Prävention durch Blockchain-Technologie
Food Fraud
aus: DLG-Lebensmittel 2/2019, S. 20ff.
Autor: Klaus Rufli, Geschäftsführer DLG TestService GmbH, Standort Gau-Bickelheim
Welche Rolle können neue Vertrauenstechnologien in Zukunft bei Themen wie Lebensmittelbetrug oder Rückverfolgbarkeit spielen? Aktuelle Beispiele zeigen, dass sich die Lebensmittelbranche verstärkt mit den Möglichkeiten der Blockchain-Technologie beschäftigt.
Der als „Food Fraud“ bezeichnete Lebensmittelbetrug in der Wertschöpfungskette gewinnt zunehmend an Bedeutung. Deshalb sollen risikobezogene Kontrollen nicht mehr nur die Lebensmittelsicherheit berücksichtigen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit von Betrugsdelikten. Allerdings sind aktuelle Aktivitäten im Bereich der Verhütung und Überwachung in der Regel rückwärts gerichtet: Durch randomisierte Stichprobenkontrollen und Rückverfolgbarkeitstests, Dokumentenprüfungen und Audits der Industrieunternehmen soll verhindert werden, dass verfälschte Produkte in den Verkehr gelangen. Dabei wird auf das Prinzip der Abschreckung durch strenge Strafen gesetzt.
Neue „Vertrauenstechnologien“ verschieben die Perspektiven bei der Diskussion rund um Food Fraud, indem sie verstärkt auf Prävention setzen. So die Blockchain-Technologie, die es ermöglicht, dass die an der Herstellung, Verarbeitung und Vermarktung eines Lebensmittels beteiligten Partner alle Vorgänge selbst dokumentieren, überwachen und managen – und das nahezu in Echtzeit.
Integrität des Gesamtsystems
Die Blockchain-Technologie wurde ursprünglich mit dem Ziel entwickelt, eine nicht manipulierbare Technologie zur Einführung von Kryptowährungen zur Verfügung zu stellen. Durch die aufeinander aufbauende Speicherung von Daten in einer Blockchain können diese nicht nachträglich geändert werden, ohne dass die Integrität des Gesamtsystems beschädigt wird. Damit wird die Manipulation von Daten erheblich erschwert. Der dezentrale Konsensmechanismus ersetzt die Notwendigkeit einer vertrauenswürdigen dritten Instanz zur Integritätsbestätigung von Transaktionen.
Wichtige Prinzipien der Blockchain-Technologie sind:
- Verkettungsprinzip: Eine Blockchain ist eine verkettete Folge von Datenblöcken, die über die Zeit weiter fortgeschrieben wird.
- Dezentrale Speicherung: Eine Blockchain wird nicht zentral gespeichert, sondern als verteiltes Register geführt. Alle Beteiligten speichern eine eigene Kopie und schreiben diese fort.
- Konsensmechanismus: Es muss sichergestellt werden, dass eine bei allen Beteiligten identische Kette entsteht. Hierfür müssen zuerst Vorschläge für neue Blöcke erarbeitet werden. Dies geschieht durch Validatoren. Dann müssen sich die Beteiligten einigen, welcher vorgeschlagene Block tatsächlich in die Kette eingefügt wird. Dies erfolgt durch ein sogenanntes Konsensprotokoll, ein algorithmisches Verfahren zur Abstimmung.
- Manipulationssicherheit: Durch kryptographische Verfahren wird sichergestellt, dass die Blockchain nicht nachträglich geändert werden kann. Die Kette der Blöcke ist somit unveränderbar, fälschungs- und manipulationssicher.
- Transparenz / Vertraulichkeit: Die auf der Blockchain gespeicherten Daten sind von allen Beteiligten einsehbar. Sie sind deshalb aber nicht unbedingt auch für alle sinnvoll lesbar, denn Inhalte können verschlüsselt abgespeichert werden. Blockchains erlauben so eine flexible Ausgestaltung des Vertraulichkeitsgrads.
- Nichtabstreitbarkeit: Durch die Nutzung digitaler Signaturen sind Informationen in der Blockchain speicherbar, die fälschungssicher nachweisen, dass Teilnehmer unabstreitbar bestimmte Daten hinterlegt oder Transaktionen angestoßen haben.
Blockchain Potenziale für die Lebensmittelkette
Die genannten Eigenschaften und Prinzipien der Technologie, insbesondere die Manipulationssicherheit und Transparenz, sind dazu geeignet, auch innerhalb der Lebensmittel-Lieferkette eingesetzt zu werden. Der Einsatz einer Blockchain, in der alle Beteiligten die Transaktionen der Lebensmittel-Lieferkette gemeinsam dokumentieren, kann deutlich Kosten und Zeit sparen. Eine Blockchain könnte auch das Misstrauen gegenüber einem zentralen registerführenden Akteur aufheben, da ein Blockchain-Register ohne zentrale Datenbank auskommt und jeder Akteur über die gleichen Informationen verfügen kann. Die Buchführungs- und Leserechte können gestuft verteilt werden, angepasst an die unterschiedlichen Nutzergruppen und deren Bedürfnisse, wie zum Beispiel Hersteller, Spediteure, Zoll und auch der Verbraucher. Damit würde auch nicht zwangsläufig immer vollständige Transparenz herrschen, die von Wettbewerbern ausgenutzt werden könnte. Endverbraucher könnten ebenso davon profitieren, indem sie Zugriff auf ausgewählte Informationen entlang der gesamten Lieferkette bekämen - von der Ernte über Verarbeitung, Logistik, Verzollung, Zertifizierung, Lebensmittelüberwachung, den Großhändler bis hin zum Einzelhandel.
Außerdem bestünden auch Automatisierungspotenziale für einzuhaltende Dokumentationspflichten: So kann ein im Container angebrachter Sensor die Temperatur von Lebensmitteln messen, die Messdaten über IoT in die Blockchain schreiben und so eine lückenlose Einhaltung der Kühlkette dokumentieren. Würde sie nicht eingehalten, könnte ein entsprechend aufgesetzter Smart Contract automatisch Alarm schlagen.
Erhöhung der Transaktionssicherheit
Die Blockchain-Technologie bietet durch ihre dezentrale Netzwerkstruktur die Möglichkeit, in verteilten Systemen die Transaktionssicherheit zu erhöhen und den Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Immer neue Dienstleister bieten Blockchain-basierte Anwendungen für die unterschiedlichsten Einsatzmöglichkeiten an. Technologiekonzerne wie IBM liefern bereits kundenspezifische Blockchain-Lösungen. Stehen bei einigen der angebotenen Lösungen die Reduzierung von Papierdokumentation und die Verschlankung vorhandener Prozesse im Fokus (z.B. Transport-Paletten-Anwendung, GS1 Germany), so sind andere Lösungen darauf ausgelegt, die Authentizität und Qualität von Produkten und Dienstleistungen sicherzustellen. Dabei handelt es sich um sogenannte Notarisierungsservices, welche schon vor allem im Bereich technischer Produkte wie bei Kraftfahrzeugen, z. B. durch CERTIFICAR, eingesetzt werden. Dabei ist es Ziel, die Kilometerlaufleistung und die durchgeführten Servicemaßnahmen im Laufe des Lebenszyklus eines Fahrzeugs manipulationssicher zu dokumentieren. Damit soll Betrug verhindert und durch ein fälschungssicheres Zertifikat der Wert des betreffenden Fahrzeuges beim Verkauf gesteigert werden.
Perspektiven für die Lebensmittelsicherheit
Können Blockchain-basierte Notarisierungsservices im Nahrungsmittelsektor das Food Fraud-Risiko minimieren? Kann die Verfügbarkeit von Informationen das Vertrauensverhältnis zwischen Kunde und Händler verbessern? Diese Fragen sind bei Weitem noch nicht beantwortet. Neben technischen Hürden, die beim Einsatz der Blockchain-Technologie noch genommen werden müssen, stellt sich auch die Frage nach der zukünftigen Rolle von Zertifizierungsorganisationen im Kontext von „Vertrauenstechnologien“.
Walmart: Rückverfolgung im Sekundentakt
Sechs Tage, 18 Stunden und 16 Minuten – so viel Zeit braucht der US-Handelskonzern Walmart aktuell, um den Weg einer Mango zurückzuverfolgen. Vom Feld in Mexiko bis hin ins Supermarktregal nach Amerika. Kritisch ist das, wenn ein Produkt schnellstmöglich aus dem Verkehr gezogen werden muss. Bei Walmart merkte man das, als es um mit gefährlichen E.-coli-Bakterien verseuchten Römersalat ging. Das Problem: Walmart wusste, aus welcher Region der Salat stammt, aber nicht durch welche Hände er gegangen war. Also tat das Unternehmen, was es in solchen Fällen immer tut: den ganzen Römersalat entsorgen. In Zukunft soll das nicht mehr passieren. Walmart hat eine sogenannte „Food-Blockchain“ angekündigt. Jeder Zwischenhändler soll dann automatisch an eine Datenbank melden, wann er ein Lebensmittel erhält, und wann er es an wen weitergibt. Das Ziel ist es, jeden Schritt der Lieferkette mit einem Zeitstempel zu versehen. Walmart könnte dann innerhalb von Sekunden den Weg einer Mango nachvollziehen. Kritiker streiten sich noch, ob es sich dabei wirklich um eine Blockchain handelt. Mitmachen darf nur, wer von Walmart auch die Erlaubnis erhält – was dem ursprünglichen Grundgedanken doch sehr widerspricht. (Stand Januar 2019)
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