Herstellung von Lebensmitteln für Zöliakie- und Glutenintoleranz-Betroffene
DLG-Expertenwissen 03/2016
Autor:
Prof. Dr. Herbert J. Buckenhüskes,
DLG Fachausschuss Lebensmitteltechnologie
H.Buckenhueskes@DLG.org
Zöliakie und Glutenintoleranz sind Erkrankungen, die auf einer Überempfindlichkeit gegenüber Gluten beruhen, das in vielen Getreidesorten als Klebereiweiß enthalten ist. Aktuellen Studien zufolge zählen diese zu den am häufigsten vorkommenden ernährungsbedingten Krankheiten. Trotz intensiver Forschung kann die Zöliakie bisher nicht ursächlich behandelt werden, so dass sich die Betroffenen einer lebenslangen glutenfreien Diät unterziehen müssen. Voraussetzung dafür ist die Verfügbarkeit entsprechender Lebensmittel von ansprechender ernährungsphysiologischer und sensorischer Qualität. Deren Herstellung ist aber nicht gerade trivial, da dem Gluten bei den betroffenen Produkten auch technologische Eigenschaften zukommen.
Glutenfreie Ernährung – ein aktueller Ernährungstrend
Angesichts des Trends, dass sich aktuell immer mehr Menschen zu einer gluten- oder weizenfreien Ernährung entschließen, stellt sich die auch wirtschaftlich relevante Frage, ob dieses Verhalten aus medizinischer Sicht gerechtfertigt ist oder ob es sich dabei eher um eine Modeerscheinung handelt. Ging man bisher davon aus, dass lediglich bei Patienten mit Zöliakie oder Dermatitis herpetiformis eine Indikation für die Einhaltung einer strikten glutenfreien Diät vorliegt, so gilt dies nach heutigem Wissen auch für Patienten mit einer Gluten-Ataxie, einer seltenen aber dramatischen Erkrankung, bei der das Kleinhirn und die peripheren Nerven betroffen sind.
Generell muss die Thematik aber in einem größeren Rahmen gesehen werden. So ist beispielsweise festzustellen, dass sich die Weizenallergie heute unter den Top-Acht der am häufigsten vorkommenden Allergien befindet. Bei der Weizenallergie handelt es sich um Immunglobulin E (IgE) und/oder T-Zell-vermittelte Reaktionen gegen verschiedene Weizenproteine wie etwa ω-5-Gliadin, γ-Gliadin, Amylase Trypsin-Inhibitoren (ATIs), Thioredoxin oder das Lipid-Transfer-Protein.
Weiterhin zu berücksichtigen ist die seit einigen Jahren diskutierte Nichtzöliakie-Nichtweizenallergie-Weizensensitivität, kurz Weizensensitivität genannt. Ursache dafür ist wahrscheinlich nicht das im Weizen enthaltene Gluten, sondern die mit glutenhaltigen Produkten assoziierten Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs), die zu einer Aktivierung des angeborenen Immunsystems führen. Insgesamt wird geschätzt, dass zwischen 0,5 und 7 % der Bevölkerung von weizenabhängigen Erkrankungen betroffen sind.
Erweitert wird dieser Kreis durch Personen, bei denen Überlappungen mit dem Reizdarm-Syndrom (RDS) vorliegen. Vom RDS, bei dem trotz chronischen Magen-Darm-Beschwerden keine organische Ursache gefunden werden kann, sind etwa 15 % der Bevölkerung betroffen. Die praktische Erfahrung lehrt, dass eine FODMAP-arme Diät nachweislich bei bis zu drei Vierteln der Betroffenen zu einer Verbesserung der Beschwerden führt. Unter dem Begriff FODMAPs werden nicht resorbierbare aber fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole verstanden, die primär aus Hülsenfrüchten sowie bestimmten Obst-, Gemüse- und Getreidearten inklusive dem Weizen stammen.
Zöliakie
Ein Blick in die Geschichte lehrt, dass die Zöliakie bereits im zweiten Jahrhundert n.Chr. als „bauchige Krankheit“ von Aretaios von Kappadokien dokumentiert wurde. Der Begriff leitet sich aus dem Griechischen ab, nämlich von κοιλία (koilia), der Bauch. Die erste Beschreibung wird aber Samuel Jones Gee zugesprochen, der die „coeliac affection“ 1888 als eine Art chronischer Verdauungsstörung beschrieb, die Menschen jeden Alters betreffen kann. Die Entdeckung, dass die entscheidende Ursache für die Krankheit im Genuss von Weizen zu suchen ist, erfolgte erst 1953 durch J.H. De Kamer, H.A. Weijers und W.K. Dicke. Im Jahre 1958 beschrieb E. Berger erstmals den Gliadin-Antikörper, wodurch dann die serologische Diagnostik ermöglicht wurde.
Die Zöliakie, die beim Erwachsenen auch als nichttropische oder einheimische Sprue bezeichnet wird, gehört zu den weltweit am häufigsten vorkommenden Lebensmittelunverträglichkeiten. Konkret handelt es sich dabei um eine lebenslange Glutenunverträglichkeit, die gleichzeitig Merkmale einer Autoimmunerkrankung als auch einer Allergie aufweist. Bei den Betroffenen führt die Aufnahme von Gluten zu Entzündungen der Dünndarmschleimhaut verbunden mit einer oft ausgeprägten Rückbildung der Dünndarmzotten (Zottenatrophie).
Als Folge der damit einhergehenden Verringerung der Dünndarmoberfläche in der Größenordnung von einigen Quadratmetern wird die Aufnahme von Nährstoffen in den Körper derart beeinträchtigt, dass Nährstoffdefizite auftreten, die in weiterer Folge eine Reihe von Beschwerden auszulösen vermögen. Gleichzeitig kommt es zum – oft vorübergehenden – Verlust diverser Enzymaktivitäten, wie etwa der Laktase. Einige der zu beobachtenden Krankheitszeichen entstehen möglicherweise allein durch die entzündlichen Prozesse, also unabhängig von Nährstoffdefiziten. Da die Zöliakie sich nicht nur auf den Darm beschränkt, wird sie auch eher als Erkrankung des gesamten Körpers, also als eine Systemerkrankung gesehen.
Da bei den betroffenen Personen die typischen Symptome wie Gewichtsverlust, Durchfall, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit oder Depressionen sehr unterschiedlich ausgeprägt vorkommen können, war die Diagnose lange Zeit äußerst schwierig und wurde erst durch moderne Diagnosemöglichkeiten der Serologie deutlich verbessert. Legen die serologischen Tests das Vorliegen einer Zöliakie nahe, so muss die Diagnose aber in allen Fällen noch mit Hilfe einer endoskopischen Gewebebiopsie des unteren Zwölffingerdarms bestätigt werden.
Gemäß aktueller biochemischer Vorstellungen handelt es sich bei der Zöliakie um eine primäre, von T-Lymphozyten vermittelte Immunreaktion in der Dünndarmschleimhaut. Bisher wurden die Gewebeunverträglichkeitsantigene HLA-DQ2 und -DQ8 als genetische Prädisposition für das Auftreten von Zöliakie erkannt, doch besitzen etwa 20 - 30 % der Bevölkerung ebenfalls diese Antigene, so dass weitere genetische Faktoren und/oder andere Faktoren wie das Immunsystem, Infektionen sowie die Ernährung und Umweltfaktoren die Entwicklung der Krankheit zu beeinflussen scheinen. Eine vollständige Aufklärung der komplexen Zusammenhänge scheint auch heute noch in weiter Ferne.
Substanziell krankheitsverursachend sind bestimmte Fraktionen des Kleberproteins, d.h. des Glutens der Getreidearten. Beim Weizen ist dies das Gliadin, beim Roggen das Secalin, bei der Gerste das Hordein und beim Hafer das Avenin. Gluten kommt aber auch in Dinkel und Grünkorn sowie in den alten Weizensorten Einkorn, Emmer und Kamut® (Khorasan Weizen) sowie der Roggen-Weizen-Kreuzung Triticale vor. Das Avenin des Hafers nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als es von den meisten Zöliakie-Betroffenen vertragen wird, jedoch nicht von allen, weshalb es hinsichtlich der Verwendung von Hafer immer wieder unterschiedliche Aussagen gibt. In Abhängigkeit von ihrer Löslichkeit in wässrigen Alkoholen werden die Speicherproteine in die löslichen Prolamine und die unlöslichen Gluteline unterteilt. Beide Fraktionen, die etwa 80 % der Gesamtproteine ausmachen, werden als krankheitsauslösend angesehen und im Zusammenhang mit Zöliakie mit dem Sammelbegriff „Gluten“ bezeichnet. Kennzeichnend für alle zöliakieauslösenden Speicherproteine sind deren hohe Gehalte an den Aminosäuren Glutamin (26 – 53 %) und Prolin (11 – 20 %).
Für den Verlauf der Krankheit sowie das Auftreten von Begleiterscheinungen und die Lebenserwartung der Betroffenen wichtig sind eine frühe Diagnose sowie eine lebenslange strenge glutenfreie Diät. Seit Jahren betriebene Forschungen nach alternativen Therapien („Pille zum Essen“) gehen von verschiedenen Ansatzpunkten der Pathogenese aus, sind bisher aber noch nicht ausreichend erfolgreich. Praktisch bedeutet dies, dass für Zöliakie-Betroffene der Verzehr der oben genannten Getreide absolut verboten ist, während Reis-, Mais- und Kartoffelmehl, Quinoa, Amaranth und Teff erlaubt sind. Um die Betroffenen eindeutig zu informieren, vergibt die Deutsche Zöliakie Gesellschaft e. V. gemeinsam mit den anderen Zöliakie-Vereinen das in Abbildung 1 dargestellte Symbollogo für Lebensmittel, welche für Zöliakie-Betroffene verträglich sind. Das weltweit gültige Gütesiegel für glutenfreie Produkte muss in Zukunft durch eine Registrierungsnummer ergänzt werden, wodurch die Vergabe aufgrund einer Audit- oder Analysenkontrolle bestätigt wird.
Häufigkeit des Auftretens (Prävalenz)
Grundsätzlich ist das Auftreten der Zöliakie von Land zu Land sehr unterschiedlich, doch ist weltweit ein starkes Ansteigen der Betroffen zu beobachten. Die angegebenen Häufigkeiten werden erheblich dadurch beeinflusst, ob die Diagnose aufgrund von klinischen Symptomen oder aufgrund von Suchtests im Serum erfolgte. Bezogen auf die Gesamtzahl wird aktuell geschätzt, dass in Europa und den USA mit einer mittleren Häufigkeit von 1:100 zu rechnen ist, wobei sich die Zahlen in den europäischen Ländern zwischen 1:50 in Finnland und 1:270 in Norwegen bewegen. Nur bei 10 bis 20 % der Betroffenen liegt das Vollbild der Zöliakie vor. 80 bis 90 % haben untypische oder keine Symptome und wissen daher oft nichts von ihrer Erkrankung.
Mit einer unter 200 bis 20.000 Personen ist die Prävalenz im asiatischen Raum auffallend niedrig, was mit dem dortigen geringen Verzehr von Weizen in Verbindung gebracht wird. Die weltweit höchste Prävalenz wird mit 5,6 % in West Sahara angegeben. Mit einem Anteil von 60 - 75 % sind Frauen stärker von Zöliakie betroffen als Männer.
Grundsätzlich ist ein Ausbruch der Erkrankung in jedem Lebensalter möglich. Man beobachtet allerdings zwei Häufigkeitsgipfel: Der erste liegt zwischen dem ersten und dem zehnten, der zweite zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr.
Lebensmittelrecht
Im Zusammenhang mit der Herstellung und Bereitstellung von Lebensmitteln für Zöliakie- und Glutenintoleranz-Betroffene sind vor allem zwei lebensmittelrechtliche Bestimmungen von Bedeutung, da diese bezüglich des Auffindens von für diesen Personenkreis geeigneten Produkten wesentlich sind.
Zum einen ist dies die Verordnung (EU) Nr. 1169/2011, nach der die im Anhang II der VO genannten Stoffe oder Erzeugnisse, die Allergien oder Unverträglichkeiten auszulösen vermögen, verpflichtend auf dem Produkt anzugeben sind. Hierzu gehören glutenhaltiges Getreide, namentlich Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel, Kamut oder Hybridstämme davon, sowie daraus hergestellte Erzeugnisse. Ausgenommen von dieser Verpflichtung sind Glukosesirupe auf Weizenbasis einschließlich Dextrose, Maltodextrine auf Weizenbasis sowie Glukosesirupe auf Gerstenbasis. Aufgrund des industriellen Verarbeitungsprozesses gelten diese Zutaten als rein und stellen für Zöliakiebetroffene erwiesenermaßen kein gesundheitliches Problem dar. Das Gleiche gilt für Getreide, das zur Herstellung von alkoholischen Destillaten verwendet wird.
Weiterhin bedeutend ist die Verordnung (EG) Nr. 41/2009, die aber im Juli 2016 durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 828/2014 über die Anforderungen an die Bereitstellung von Informationen für Verbraucher über das Nichtvorhandensein oder das reduzierte Vorhandensein von Gluten in Lebensmitteln ersetzt wird. Gemäß dieser Verordnung darf der Hinweis „glutenfrei“ nur dann verwendet werden, wenn ein Lebensmittel beim Verkauf an den Endverbraucher einen Glutengehalt von höchstens 20 mg/kg aufweist. Im weiteren darf der Hinweis „sehr geringer Glutengehalt“ nur dann verwendet werden, wenn ein Lebensmittel, das aus einer oder mehreren — zur Reduzierung ihres Glutengehaltes in spezieller Weise verarbeiteten — Zutaten aus Weizen, Roggen, Gerste, Hafer oder Kreuzungen dieser Getreidearten besteht oder diese enthält, und beim Verkauf an den Endverbraucher einen Glutengehalt von höchstens 100 mg/kg aufweist. Zusätzlich gilt für haferhaltige Lebensmittel, dass der Hafer, der in diesem Lebensmittel enthalten und mit dem Hinweis „glutenfrei“ oder „sehr niedriger Glutengehalt“ versehen ist, so hergestellt, zubereitet und/oder verarbeitet sein muss, dass eine Kontamination durch Weizen, Roggen, Gerste oder Kreuzungen davon ausgeschlossen ist. Diese Vorschriften sind kongruent mit den Vorschriften des Codex Alimentarius Standards 118-1979.
Analytik des Glutens
Wie oben dargestellt, dürfen Lebensmittel als glutenfrei ausgelobt werden, wenn sie höchstens 20 mg Gluten pro Kilogramm Produkt enthalten. Da die unter der Bezeichnung Gluten zusammengefassten Proteine mehr als 100 verschiedene Komponenten umfassen können, stellt die Überprüfung dieses Höchstwertes nach wie vor eine analytische Herausforderung dar. Am häufigsten eingesetzt werden derzeit ELISA-Tests, die aufgrund des jeweils eingesetzten glutenspezifischen Antikörpers aber teilweise zu erheblichen Abweichungen bei ein und derselben Probe führen können. Die im Codex Alimentarius verabschiedete offizielle Standardmethode zur Glutenbestimmung basiert auf einem ELISA unter Verwendung des von der Arbeitsgruppe Mendez in Madrid in Spanien entwickelten R5-Antikörpers. Dieser ist gegen Secalin (Roggen) gerichtet und zeigt auch eine starke Reaktion auf Gliadin (Weizen). Allerdings reagiert er auch auf Soja- und Lupinen-Proteine, die keine schädlichen Prolamine sind. Der entsprechende Immunoassay wird im Handel als Sandwich-Test für intakte Glutenproteine (z.B. in Mehl und Backwaren) sowie als kompetitiver Test für Glutenhydrolysate (z.B. in Malzprodukten) angeboten.
Ein neuer Ansatz, anstatt Prolamine immuntoxische Peptide nachzuweisen, welche eine Rolle bei der Pathogenese von Zöliakie spielen, führte zur Entwicklung einer neuen Generation von Antikörpern. Hierzu gehört auch der G-12 Antikörper gegen das 33-mer aus dem α2-Gliadin (direkt gegen das immuntoxische Fragment gerichtet), dessen möglicher Einsatz derzeit in den Gremien des Codex Alimentarius diskutiert wird.
Eine alternative zu den ELISA-Methoden ist die Polymerasekettenreaktion (PCR), mit der nicht die Glutenproteine, sondern spezifische DNA-Fragmente nachgewiesen werden. Charakteristische Glutenpeptide können mittels LC-MS/MS spezifisch und empfindlich detektiert und über Matrixkalibrierung oder Stabilisotopenverdünnungsanalyse quantifiziert werden. Zu den neuesten Entwicklungen zählen Immunsensoren und Aptamer-basierte Methoden. Trotz dieser Entwicklungen gilt es nach wie vor einige „Dauerbrenner“ zu lösen, wie die vollständige Extraktion der Glutenproteine aus dem zu untersuchenden Lebensmittel, eine geeignete Kalibrierung mit definierten Referenzsubstanzen für Gluten sowie die Validierung einer unabhängigen Referenzmethode. Als Referenzsubstanz wird derzeit häufig das sogenannte PWG-Gliadin verwendet, bei dem es sich um eine Mischung der Gliadinfraktion von 28 europäischen Weizensorten handelt.
Herstellung glutenfreier Lebensmittel
An die Herstellung von Lebensmitteln wird heutzutage eine lange Liste von Anforderungen gestellt, die vor allem folgende Punkte betreffen: sensorisches Erleben und Genuss, Gesundheit und Wellness, Convenience, Qualität und Sicherheit, Nachhaltigkeit und Ethik einschließlich religiöse Anforderungen. Glutenfreie Lebensmittel herzustellen, ist grundsätzlich schon nicht trivial, da dem Gluten bei verschiedenen Lebensmitteln auch technologische Wirkungen zukommen. Im Weiteren dann auch den sonstigen Anforderungen der Verbraucher zu entsprechen, macht die Sache entsprechend schwieriger, weshalb international an zahlreichen Institutionen an dieser Thematik gearbeitet wird. Dabei bieten sich grundsätzlich folgende Strategien an (siehe Abb. 2):
- Einsatz glutenfreier Rohstoffe, ergänzt durch weitere Zutaten sowie eine angepasste Prozessführung bzw. verfahrenstechnische Optimierung,
- Entfernung der krankheitsauslösenden Proteine aus glutenhaltigen Rohstoffen vor der Verarbeitung,
- Entfernung von Gluten aus dem Endprodukt durch biologische, chemische oder physikalische Verfahren.
Auf einzelne der aufgezeigten Punkte wird bei den einzelnen Lebensmitteln eingegangen werden.
Glutenfreie Backwaren
Das in den Getreidemehlen enthaltene Gluten ist maßgeblich für die Backeigenschaften der Mehle verantwortlich. Die darin enthaltenen Proteinfraktionen Gliadin und Glutenin formen eine Netzwerkstruktur, das Teiggerüst, und sorgen für eine gute Porenbildung und die viskoelastischen Eigenschaften des Teigs, so dass er beim Backen seine Form behält und locker bleibt. Da Gluten also sowohl Gashaltevermögen, Gebäckvolumen und Teigviskosität, als auch Farbe, Krumenstruktur und -feuchte von Backwaren beeinflusst, müssen diese Aufgaben bei glutenfreien Rohstoffen durch zusätzliche technologische Maßnahmen sowie andere Zutaten erledigt werden.
Einige dieser Aufgaben können zumindest teilweise über den Weg einer Enzymzugabe erfüllt werden. So steigert Transglutaminase (TG) z. B. durch die Proteinvernetzung bei allen pH-Werten sowohl die Teigelastizität und die Teigfestigkeit, als auch die Krumenelastizität und die Frischhaltung. Jedoch ist die Vernetzungsmöglichkeit der TG wesentlich von der Zusammensetzung des jeweiligen Proteins abhängig und bei Zugaben von mehr als 500 U wurden eher negative Wirkungen auf die Gebäckqualität festgestellt. Eine Amylasezugabe von bis zu 1.000 U kg-1 Mehl sorgt für einen Volumenanstieg und eine längere Frischhaltung.
Wenn hinsichtlich der sensorischen Qualität von glutenfreien Backwaren in den letzten Jahren auch eindeutige Fortschritte erzielt wurden, so werden diese dennoch oft abgelehnt, da sie wenig schmackhaft sind, hinsichtlich ihrer Konsistenz (Textur) nicht überzeugen und ein unangenehmes Mundgefühl verursachen. Konkret trocknen glutenfreie Backwaren schneller aus, sie bröseln leichter und haben eine geringere Haltbarkeit.
Als Rohstoffe für die Herstellung glutenfreier Backwaren werden anstelle der herkömmlichen Getreidearten u.a. Hirse, Mais, Kartoffeln oder Reis verwendet, darüber hinaus Amaranth, Quinoa, Buchweizen, Tapioka und Maniok.
Ein wesentliches Problem im Zusammenhang mit der Verwendung alternativer Rohstoffe ist in dem bisherigen Fehlen von die Backwarenqualität charakterisierenden Kennzahlen zu sehen. Die Folge sind Schwierigkeiten bei der Standardisierung der Rohstoffe, wie am Beispiel verschiedener Leinsamenmehle, der Hauptrezepturkomponente eines glutenfreien Leinsamenbrotes, gezeigt wurde. Anhand umfangreicher Untersuchungen konnten die mit einem Viskographen gemessene Viskosität bei 25 °C und die Viskosität in der Heißphase als entscheidende Parameter zur Beurteilung von Leinsamenmehlen und deren Einfluss auf die Brotqualität ermittelt werden.
Bei nahezu allen Backwaren, und dies gilt gleichermaßen für glutenhaltige wie auch glutenfreie, ist eine höchst mögliche Krumenlockerung erwünscht. Durch ein großes Volumen und eine möglichst feine Porung ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass alle geschmacksrelevanten Substanzen durch den Speichel aus der Krume gelöst und den Geschmacksrezeptoren im Mund zugänglich gemacht werden können. Mit Blick auf glutenfreie Teige wurde daher nach Möglichkeiten gesucht, die rheologischen und damit auch die Krumeneigenschaften zu verbessern. Möglich wird dies durch den Einsatz von Säuerungsmitteln, die Verwendung strukturverbessernder Enzyme wie der Transglutaminase sowie auch durch die Verwendung von auf glutenfreien Substraten basierenden Sauerteigen.
Überhaupt haben sich zahlreiche Forschergruppen mit der Anwendung von Sauerteigen zur Herstellung glutenfreier Brote und Backwaren beschäftigt. Mit Hilfe eines Reissauerteiges wurden mit verschiedenen alternativen Rohstoffen Backversuche durchgeführt, bei denen sich zeigte, dass sich durch den Einsatz von Sauerteigen auf Reisbasis insgesamt sehr gute Krumeneigenschaften einstellen. Wie Texturprofilanalysen ergaben, übt der pH-Wert hierbei kaum einen Einfluss aus. Brote, die auf Basis von Teffmehl und Buchweizen hergestellt wurden, zeigten zunächst einen deutlichen adstringierenden bzw. bitteren Geschmack, doch ließen sich die unangenehmen Begleitaromen durch eine Fermentation deutlich reduzieren.
Am Beispiel eines auf Hafer basierenden glutenfreien Brotes konnte zudem gezeigt werden, dass durch den Einsatz eines Reissauerteiges auch bei glutenfreien Backwaren vollständig auf den Einsatz von Backhefe verzichtet werden kann. Hierbei kommt es durch den hohen Anteil an fermentiertem Mehl sowie einer langen Gärphase zu einer optimalen Verquellung der Rohstoffe, was zu einer Verbesserung der Krumen-, Geschmacks- und Lagereigenschaften beiträgt.
Ausgehend von dem Modell des Roggenbrotes, bei dem die eingeschränkte Backfähigkeit des Roggenmehles durch die Sauerteigführung so verbessert wird, dass anschließend sicher hervorragende Brote entstehen, ergab sich die Frage, ob es möglich ist, ein Mehl aus glutenfreien Rohstoffen so zusammenzustellen, dass dieses die technologischen Eigenschaften von Roggenmehl besitzt. Dies ist in der Tat möglich, wie durch Kombination verschiedener Rohstoffe gezeigt werden konnte. Aus den resultierenden glutenfreien Mehlmischungen konnten vielfältige glutenfreie Produkte mit hohem ernährungsphysiologischen Wert (hoher Ballaststoff-, Linol- und Linolensäuregehalt) hergestellt werden. Mit Hilfe des Sauerteiges konnten dabei Brotfehler reduziert, die sensorischen Eigenschaften einschließlich der Krumentextur verbessert und eine Verlängerung der Frischhaltung und der Haltbarkeit erzielt werden, da die Brote weniger schnell schimmeln.
Als sehr erfolgreich hat sich bei der Herstellung von glutenfreien Broten die Zugabe von Protein-Emulgator-Hydrokolloid-Systemen gezeigt. Als Hydrokolloide stehen u.a. Pentosane, Johannisbrotkernmehl, Xanthan, vorverkleisterte native oder modifizierte Stärke sowie Cellulosederivate zur Verfügung. Der Auswahl des verwendeten Hydrokolloids kommt eine besondere Rolle zu, wobei sich Cellulosederivate, allen voran HPMC (Hydroxypropyl-methyl-Zellulose), bisher als am besten geeignet gezeigt haben. Ein besonders lockerer Teig gelingt durch die Zugabe von Xanthan, wobei das Ergebnis jedoch stark von der Konzentration, dem Wasseranteil, der Art des Mehls und den weiteren Zutaten abhängt.
Hydrokolloide alleine genügen in der Regel jedoch nicht, um Gluten zu ersetzen, so dass die Rezepturen durch Proteine ergänzt werden müssen. Auch hierfür steht ein breites Spektrum zur Verfügung, etwa Sojaproteinkonzentrate und -isolate, Milch- und Molkeproteine, Hühnereiweiß, Fischprotein und Kartoffelprotein. Mit einem speziellen Produktionsverfahren lassen sich auch aus den Samen von Lupinen, Ackerbohnen und Erbsen Proteinisolate gewinnen, welche viskoelastische Eigenschaften aufweisen.
Glutenfreie Pasta
Bei der traditionellen Teigwarenherstellung ist Gluten ein wichtiger qualitätsbestimmender Inhaltsstoff, der sich vor allem auf die Formbarkeit des Teiges, die Formstabilität bei Verarbeitungs- und Zubereitungsprozessen, einen niedrigen Abkochverlust, eine hohe Bissfestigkeit und einen elastischen Kaueindruck auswirkt. Als Rohstoff für die Herstellung glutenfreier Nudeln werden vor allem Reis und Mais, aber auch Buchweizen, Quinoa, Hafer, Amaranth, Sorghum und Hirse verwendet. Dabei gibt es grundsätzlich vor allem vier Strategien, um Gluten in Nudeln zu ersetzen und zwar: (1.) Die Zugabe von isoliertem Protein (z. B. Eiklarprotein), Hydrokolloiden, Emulgatoren und ggf. Enzymen wie etwa der Transglutaminase zur Vernetzung der Proteine. (2.) Eine Modifizierung der makromolekularen Stärkeorganisation, über die bisher allerdings erst wenige Erkenntnisse vorliegen. (3.) Die Verwendung von hitzebehandelten, d.h. vorverkleisterten Mehlen. Dabei ist zu beachten, dass die Stärke im Gegensatz zu Weizennudeln bei glutenfreien Nudeln eine entscheidende Rolle besitzt. (4.) Adaptierung von unkonventionellen Nudelherstellungsprozessen, wozu neben der Anwendung von Heiß- und Kaltzyklen oder der Heißextrusion auch die Hochtemperaturtrocknung zählt. Während die übliche Trocknung bei 60 °C stattfindet, werden bei der Hochtemperaturtrocknung (HT) Temperaturen oberhalb von 60 °C und bei der Ultrahochtemperaturtrocknung (UHT) solche von über 85 °C angewendet. HT und UHT bewirken eine Verkürzung der Herstellungszeit, verbesserte hygienische Bedingungen und Kochqualität (z.B. Kochverlust, Klebrigkeit, Festigkeit, Kochtoleranz), Nudelelastizität, einen höheren Grad an Proteindenaturierung sowie eine verringerte Quellung der Stärke. Dabei ist es wichtig, die relative Luftfeuchtigkeit zu begrenzen, um die Maillardreaktion und damit die Entstehung einer rot-braunen Verfärbung der Nudeln zu verhindern bzw. zu minimieren. Zum anderen bedarf es einer gesteuerten Abkühlphase, um Stress in der Nudelstruktur zu verhindern.
Ein patentiertes Verfahren zur Herstellung von kleberfreien kurz geschnittenen Teigwaren wie Penne und Rigatoni sowie Langwaren wie Spaghetti aus Mais, Reis, Stärken und Additiven bietet die Bühler AG aus Uzwil in der Schweiz an. Geprägt wird das Verfahren durch den Verarbeitungsprozess in der PolymatikTM. Diese besteht aus einem Mischer/Kneter - aus technischer Sicht ein gleichläufiger Zweiwellenextruder - und einer Pressschnecke. Für die Herstellung von Mais- und Reisteigwaren musste diese mit einer Zusatzausrüstung versehen werden, um die dafür notwendige Wärme-/Feuchtebehandlung zu ermöglichen.
Bei der Herstellung traditioneller Weizenteigwaren bilden die Kleberproteine ein festes wasserunlösliches Gerüst um die Stärkekörner. Dies ist bei Teigwaren, die aus Mais oder Reis hergestellt werden grundsätzlich anders. Deren native Stärke ist wasserunlöslich und ohne Klebe- und Bindeeigenschaften. Mit einer speziell entwickelten und optimierten Wärme/Feuchte-Behandlung wird die in den Rohstoffen enthaltene Stärke in der PolymatikTM gezielt modifiziert. Dabei wird die native Stärkestruktur aufgebrochen und die Stärkekörner werden quellbar, so dass sich Proteine in die Stärkematrix einlagern können. Dadurch gestattet die veränderte Stärkequalität die Herstellung kleberfreier Teigwaren mit Produktqualitäten, wie sie von den klassischen Teigwaren aus Hartweizengrieß bekannt sind. Dies gilt auch hinsichtlich des Aussehen und des Kochverhaltens.
Grundsätzlich wird die Herstellung glutenfreier Pasta als weniger problematisch angesehen als die von glutenfreiem Brot, doch ist das Thema Elastizität der Nudeln noch nicht zufriedenstellend gelöst.
Glutenfreies Bier
Als glutenfrei gelten Biere nur dann, wenn sie weniger als 20 mg/kg Gluten enthalten, eine Forderung, die bei den konventionellen Biersorten nicht immer erfüllt ist. Auch wenn Mälzen und Bierbrauen im Grunde ein stetiger Prozess der Eiweißzerkleinerung und -ausscheidung ist, so kann das Endprodukt doch unterschiedliche Mengen Gluten sowie hydrolysierte Abbauprodukte enthalten. Im Gegensatz zum Brot ist Gluten bei Bier und anderen fermentierten Getränken weder für eine positive Qualitätsausprägung noch für die Prozessfähigkeit notwendig. Eine Ausnahme bildet lediglich die stabile Dauertrübung von Hefeweizenbieren.
Um glutenfreie Biere herzustellen können verschiedene Strategien verfolgt werden.
- Vollkommen glutenfreie Biere sowie bierähnliche Getränke erhält man nur durch die Verwendung alternativer, glutenfreier Rohstoffe wie Mais, Reis und verschiedene Hirsearten sowie Pseudocerealien wie Buchweizen, Amaranth oder Quinoa. Daraus hergestellte Getränke sind nicht unbedingt neu, wie beispielsweise der japanische Sake aus Reis oder auf Hirse basierende Getränke in Afrika zeigen. Dabei kann die traditionell zur Produktion von Malz und Bier aus Gerste angewendete Technik nicht in der üblichen Form auf glutenfreie Getreide übertragen werden. Vielmehr müssen die Prozessbedingungen für jedes glutenfreie Getreide individuell optimiert werden. Bisher wurden bereits umfangreiche Arbeiten zur Optimierung der Prozesse durchgeführt, wobei auch Ansätze für die mathematische Modellierung zur Optimierung sowohl der Malzbereitung als auch des Brauprozesses entwickelt wurden.
- Grundsätzlich ist aber auch der Einsatz herkömmlicher Getreidesorten möglich, doch muss das Gluten dann mittels technologischer Verfahren aus dem Rohstoff oder aus dem Endprodukt entfernt werden. Ein möglicher Ansatzpunkt hierzu ist der Einsatz von Enzymen wie etwa Transglutaminasen, Peptidasen oder prolinspezifische Endo-Proteasen (Brewers Clarex®), die aus unterschiedlichen Quellen gewonnen werden können. Besonders vorteilhaft ist, dass der Biercharakter hierbei zumeist weitgehend erhalten bleibt.
So besteht eine Möglichkeit in einer enzymkatalysierten Reaktion, die zur spezifischen Agglomeration von Gluten und Gliadinpeptiden im Bier führt. Sowohl die vernetzten und damit unlöslichen Glutenagglomerate als auch das Enzym können anschließend einfach mittels brauereitypischer Filtrations- und Schönungsprozesse aus dem Produkt entfernt werden. Neben dem Vorteil, dass hierdurch hinsichtlich Geschmack, Schaum und Mundgefühl Produkte gewohnter und bekannter Qualität angeboten werden können, erlaubt diese Vorgehensweise auch die Herstellung einer großen Produktpalette wie Pils, Export, Ale, alkoholfreie Biere oder auch von Bier-Mischgetränken.
Grundsätzlich werden auch in keimendem Getreide Peptidasen aktiviert, die zöliakiauslösende Proteine effizient abzubauen vermögen. Vor allem die Kleiefraktion aus gekeimten Roggen- und Weizenkörnern zeigt eine hohe Peptidasenaktivität, und der Einsatz von Kleieextrakten führt zum schnellen Abbau sowohl von Glutenproteinen als auch von zöliakietoxischen Peptiden. Besonderen Charme erhalten derartige Enzympräparate dadurch, dass ihre Herstellung auf der Basis bewährter industrieller Verfahren (Mälzung, Vermahlung) erfolgt und aufwändige Reinigungsschritte entfallen, so dass sie kostengünstig hergestellt werden können. Durch Inkubation mit einem Kleieextrakt (1 : 100, v/v) aus gekeimtem Roggen über 4 h bei 50 °C konnte der Glutengehalt von Malztrunk und Brottrunk unter die Nachweisgrenze des kompetitiven ELISA (7,4 mg/L) gesenkt werden. - Ein dritter Weg besteht in der Züchtung glutenfreier Sorten der zum Bierbrauen üblicherweise verwendeten Getreidesorten beziehungsweise deren Entwicklung mit Hilfe von gentechnischen Methoden. Die von den Forschern der CSIRO in Canberra in Australien entwickelte Gerstensorte Kebari ist ein solcher Rohstoff, der ausschließlich durch Züchtung entstanden ist und der lediglich einen Gehalt von 0,0004 bis 0,0005 % Hordeine enthält – normale Gerste enthält etwa 1 % Hordeine. Ein erstes glutenfreies Bier, das unter Verwendung dieser Gerste hergestellt wurde und den sensorischen Anforderungen der Kunden gerecht wird, befindet sich in Deutschland am Markt.
Ein allgemeines Anliegen
Die Ausführungen dürften offensichtlich gemacht haben, dass es auf dem Gebiet der Herstellung von Lebensmitteln für Zöliakie- und Glutenintoleranz Betroffene noch viel zu tun gibt. Dies betrifft aber nicht nur die Forschungslandschaft: Vielmehr haben die einschlägigen Interessensverbände ein Anliegen: Es wäre bereits viel gewonnen, wenn man diesem bei der Entwicklung und/oder Weiterentwicklung von Produkten des traditionellen Lebensmittelsortimentes mehr Beachtung schenken würde. Konkret sollte in Fällen, in denen glutenhaltige Ingredienzien zu technologischen Zwecken eingesetzt werden, geprüft werden, ob es dafür nicht auch Alternativen gibt, die für die betroffenen Personengruppen unproblematisch sind, mindestens muss eine entsprechende Kennzeichnung erfolgen. Es geht also nicht darum, glutenhaltige Rohstoffe zu verbannen, sondern vielmehr darum, bei der Formulierung von Produkten, die aus natürlicherweise glutenfreien Rohstoffen hergestellt werden, nicht ohne triftigen Grund glutenhaltige Ingredienzien einzusetzen.