Reinraumtechnik: Vorsprung durch gezielte Hygiene
Clean Label gewinnt seit Jahren an Bedeutung. Viele Verbraucher zeigen sich zunehmend irritiert, wenn auf der Zutatenliste chemische Begriffe und E-Nummern auftauchen. Deswegen gehen immer mehr Lebensmittelhersteller bei der industriellen Zubereitung von Salaten, frischer Pasta oder Sandwiches einen Schritt weiter und verzichten auf den Einsatz von Konservierungsstoffen. Damit Bakterien und Schimmelpilze gar nicht erst in die Produktion gelangen, setzen sie verstärkt auf den Einsatz von Reinräumen. Das Prinzip: Ein ausgeklügeltes Konzept der Luftführung, basierend auf hochwertigen Schwebstofffiltern in denen kleinste Partikel und Mikroorganismen hängen bleiben, sorgt für ein sauberes Produktionsumfeld. Da sich die unter Reinraumbedingungen erzeugten Lebensmittel auch ohne Konservierung länger frisch halten lassen, erwarten Experten wie Frank Duvernell, dass dieser Trend weiter an Bedeutung gewinnt. „Immer mehr Fachkräfte aus Forschung, Produktion, Logistik und Dienstleistung müssen sich deshalb aktuelles Reinraumwissen aneignen“, meint der Geschäftsführer der Reinraumakademie in Leipzig.
Reine Luft im Fokus
Den Schlüssel zum Erfolg sieht er in einem richtigen Einsatz der Prozesse, wobei die Norm ISO 14644-1 maßgeblich ist. Sie definiert die Reinraumklassen 1 bis 9 und legt fest, wie viele Partikel und Mikroorganismen welcher Größe in einem Kubikmeter Luft vorhanden sein dürfen – je kleiner die Reinraumklasse, desto größer der Reinheitsgrad. Während in einer Fabrik für Halbleiter sehr hohe Reinheitsgrade gefordert werden, sind für die Herstellung von Lebensmitteln Reinräume der Klassen 5 bis 7, vereinzelt auch 8, gängige Praxis. Zur Veranschaulichung: Bei Klasse 5 dürfen maximal 3.520 Partikel von 0,5 Mikrometer Durchmesser pro Kubikmeter enthalten sein. Dies entspricht einer mikrobiellen Belastung von weniger als einem Keim pro Kubikmeter Luft.
So vielversprechend die Aussicht ist, ganze Räume samt Menschen und Maschinen von störenden Mikroorganismen zu befreien: wirtschaftlich realisierbar sind solche übergeordneten Reinraumkonzepte in der Lebensmittelindustrie nur in den seltensten Fällen. An ihre Stelle treten flexible Raum-in-Raum-Lösungen und mobile Reinräume zur Überbauung von Maschinen. Hierbei spielt die eingesetzte Luftströmung eine wesentliche Rolle. Systeme, die weder Keime noch Sporen aufwirbeln, erlauben es, Luftmassen ruhig und laminar zu reinigen und dadurch das offene Produkt zu schützen. Bei dem überwiegenden Teil stammt die partikel- und keimfreie Luft aus einer endständigen Filtration und Oberflächenentkeimung mittels UV-C-Technologie.
Das Laminar Flow Ultraclean-System von Weiss Klimatechnik arbeitet beispielsweise mit vertikaler, turbulenzarmer Verdrängungsströmung und erfüllt im Arbeitsbereich die Anforderungen der Reinheitsklasse 5 nach ISO 14644-1. Unter der Reinraumeinheit herrscht ein permanenter Überdruck, durch den das Eindringen von Partikeln in den Arbeitsbereich verhindert wird. Die Zuluft wird mit Filtern der Klasse G4 vorbehandelt. Die letzte Filterstufe zum Reinraum ist ein HEPA-Filter mindestens der Klasse H14 mit einem Abscheidegrad von 99,995 Prozent.
Ein von der Firma Ortner speziell für die Produktion von Backwaren entwickeltes System ist die Cleancloud. In Produktionsnähe installiert, saugt das Modul die Luft im Raum an, filtert diese und bringt sie als gereinigte und entkeimte Luft direkt über dem Arbeitsbereich wieder ein. Der Produktionsprozess wird damit ab dem Austritt aus dem Backofen durch eine „Reinluftwolke“ der Güte ISO 5 begleitet und geschützt. Die saubere Lufthülle verhindert eine Rekontamination der offen geführten Backwaren durch über die Luft eingebrachte Mikroorganismen.
Personendusche mit Licht und Farbstoff
Das nach wie vor große Problem der Verschleppung von Bakterien und Partikeln entsteht durch den Menschen selbst. „Besonders schwierig ist es, Personen zu dekontaminieren. Sie sind in Reinräumen der größte verunreinigende Risikofaktor“, sagt Gabriele Berg vom Institut für Umweltbiotechnologie an der Technischen Universität Graz. Wer in Reinräumen arbeitet, muss oft die Kleidung wechseln. Dieses langwierige An- und Ausziehen kostet Zeit und Geld. Eine Alternative sieht die österreichische Wissenschaftlerin in der photodynamischen Desinfektion (PDcT) von Kleidung. „Wir nutzen einen Effekt, der es einem Farbstoff ermöglicht, auf spezielle Wellenlängen des Lichts zu reagieren. In dieser Reaktion bildet sich hochreaktiver Sauerstoff, der mit den unerwünschten Keimen reagiert und deren Wachstum verhindert.“ Erst seit kurzem ist die Anwendung auch auf speziell gefärbter Arbeitskleidung möglich. „Für den Menschen ist diese Art der Dekontamination völlig ungefährlich“, betont Berg. Gemeinsam mit ihrem Team sowie mit zwei weiteren Instituten, dem Kompetenzzentrum Research Center Pharmaceutical Engineering und verschiedenen Unternehmen hat die Wissenschaftlerin die Antikeim-Technologie zur Praxisreife geführt. Mit PDcT ist es erstmals möglich, Personen in ihrem Arbeitsumfeld zu dekontaminieren und so die Keimübertragung durch den Menschen zu minimieren.
Die Anwendungsmöglichkeiten der neuen Technologie sind vielfältig. In Reinraumbereichen der Pharma- und Lebensmittelproduktion ist sie heute schon im Einsatz. Das Patent hält die Partnerfirma Ortner. Der Reinraumspezialist hat sich mit seiner Personenschleuse JET ein wirksames Konzept auf Basis der photodynamischen Desinfektion einfallen lassen, das die Partikel von der mit PD-Farbstoff beaufschlagten Reinraumkleidung sicher ablöst. Dafür wurde das Unternehmen aus Villach vom österreichischen Wirtschaftsministerium jüngst mit dem Econovius-Preis ausgezeichnet. Die JET-Luftdusche ist mit einer Tageslicht konformen Lichtwelle ausgestattet und somit auch ohne Schutzbrille betretbar. Die Dauer der Desinfektionsphase liegt je nach Einsatzweck zwischen zwei und drei Minuten. Ein Sensor überwacht dabei die korrekte Fußstellung und Handhaltung, wodurch sich eine umfassende Dekontamination während der Dusche sicherstellen lässt. Eine effektive Zeitsteuerung von Düsen und Verdrängungsströmung verhindert eine zu starke Durchmischung der Luft in der Schleuse und damit eine mögliche Rekontamination der Personen. Um die Desinfektionszeit kurzweilig zu gestalten, verfügt die Schleuse über ein integriertes Entertainmentsystem.
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