Zellbasiertes Fleisch zur Sicherung der Ernährung?
Cultured Meat
Forschungsunternehmen, Biotech-Start-ups und Lebensmittelkonzerne sehen großes Potenzial für zellbasiertes Fleisch, dem Cultured Meat, um damit zur Deckung des wachsenden Bedarfs an tierischem Eiweiß ohne Massentierhaltung und ohne großen Ressourcenverbrauch beizutragen.
Den Chancen stehen große Herausforderungen gegenüber. Das beginnt schon beim Processing von der gezielten Zellentnahme und dem Einsatz geeigneter Kulturmedien bis hin zum Up-scaling und Bildung der gewünschten Fleischstruktur. Dazu kommt zum einen die Zulassungsproblematik – Stichwort New Food –, zum anderen die zurzeit sehr hohen Kosten und die oft fehlende Verbraucherakzeptanz. Branchenexperten sehen daher frühestens in acht Jahren Produkte auf dem hiesigen Markt. Anders zeigt sich die Lage vor allem in den USA, Israel und Singapur, wo die Entwicklung wesentlich weiter ist. In Asien und Israel stehen sogar schon erste Produkte für die Öffentlichkeit zur Verfügung, beispielsweise Hähnchenfleisch-Produkte aus dem Labor von SuperMeat. Die PHW-Gruppe als Lebensmittelerzeuger, Merck als Technologieunternehmen, Anlagenbauer GEA und Labor- und Prozesstechnologie-Anbieter Sartorius sowie das Start-up Mosa aus den Niederlanden zählen zu den europäischen Unternehmen, die trotz der Schwierigkeiten an Fleisch und Seafood aus dem Labor arbeiten.
Hybridprodukte
Marcus Keitzer, Vorstand für Alternative Proteine der PHW-Gruppe, sagt: „Der Proteinbedarf der Zukunft wird weder allein durch konventionelle Fleischprodukte noch durch die derzeit vorhandenen pflanzlichen Alternativen zu decken sein. Die kontinuierliche Erforschung innovativer Technologien und die Prüfung dieser für den Ernährungsmix der Zukunft ist für die PHW-Gruppe essenziell.“ Im Vergleich von kultiviertem Fleisch gegenüber pflanzenbasierten Fleischersatzprodukten gebe es für beides Für und Wider. Im Sinne ihrer Vision von einem Ernährungsmix der Zukunft sei jedoch die Vermarktung von Hybridprodukten zwischen beiden Kategorien vielversprechend. Vor diesem Hintergrund ist die PHW-Gruppe seit 2018 unter anderem auch Gesellschafter von SuperMeat.
Das grundsätzliche Prinzip
Vom Grundsatz her klingt das Bioprocessing von Cultured Meat relativ einfach: Mittels einer für das Tier ungefährlichen Nadelbiopsie isoliert man eine geringe Menge Stammzellen oder sogenannte Satelliten-Zellen bzw. bestimmte Zellen im Nervensystem als Vorläuferzellen für Muskelgewebe (Myoblasten). Diese werden anfangs in Petrischalen, dann in Bioreaktoren zunehmender Größe vermehrt. Ist eine ausreichende Biomasse erreicht, werden die Zellen durch Zentrifugation oder Filtration ‚geerntet‘ und entsprechend dem Zielprodukt weiterverarbeitet, inklusive einer eventuellen
Zugabe von Fett oder funktionalen Nährstoffen.
Angestrebt werde jedoch, dass die Vorläuferzellen auf 3D-Scaffolds als einer Art Matrize wachsen und dadurch anstelle von hackfleischartigem Fleisch gezielt Muskelfasern oder andere Strukturen ausbilden, ergänzt Thomas Herget von Merck. Der Leiter im Merck Silicon Valley Innovation Hub kennt noch weitere prozesstechnologische Herausforderungen: Mit dem Ziel, letztendlich in Bioreaktoren mit über 20.000 l Volumen zu arbeiten, brauche es die benötigten Zellkulturmedien und Reagenzien in ausreichender Menge, zu einem akzeptablen Preis und in der richtigen Qualität, das heißt frei von tierischen Zellen und Kontaminationen. Merck untersucht deshalb, inwieweit sich alternativ zu bisher verwendeten pharma-grade Stoffen doch Glukose, Salze, Aminosäuren und Proteine aus dem Lebensmittelbereich eignen. Auch die jeweils optimalen Bedingungen für das Bioprocessing-Design und die Wachstumsbedingungen herauszufinden, ist nach Hergets Erfahrung komplex. Daher kooperierten sie hier mit Forschungseinrichtungen und anderen Firmen zusammen, unter anderem an Automatisierungsplattformen sowie an bioabbaubaren oder essbaren Scaffolds.
Zellkulturmedien, die frei von tierischen Bestandteilen sind, machen derzeit den größten Teil der Produktionskosten für kultiviertes Fleisch aus. EIT Food (European Food Institute of Innovation & Technology, Initiative für Lebensmittelinnovationen) und das Good Food Institute Europe (GFI) haben daher die neue europäische Cultivated Meat Innovation Challenge ins Leben gerufen. Herausragende Lösungen werden mit einem Preisgeld für die Forscher und Partner belohnt. www.eitfood.submittable.com
Die richtige Hard- und Software
Eine entscheidende Rolle kommt zugleich Maschinen samt Steuerungssystemen und der Laborausrüstung zu. GEA besitzt in dem Feld New Food eine hohe Kompetenz und stellte auf der letzten Anuga FoodTec ein neues mobiles Testzentrum (MTC) für Cultured Meat oder ähnliche Anwendungen vor. Mit der automatisierten, individuell konfigurierbaren Prozesslinie können Betriebe verschiedene Zelltypen zum Up-scaling im Pilotmaßstab kultivieren. Im Zentrum steht ein multifunktionaler 500-l-Bioreaktor, in der Regel mit einem vorgeschalteten kleinen Vor-Reaktor. Je nach Bedarf kommen dazu Anlagen zum Mischen, Erwärmen oder Homogenisieren bis zum Waschen und Separieren. Mithilfe des MTC lassen sich die Lebensfähigkeit der Zellen ermitteln und eine Massenbilanz aufstellen, um anhand der Ergebnisse die Prozesse für eine kommerzielle Produktion zu erarbeiten.
Tatjana Krampitz, Director Technology R&D für New Food bei GEA, betont, dass die nahtlose Integration der Units durch eine ausgefeilte Automation sehr wichtig für die Prozessplanung sei.
„Wir arbeiten im MTC daran, die beste Ausbeute und demnach größte Prozesseffizienz zu erzielen. Deshalb müssen wir Trends verfolgen und Prozesse bewerten,“ erläutert Krampitz. Und weiter: „Wenn wir historische Daten von Chargen vergleichen und auf übersichtliche Weise in einem dynamischen Diagramm darstellen, erhalten wir sofort die nötige Transparenz. Wir sehen, ob und wo gegebenenfalls noch Parameter angepasst werden müssen.“
Neuland – bald begehbar?
Auch Sartorius hat das Potenzial von pflanzlichen Proteinen und Cultured Meat erkannt, genauso wie die Hürden auf dem Weg zu geschmackvollen und bezahlbaren Fleischalternativen. In einer kürzlich aufgestellten Modellrechnung kalkuliert das Unternehmen: Die Produktionskosten müssten auf unter 10 € pro Kilogramm sinken, damit man New Food zu einem akzeptablen Preis verkaufen könnte. Dabei dürften die erforderlichen biotechnologischen Prozesse bei der Verarbeitung von lebenden tierischen Zellen als ‚Rohstoff‘ für viele traditionelle Lebensmittelhersteller eher Neuland sein.
Was im Labormaßstab gelingt, lässt sich keinesfalls immer einfach auf eine industrielle Produktion hochskalieren. Vor diesem Hintergrund will Sartorius Hersteller unter anderem mit intelligenter Software zur Multivariaten Datenanalyse und zum Design of Experiments (DOE) unterstützen. Mithilfe der entsprechenden Sartorius-Programme könnten diese den Einfluss von Sauerstoffgehalt, Perfusion und weiteren Variablen bei möglichst geringem Ressourceneinsatz testen. Letztlich mit dem Ziel von effizienten und reproduzierbaren Prozessen, wie es einmal mehr heißt. (bp)