Qualität von Speiseeis mit Methoden der Natur sichern
Eisstrukturierende Proteine
Wissenschaftler entdecken das Potenzial von speziellen pflanzlichen Proteinen zur Qualitätssicherung von Speiseeis. Auf natürliche Weise können diese das begehrte weiche Schmelzgefühl im Gaumen sicherstellen.
Einem Eis kann kaum jemand widerstehen und das nicht nur an warmen Sommertagen. Zwischen acht und neun Liter lässt sich jeder einzelne in Deutschland pro Jahr schmecken. Allein hierzulande werden dafür rund 360 Tausend Tonnen Speiseeis produziert. Der größte Teil entfällt mittlerweile auf industriell gefertigtes Eis aus dem Handel. Damit ein Produkt aber erneut gekauft wird, muss die Sensorik stimmen. Schon ein raues, kratzendes Mundgefühl anstelle eines soften Schmelzes kann da zu einem Ausschlusskriterium werden. Verantwortlich für diesen Qualitätsmangel sind oft Temperaturschwankungen beim Transport oder bei der Lagerung: Beginnt Eis bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt zu schmelzen und wird dann erneut eingefroren, wachsen die Eiskristalle stärker als beim ersten, gesteuerten Frosten und machen sich im Mund störend bemerkbar. Es liegt auf der Hand, dass die Hersteller dem vorbeugen wollen.
Damit ein Produkt aber erneut gekauft wird, muss die Sensorik stimmen. Schon ein raues, kratzendes Mundgefühl anstelle eines soften Schmelzes kann da zu einem Ausschlusskriterium werden. Verantwortlich für diesen Qualitätsmangel sind oft Temperaturschwankungen beim Transport oder bei der Lagerung: Beginnt Eis bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt zu schmelzen und wird dann erneut eingefroren, wachsen die Eiskristalle stärker als beim ersten, gesteuerten Frosten und machen sich im Mund störend bemerkbar. Es liegt auf der Hand, dass die Hersteller dem vorbeugen wollen.
Speiseeis ist ein komplexes Mehrphasensystem, das aus einer viskosen Matrix mit gelöstem Zucker, Milcheiweiß und geschmacksgebenden Zutaten, Fettglobuli, Luftblasen sowie Eiskristallen besteht.Um eine stabil bleibende Eisstruktur zu erreichen, versuchen Eishersteller, eine möglichst stabile, optimale Basis zu erzeugen. Es konnte bereits in mehreren Forschungsprojekten gezeigt werden, dass der Zusatz von bestimmten Proteinen hierbei unterstützend wirken kann. Zum einen handelt es sich um sogenannte Antifreeze- beziehungsweise Antifrost Proteine (AFP) und zum anderen um eisstrukturierende Proteine (ESP), auch als eisbindende Proteine (IBP) bezeichnet. AFP werden von zahlreichen kältetoleranten Organismen gebildet, etwa Fischen, Insekten und Bakterien oder Algen und Pflanzen. Die Proteine rufen eine leichte thermische Hysterese hervor, bei der der Gefrierpunkt auf unterhalb des Schmelzpunktes erniedrigt wird. So verhindern sie zu einem gewissen Grad die Bildung von Eiskristallen, was den Organismen das Überleben bei tiefen Temperaturen sichert. In natura wirken AFP primär intrazellulär, also im Blut oder in Zellflüssigkeiten, Untersuchungen zufolge in tiefgekühlten Lebensmitteln aber auch. ESP werden dagegen vermutlich nach außen abgegeben und bremsen die Bildung von Kristallen beziehungsweise deren Wachstum. Das spricht dafür, die Proteine zum Produktschutz nach der Eishärtung einzusetzen.
Wirkmechanismen noch nicht vollständig geklärt
Es gibt verschiedene Hypothesen dazu, welche Mechanismen der Wirkung von AFP und ESP zugrunde liegen. Überwiegend wird vermutet, dass die besondere Struktur von Eiskristallen ebenso wie die der Proteinmoleküle eine Rolle spielen. So könnten letztere aufgrund einer individuellen Tertiärstruktur auf eine spezifische Weise an die Oberfläche der Eiskristalle adsorbieren und dadurch quasi zu einer Mikrosperrschicht werden. Das Kristallwachstum käme dann nach dem Einbau von nur einer weiteren Molekülschicht Wasser in das Kristallgitter zum Erliegen. Dass die in Untersuchungen beobachtete thermische Hysterese nicht mit der Proteinkonzentration korreliert, sondern generell bereits im einstelligen ppm-Bereich eintritt, spricht für eine hohe Wirksamkeit der Proteine. Die erzielbare Gefrierpunkterniedrigung hängt allerdings von der jeweiligen Proteinart ab. In entsprechenden Versuchen kam es zum Beispiel mit Proteinen aus pflanzlichen Quellen zu geringeren Verschiebungen als mit tierischen Proteinen.
Winterroggen statt Seewolf
Als effektiver Schutz für Speiseeis haben sich bisher vor allem Proteine aus manchen Mikroalgen und arktischen Tiefseefischen, aber auch solche aus Mehlwurmlarven und anderen Insekten erwiesen. Eine gut verfügbare, nachhaltige – und weniger befremdliche – Alternative stellen Proteine aus frosttoleranten Pflanzen dar, zum Beispiel aus Wintergetreide. Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik DIL in Quakenbrück untersuchten in diesem Zusammenhang den Wirkmechanismus und das eisstrukturierende Potenzial von ESP aus den Blättern von heimischem Winterroggen der Sorte Protector. Mit Erfolg!
Bei dem mehrjährigen Forschungsprojekt arbeiteten die Arbeitsgruppen von Volker Lammers und Ute Bindrich mit Winterroggen aus norddeutschem Anbau. Mittels Extraktion konnten sie die Proteine aus den jungen Blättern gewinnen und anschließend durch eine Gelpermeations-Chromatographie fraktioniert aufreinigen. Der Rest der Pflanzen wurde als natürlicher Dünger untergepflügt. Um die Funktionalität der gewonnenen Proteinfraktionen zu beurteilen, stellten die Wissenschaftler im nächsten Schritt Modelllösungen mit Zucker und Proteinen her und verglichen deren Aktivitäten mit der des Proteins aus Tiefseefisch. Als Referenz diente Molkenprotein in Zuckerlösung. Nach dem Frosten und einer gesteuerten Heat-Shock-Behandlung verfolgten sie über einen gewissen Zeitraum mit Hilfe von Lichtmikroskopie und Bildanalyse das Wachstum der Eiskristalle.
Zur Interpretation der Beobachtungen wurde die Tatsache genutzt, dass eine starke Abnahme der spezifischen Eiskristallgrenzfläche der Bildung von großen Kristallen entspricht. Die Lösung mit Fisch-ESP zeigte dabei die geringste Abnahme der spezifischen Grenzfläche, was sich mit kleinen Eiskristallen, einem geringen Kristallwachstum und so mit einer hohen Proteinaktivität gleichsetzen ließ. Während die Molkenproteinlösung wie erwartet eine Abnahme bewirkte, erreichten einzelne Fraktionen aus dem Roggengras immerhin 50 Prozent der Aktivität der Fisch-ESP.
Realbedingungen als Herausforderung
Inwiefern verändern Zucker, Fett und Emulgatoren in einem typischen Eismix die Strukturbildungsprozesse der Mikrosperrschichten? Zur Klärung dieser wichtigen Frage stellte das DIL-Team einen einfachen Standardmix her, den sie pasteurisierten und mit den ESP versetzten. Der Vergleich des Kristallwachstums über die spezifischen Grenzflächen ergab das gleiche Bild wie im Vorversuch. Demnach wirken die Roggen-ESP tatsächlich auch in einem realen Milieu. Damit nicht genug, denn es blieben auch negative Begleiterscheinungen wie eine höhere Eishärte aus. Offenbar können die ESP sogar die Sensorik verbessern. Dafür spricht eine weitere Untersuchung, bei der das Team den Proben zusätzlich pflanzliches oder tierisches Fett zusetzte und diese dann sensorisch bewerteten. Dabei erwies sich das Eis mit Roggen-ESP als deutlich cremiger als die Vergleichsprobe.
Die vielversprechenden Ergebnisse und die wirtschaftliche Bedeutung für die Tiefkühlkostindustrie haben dazu geführt, dass mit Unterstützung des europäischen EIT FoodKIC bereits ein Folgeprojekt läuft. Unter anderem soll darin untersucht werden, welche Roggenart sich unter welchen Anbau-, Ernte- und Gewinnungsbedingungen am besten zur Gewinnung von aktiven ESP eignet. Des Weiteren könnte es interessant sein, die Wirkung bei anderen Lebensmitteln zu testen − einerseits bei den vielen neuen veganen Eisalternativen und andererseits bei Backwaren und weiteren TK-Produkten. (bp)