Personalisierte Ernährung
Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Dennoch haben Forscher aus Zürich und Wageningen in die F&E-Abteilungen von Unternehmen geschaut und abgeleitet, welche Produkte in den nächsten zehn Jahren auf unsere Teller kommen könnten. Die Autoren sind Wirtschaftswissenschaftler, die auf die Landwirtschafts- und Lebensmittelindustrie spezialisiert sind. Die Studie zeigt, wie schon heute Technologien unsere Lebensmittelwelt deutlich umstrukturieren.
Die internetverbundene Toilette mit integrierter Genomanalyse könnte bald so üblich wie ein Smartphone sein, prognostizieren Forscher der China Europe International Business School aus Zürich und der Wageningen University der Niederlande. Der Reihe nach: Vor 25 Jahren Jahren kostete die erste Analyse der kompletten DNA eines Menschen drei Milliarden US Dollar, vor zehn Jahren kostete sie zehn Millionen Dollar, heute kostet sie nur noch 1.000 Dollar.
Falls diese Geschwindigkeit des Fortschritts eingehalten wird, dann wird eine DNA- Analyse im Jahr 2027 nur noch zehn Cents kosten. Für den Endkonsumenten wird sie vermutlich kostenlos sein. Auch die DNA von Tieren, Pflanzen und Mikroben können dann schnell und günstig analysiert werden. Besonders interessant ist das für die ca. 1.100 unterschiedlichen Bakterien-, Viren- und Pilzarten, die symbiotisch in und auf den Menschen leben und in einem erheblichen Ausmaß Gesundheit und Wohlbefinden des menschlichen Gastwirtes beeinflussen.
Die Lebensmittelindustrie, vom Jogurt- bis zum Fleischersatzhersteller, bereitet sich auf das Zeitalter der personalisierten Ernährung vor. Diese Personalisierung benötigt Daten über den metabolischen Zustand der betroffenen Person. Kein anderes Haushaltsgerät hat so direkten und häufigen Zugang zu diesem Zustand wie die Toilette. Sie wird das Gerät sein, das Kochrezepte vorschlägt, die Zutaten automatisch im Online-Shop nachbestellt, das Haushaltsbudget überwacht und die Zugangskontrolle zu den Naschereien regelt. Die von der Toilette ausgelöste Bestellung wird von einem Liefer-bot, wie er zum Beispiel heute bereits von der Firma Hermes getestet wird, nach Hause geliefert. Diese kleinen Roboter werden von der estnischen Firma Startech produziert. Sie können sich autonom auf Fußgängerwegen und im Straßenverkehr bewegen und liefern Pakete bis zu 18 Kilogramm aus. Startech berechnet, dass die Kosten für eine Auslieferung auf weniger als ein Euro kommen. Wer will dann noch zum Supermarkt?
Personalisierte Ernährung als Geschäftsmodell
Was bei Danone und Nestle vor vielen Jahren begann, ist heute Standard bei den Konzernen: Sie behaupten meist in der Gesundheits- und Wohlbefindenbranche tätig zu sein. Start-ups, die auf Basis von individuellen DNA-Informationen personalisierte Ernährungsprogramme und Nahrungsergänzungsmittel anbieten, schießen bereits wie Pilze aus dem Boden. Vom Crowdfunding gestützten Unternehmer bis zum Multikonzern verspricht man sich mit dem Geschäft der personalisierten Ernährung für mehr Gesundheit vor allem sehr gesunde Margen für die eigenen Produkte. Wird dem so sein? Oder wird jemand anderes diese Profite verdienen?
Die amerikanische Financial Times hat die fünf großen Datengiganten der Welt, Apple, Alphabet, Microsoft, Facebook und Amazon, als die „Erschreckenden Fünf“ bezeichnet. Jeder einzelne von ihnen ist mindestens doppelt so viel wert wie Nestle, der wertvollste Lebensmittelkonzern der Welt. Die „Erschreckenden Fünf“ können sich jede Form der Datenakquisition leisten, um in Zukunft noch mehr der Wertschöpfung jeder beliebigen Industrie ins eigene Business umzuleiten. Sobald sich die Möglichkeit ergibt, hochspezifische und personalisierte Daten zu erhalten und damit in der Lebensmittelbranche Geld zu verdienen, werden die „Erschreckenden Fünf“ zur Stelle sein. Dank ihrer finanziellen Übermacht kann sie kaum jemand abhalten, Endkunden konkurrenzlos günstige Angebote zu unterbreiten. Das bedeutet in der Regel, dass die Produktangebote kostenlos sind.
Wie viele Personen werden ein kostenloses Angebot ablehnen, das das eigene Wohlbefinden steigert? Wer benutzt heute nicht Google?
Investitionen in Künstliche Intelligenz
Die Datenerhebung und -verknüpfung alleine reicht allerdings nicht aus, um ein für den Konsumenten sinnvolles Produkt erstellen zu können. Der dritte Schritt ist die Datenverwertung. In ihr steckt der eigentliche Wert. Die Datenmengen sind so groß, dass es nur mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) möglich ist, aus ihnen sinnvolle Erkenntnisse zu extrahieren. In 2016 hat die KI endgültig die menschlichen Fähigkeiten in Strategie, Analyse und rationalem Denken übertroffen: Selbstlernende KI-Computer haben die besten menschlichen Spieler in Schach, Go, Free-Civ und Poker besiegt. In vielen Bereichen, wie z.B. der juristischen Recherche, pharmazeutischen Wirkstofferkennung, MRI-Bildanalyse, Anzeigenkampagnenerstellung, EDV-Wartung oder Tumordiagnostik übernehmen KI-Computer die Arbeitsplätze von vormals hochausgebildeten menschlichen Spezialisten. Die KI verzehnfacht ihre eigene Leistungsstärke etwa alle zwei bis drei Jahre, in zehn Jahren ist sie um den Faktor 1.000 besser als heute. Kein Mensch kann hier mithalten. Das Wettrennen um die Jobs, in denen analytische Kenntnisse wichtig sind, ist damit bereits entschieden.
Wer also in dem Wettrennen um die Profite der Zukunft vorne dabei sein möchte, muss heute in Künstliche Intelligenz investieren. Umso früher die Unternehmensleitung beginnt, die neuen KI-Kollegen in das Unternehmen zu integrieren, desto früher kann das Unternehmen auf dessen Analyseleistung zurückgreifen und im Wachstumsmarkt der personalisierten Ernährung einen Teil der Wertschöpfungskette für sich zu erschließen.
Vollsynthetische Genetik
Das darauf folgende Wachstumsfeld zeichnet sich auch bereits ab. Wer nicht bei der DNA-gestützten personalisierten Ernährung dabei ist, wird es noch schwerer haben im übernächsten Spiel dabei zu sein: dem Feld der synthetischen DNA. Bis Ende 2017 wird es das erste Lebewesen geben, das komplett aus synthetischer DNA erstellt ist: einen Hefepilz. Dieselben Forscher haben bereits Forschungsgelder beantragt und angekündigt, dass sie bis 2027 auch die menschliche DNA komplett synthetisch nachbilden können. Schon vorher wird es möglich sein, nicht nur die Ernährung auf die persönlichen Bedürfnisse abzustimmen, sondern auch Lebensmittel selbst mit maßgeschneiderter teil- oder vollsynthetischer Genetik herzustellen. Die dazu entsprechenden 3-D-Lebensmitteldrucker gibt es bereits.
Diese technologischen Entwicklungen erzeugen tiefgreifende Fragen zu Ethik und Moral. Es wird nicht mehr möglich sein, allgemeingültige und für alle und immer verbindliche Regulierungsnormen zu erstellen, die die Personalisierung und genetische Synthetisierung von Lebensmitteln regelt. Die Kunden werden Transparenz verlangen über die Produktionsmethoden sowie deren Auswirkungen und Absichten. Technologie wird es möglich machen, diese Transparenz herzustellen. Die Unternehmen müssen dann ihre moralische Position entweder zur Verwendung oder Nichtverwendung von Technologien klar definiert haben, diese kommunizieren und sich daran messen lassen können und wollen. Folgerichtig hat eine Umfrage der Forscher unter Top-Entscheidungsträgern der Lebensmittelbranche ergeben, dass in 2027 die ethische Legitimierung durch den Kunden, und der Zugang zu handlungsorientierten Datensätzen jeweils ca. 31 % der Wertschöpfung eines Unternehmens bestimmen werden. Also zusammen 62 % und damit mehr als die Produktion des eigentlichen Produktes oder der Dienstleistung. Aktuell liegt die Anteile für die diese beiden Faktoren bei heute 24 %, vor zehn Jahren waren es nur jeweils 15 %. Die komplette Studie als Download unter: www.foodandagribusiness.org/2027
Autor: Prof Dr. Peer Ederer
Program and Science Director
Food and Agribusiness Forum at CEIBS and Wageningen University, Professor Human Capital,
Innovation and Growth, Zeppelin University
peer@innovationgrowth.com
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