuchen sowie die klassische Kultivierung von lebensmitteltauglichen Pilzen im Vergleich untersuchen. Außerdem forscht das Fraunhofer-IVV gemeinsam mit anderen Projektpartnern an der Weiterverwendung von Proteinen und Kohlenhydraten, die aus den fraktionierten Pilzmyzelien isoliert wurden. Hier stehen einmal mehr Fleisch­ersatzprodukte und Meeresfrüchte-Alternativen im Fokus. Nicht zu vergessen ist das Engagement des Instituts im Bereich der Verarbeitung von Meeresalgen, um funktionale Lebensmittelzutaten mit neutralem Geschmack zu gewinnen.