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Stabilisierungssysteme, Hydrokolloide und mehr

Vom Marmeladenklassiker bis zum fermentierten Pilzschnitzel

aus: DLG-Lebensmittel 1-2/2023

Die Suche nach pflanzlichen Proteinen und anderen Ingredienzen führt immer wieder zu Neuheiten mit Potenzial. Es gibt aber auch bei bewährten Zutaten zur Lebensmittelproduktion innovative Entwicklungen. Der Trend geht klar in Richtung Systemlösungen statt Einzel-Zutat.

 

Viele Zutaten zur Herstellung von Lebensmitteln sind seit Jahrzehnten erprobt. Dass es dabei trotzdem immer wieder Neu- und Weiterentwicklungen gibt, zeigt sich am Beispiel von Pektin. Ernährungsphysiologisch zählt Pektin zu den unverdaulichen, wasserlöslichen Ballaststoffen; gewonnen wird es überwiegend aus Citrus- und Apfeltrestern. Dabei weist das langkettige Kohlenhydrat aus D-Galakturonsäure-Einheiten Unterbrechungen durch 1,2-Bindungen mit α-L-Rhamnose – im Pflanzenverbund noch mit oligomeren Zuckerseitenketten –, Acetylierungen von Hydroxylgruppen und einzelne methanolische  Veresterungen der Carboxylgruppen auf. Der Grad der Veresterung und Acetylierung hängt von der Herkunft des Pektins ab und hat einen entscheidenden Einfluss auf die Eigenschaften. Hochveresterte Pektintypen punkten zum Beispiel bei der einfachen Zucker-Säure-Gelierung, während niedrig veresterte amidierte Pektine prädestiniert für zuckerarme Konfitüren und ähnliche Produkte sind.

Die Lebensmittelindustrie setzt den Naturstoff dank seiner Hydrokolloid-Wirkung vor allem als traditionelles Gelier- und Verdickungsmittel ein. Unverarbeitetes Pektin, so wie es natürlicherweise in Früchten enthalten ist, muss dabei nicht als Zusatzstoff deklariert werden.  Sobald es sich um ein aufgearbeitetes Produkt handelt, ist es in der Zutatenliste als „Geliermittel: „E 440“ oder „Emulgator“ zu kennzeichnen. Eine große Auswahl an Pektinen bietet etwa Herbstreith & Fox (H&F), darunter auch solche für Lebensmittel mit niedrigem Säuregehalt sowie für nicht fruchtige Produkte wie die angesagten veganen Desserts oder backstabile Schokoladencremes.

Pektin-Protein-Komplexe

Durch die Kombination mit Proteinen kommen weitere spannende Funktionalitäten und damit Einsatzmöglichkeiten dazu. Auch diese hat das Unternehmen im Blick. Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten haben hier gezeigt, dass die entstandenen Hybride gut zur Emulgierung oder zur Stabilisierung von Schäumen, zur Fettreduzierung und Texturierung dienen können. Genauso lassen sich Bitterkomponenten auf natürliche Weise maskieren oder Lebensmittel mit Mikronährstoffen anreichern.
Die Experten um Benjamin Zeeb, Forschung und Entwicklung H&F, haben bei ihren umfangreichen Entwicklungsarbeiten zum einen unterschiedlich veresterte Pektine eingesetzt, zum andern verschiedene Proteine. Nachdem es sich anfangs um tierisches Eiweiß handelte, stehen jetzt rein pflanzliche Produkte im Vordergrund. Das Mischungsverhältnis von Pektin und Protein stellt eine dritte Stellschraube dar. Dazu kommen die jeweiligen äußeren Umgebungs- und Prozessparameter, über die bestimmte Funktionalitäten und Eigenschaften der Komplexe erreicht werden können. Besonderen Einfluss nehmen der pH-Wert und die Temperatur, da diese die Ladung der Partner und damit die Art der Wechselwirkung steuern. Um die elektrostatische Anziehung zwischen Protein und Pektin zu unterstützen, erweist sich nach Erfahrung von H&F ein saures Milieu als günstiger. Generell entstünden je nach Stärke der Wechselwirkungskräfte lösliche oder präzipitierende Partikel.

Durch eine gezielte Einstellung bei der Herstellung solcher Hybride lassen sich auch ihre Dimensionen variieren, damit Anwender sie möglichst optimal in unterschiedliche Rezepturen einbringen können. Laut Benjamin Zeeb empfehlen sich zum Beispiel für Emulsionen besonders kleine Biopolymerpartikel, etwa zwischen 50 und 200 nm. In diesem Fall käme es durch die oberflächenaktive Wirkung der Pektin-Protein-Hybride zu einer Stabilisierung. Hier konnten unter anderem mit Apfelpektin-Milchprotein-Partikeln Emulsionen mit einer verbesserten Salz-, Hitze- und Gefrier-Tau-Stabilität erzeugt werden.

Fettreduzierte Lebensmittel

Anders sieht es bei fettreduzierten Lebensmitteln wie streichfähigen Brüh- oder Rohwürsten aus. Fett trägt darin zum einen zur charakteristischen Textur bei und unterstützt zugleich lipophile Geschmackskomponenten. Hersteller strebten naheliegenderweise insbesondere eine möglichst gute Fettwahrnehmung an, so Zeeb. Dazu seien Hybride im Bereich zwischen 1 und 10 µm, sprich oberhalb der sensorischen Wahrnehmungsgrenze, besser geeignet. In dieser Größenordnung eingebracht, wurden Pektin-Protein-Komplexe ohne Änderungen bei Geschmack, aber auch Streichfähigkeit und Cremigkeit und damit als gleichwertig zum Original eingestuft – selbst wenn der Fettgehalt um 50 Prozent reduziert wurde. Das Ergebnis gelte grundsätzlich für Pektin-Kombinationen sowohl mit pflanzlichen als auch mit tierischen Proteinen.

Maskierung

Interessant ist schließlich auch die mögliche Maskierung von natürlichen Bitterstoffen. So steht dem Einsatz von manchen ernährungsphysiologisch günstigen Proteinalternativen, beispielsweise aus Raps oder Erbse, oft ein bitterer Geschmack entgegen. Die Komplexierung mit Pektinen führte in Versuchen in entsprechenden Modellgetränken zu einer deutlichen Reduktion der wahrgenommenen Bitterkeit.

Eingesetzt werden die Komplexe von H&F als Pulver oder Konzentrate, die dazu bislang rehydratisiert werden müssen. Aktuell laufen nun aber auch Forschungsaktivitäten, um das Trocknungs- und Konzentrierungsverhalten mit pflanzlichen Proteinen als Reaktionspartner noch besser zu verstehen und vielleicht andere Möglichkeiten zu finden. Was die Gefahr einer eventuellen nachträglichen Auflösung der Komplexe durch spezielle Eigenschaften des Endproduktes oder bestimmte Produktionsbedingungen auf die elektrostatischen Wechselwirkungen betrifft, hat Zeebs Forschungsteam gute Erfahrungen mit einem zusätzlichen Stabilisierungsschritt durch Hitze oder ausgewählte Enzyme gemacht. Herbstreith & Fox liefert interessierten Lebensmittelherstellern nicht nur maßgeschneiderte Pektine, sondern auch passende Ideen zur Bildung von Pektin-Protein-Komplexen sowie umfassende Unterstützung bei der Prozessentwicklung.

Hydrokolloide vielseitiger im Verbund

Lutkala aus Warschau verfolgt einen anderen, aber doch ähnlichen Ansatz. Das Unternehmen hebt bei seinem Pektin hervor, dass es neben elf Prozent Pektin bewusst noch Hemicellulose, Cellulose, Protein und weitere  Inhaltsstoffe aufweist. Entscheidend sei die Durchführung der Extrusion aus Apfeltrester, da dabei die späteren strukturellen Eigenschaften festgelegt werden. Bei ihrem patentierten Prozess werde auf Chemikalien verzichtet, wodurch das Pektin noch ein leichtes Apfelaroma aufweise. In den hergestellten Endprodukten sei dies aber nicht mehr wahrzunehmen, heißt es bei Lutkala. Angeboten werden verschiedene Produktlinien, wobei sich wiederum der Trend zum individuell optimiert kombinierten Hydrokolloidsystem zeigt.

Während „Pure“ als Ballaststoffquelle eine Wasserbindungskapaziät von 4 g/g hat, liegt diese beim „Multifunctional“ mit einem erhöhten Ballaststoffgehalt von 65 % bei 6 g/g. Multifunctional enthält noch andere Hydrokolloide und eignet sich allgemein für geleeartige Strukturen, ebenso wie für fetthaltige Lebensmittel wie etwa Milchprodukte. Hier soll es unter anderem bei verbesserten rheologischen Eigenschaften eine Synärese verhindern. Bei „Synergy“ als der dritten Produktlinie handelt es sich um die Kombination von extrudiertem Apfeltresterpektin und Agar-Agar.

Entsprechend vielseitig gestalten sich die genannten Verwendungsmöglichkeiten der Pektine. Zum klassischen Einsatz in Frucht- und Gemüsekonserven kommen Soßen, Fertiggerichte sowie Fleisch- und Fleischersatzprodukte hinzu. Je nach Produktlinie ließen sich außerdem gut Backwaren und Snackartikel mit einem erhöhten Ballaststoffgehalt herstellen. Die Varianten stehen in unterschiedlichen Partikelgrößen und aus unterschiedlichen Rohmaterialien zur Verfügung. Ebenso wie Bio-Qualitäten auf Anfrage möglich sind, so auch selbstverständlich die Produktion in anderen Ländern.

Proteine aus dem Erdreich

Die Tatsache, dass Mikroorganismen und Pilze aus dem Erdreich eine gute Quelle für Eiweiß darstellen, wird in den östlichen Ländern wie Japan und China schon lange zur Herstellung von Lebensmitteln genutzt. Doch das Inte­resse wächst immer mehr auch in anderen Ländern. Quorn Mycoprotein nennt sich zum Beispiel ein in den 1960ern in England entwickeltes Protein, das auf einer natürlich vorkommenden, nährstoffreichen Pilzkultur basiert – dem Schlauchpilz Fusarium venenatum. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte optimierte der Hersteller Quorn Foods den Produktionsprozess, um aus der Pilz-Starterkultur ein ballaststoffreiches, fettarmes und cholesterinfreies Eiweiß mit allen essenziellen Aminosäuren zu gewinnen.

Zunächst wird diese dazu mit einer Traubenzuckerlösung und Mineralstoffen unter kontrollierten Bedingungen fermentiert. Nach Zugabe von weiteren produktabhängigen Zutaten zum frisch geernteten Pilzmyzel wird die Masse ausgeformt. Bei den jetzt auf den Markt gekommenen Produkten  handelt es sich dem britischen Hersteller zufolge überwiegend um Gehacktes, Geschnetzeltes und Schnitzel sowie Aufschnitt. Der entscheidende Schritt sei das sich anschließende Einfrieren: Durch den Gefrierprozess dehnten sich die Pilzfäden aus und bildeten fleischähnliche Fasern, die insbesondere die Textur und den Biss von Geflügel gut nachbildeten. Um die Stabilität der Struktur während der Zubereitung zu erhalten, wird bei vegetarischen Produkten Hühnereiweiß zugesetzt. Bei komplett veganen Produkten sollen Kartoffelprotein, Weizengluten und Erbsenfasern die stabilisierende Aufgabe übernehmen. 

Pilzmyzel

Angesprochen auf weitere Herausforderungen beim Einsatz nennt Bernd Klaffschenkel, Verkaufsmanager für Deutschland und die Schweiz, die leicht gräuliche Farbe des Pilzmyzels. Für unterschiedliche Produkte könne man jedoch zum Beispiel helle Zutaten wie weißliches Gemüse und Weizenaufarbeitungen in die Rezeptur aufnehmen und auf diese Weise einen deutlich helleren Farbton erzielen. Typische rote und damit fleischähnliche Farben seien klassisch mithilfe von roten Gemüse wie rote Bete oder Paprikaextrakt möglich. Das angegebene Mindesthaltbarkeitsdatum der Endprodukte richte sich vorrangig nach dem aW- und dem pH-Wert der Produkte, weiß Klaffschenkel. Um sie in gekühltem Zustand länger als wenige Tage haltbar zu machen, seien aber doch Calciumacetat und andere Stabilisatoren oder Säureregulatoren erforderlich. Und als ein geeignetes Geliermittel nennt er unter anderem Pektin.

Markt

Die Quorn-Produkte wurden zunächst in Großbritannien, dem Firmensitz, eingeführt, der Vertrieb dann auf die Schweiz und jetzt in einem zweiten Anlauf auch wieder auf Deutschland ausgedehnt. Die Weiterverarbeitung zu den fertigen Produkten erfolgt dabei zum einen an zwei eigenen Standorten und zum anderen bei externen Partnern. Daneben steht Quorn Mycoprotein auch anderen Firmen für die Entwicklung und Herstellung von eigenen proteinreichen Produkten zur Verfügung.

Proteine mit Convenience-Plus

ADM hat vor Kurzem mit AccelFlex das Portfolio aus Proteinlösungen mit Blick auf den wachsenden Bedarf in veganen Fleisch- und Fischalternativen passend erweitert. Über 30 Protein­zutaten, vor allem Weizen-, Soja- und Erbsenproteine, umfasst die bisherige Auswahl des international aktiven Unternehmens. Experten helfen Kunden im B2B-Bereich bei der Auswahl an jeweils geeigneten pflanzlichen Zusätzen. Zu den Zielen der neuen Proteinlösungen gehört nach Angaben von ADM, funktionelle Herausforderungen und texturelle oder strukturelle Ansprüche in Biss und Kaugefühl zu bewältigen. Schließlich unterscheiden sich zum Beispiel die Verbrauchererwartung bei Produkten mit Lamm, Geflügel oder Fisch und den entsprechenden Ersatzprodukten deutlich voneinander.

Bei AccelFlex werden dazu Bindemittel auf Basis von pflanzlichem Eiweiß eingesetzt. Verschiedene Varianten stehen zur Auswahl. Neben extrudierten Proteinprodukten aus einem oder zwei unterschiedlichen Rohstoffen mit eher struktureller Wirkung handelt es sich um funktionelle Bindemittelsysteme. Ein System basiert auf Sojaprotein als neutraler Grundlage für eine verbesserte Geschmackswahrnehmung, die es jetzt auch aus gentechnikfreien europäischen Sojabohnen gibt. Die Alternative mit Erbsenprotein bietet sich etwa an, wenn man auf ein Produkt ohne deklarationspflichtige potenzielle Allergene Wert legt. Beide Systeme enthalten zusätzliche funktionale Ingredienzen und sollen leicht in bestehende Produktionslinien einbaubar sein – etwa für Fischalternativen mit dem vertrauten locker kurzfaserigen und zugleich flockigen Biss.