Eberfleisch - Teil 1: Basiswissen
DLG-Expertenwissen 08/2016
Hintergrundinformationen für die Lebensmittelbranche
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Autoren:
- Dr. Aneka Bauer, Max Rubner-Institut, Kulmbach, aneka.bauer@mri.bund.de
- Carol Bader-Mielke, Dozentin für Agrarwissenschaften, bader-mielke@gmx.de
- Simone Schiller, Geschäftsführerin Fachzentrum Lebensmittel,
DLG e.V., Frankfurt am Main, S.Schiller@DLG.org
1. Einleitung
Am 1. Januar 2019 tritt in Deutschland das gesetzlich verankerte Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration in Kraft. Bereits im September 2008 haben sich der Deutsche Bauernverband (DBV), der Verband der Fleischwirtschaft (VDF) sowie der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) in der sogenannten „Düsseldorfer Erklärung“ für ein gemeinsames Vorgehen ausgesprochen mit dem Ziel, baldmöglichst auf die betäubungslose Ferkelkastration zu verzichten (DBV/VDF/HDE 2008). Seitdem wird die Kastration bei allen männlichen Ferkeln nur noch unter Anwendung von Schmerzmitteln durchgeführt. Mit der Europäischen Erklärung über Alternativen zur chirurgischen Kastration bei Schweinen haben sich die Akteure des Schweinefleischsektors 2010 aus Gründen des Tierschutzes freiwillig dazu verpflichtet, ab 2018 auf die chirurgische Kastration männlicher Ferkel zu verzichten. Ungeachtet der gesetzlichen Fristen haben sich inzwischen nahezu alle namhaften Großabnehmer des deutschen Lebensmitteleinzelhandels – inklusive Discounter – strengere Tierschutzstandards auferlegt und wollen bereits ab 2017 kein Fleisch mehr von betäubungslos kastrierten bzw. kastrierten Schweinen verkaufen. Damit steigt das Risiko von möglichen, geschlechtsbedingten Geruchsabweichungen beim Fleisch.
2. Ebergeruch
Als Ebergeruch werden unangenehme Geruchs- und Geschmacksabweichungen im Fleisch unkastrierter männlicher Schweine beschrieben. Hauptkomponenten des Ebergeruchs sind Androstenon und Skatol. Während Skatol als bakterielles Abbauprodukt von Tryptophan im Dickdarm gebildet wird und bei allen Schweinen auftritt, wird Androstenon zusammen mit den Geschlechtshormonen im Hoden gebildet und ist damit geschlechtsspezifisch. Beide Stoffe werden in das Fettgewebe von Ebern eingelagert und verursachen bei der Zubereitung, insbesondere beim Erwärmen des Fleisches, oder bei den Schweinefleischprodukten einen urin- oder fäkalartigen Geruch und Geschmack. Ebergeruch wird individuell sehr unterschiedlich als unangenehm und abstoßend wahrgenommen. Ob und wie Verbraucher Ebergeruch und -geschmack wahrnehmen, hängt von der individuellen Geruchsempfindlichkeit, der Konzentration der Ebergeruchskomponenten und der Art der Zubereitung des Schweinefleisches bzw. der Fleischprodukte ab. Ca. 20–30 % der europäischen Bevölkerung nehmen Androstenon wahr, dabei sind die Unterschiede in der Wahrnehmungsfähigkeit von Androstenon genetisch bedingt, aber auch regional, geschlechts- und altersabhängig.
Im Gegensatz dazu kann Skatol nahezu von allen Verbrauchern wahrgenommen werden. Ebergeruch tritt nicht bei allen geschlachteten Ebern auf. Dennoch werden männliche Ferkel bisher routinemäßig in den ersten Lebenstagen kastriert, damit die Hoden keine Hormone und geschlechtsspezifischen Geruchsstoffe (Androstenon) mehr bilden können. Das künftige Verbot der (betäubungslosen) Ferkelkastration stellt für die gesamte Kette der Schweinefleischerzeugung – vom Fleischproduzenten bis zur Verarbeitungsindustrie – eine große Herausforderung dar. Bei einem gänzlichen Verzicht auf die chirurgische Kastration steht neben tierschutzrelevanten Fragen insbesondere die Forderung nach einem ausreichenden Schutz der Verbraucher vor geruchsbelastetem Fleisch im Fokus.
3. Alternativen zur betäubungslosen Kastration
In Deutschland werden folgende Alternativen zur betäubungslosen Kastration gesehen: die Durchführung der Kastration unter Betäubung (Vollnarkose/Schmerzausschaltung, vgl. Abb. 1) sowie der Verzicht auf die herkömmliche Kastration durch eine Impfung oder Ebermast. Diese Alternativen sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.
3.1. Kastration unter Betäubung
3.1.1. Kastration unter Narkose
Bei der chirurgischen Kastration unter (Voll-)Narkose wird der Eingriff unter vollständiger Schmerzausschaltung durchgeführt. Eine solche Narkose muss in Deutschland gemäß § 5 Tierschutzgesetz durch einen Tierarzt durchgeführt werden, da dabei auch die Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit des Ferkels beeinträchtigt werden. Die Methode ist daher relativ zeitaufwändig und mit höheren Kosten verbunden.
Für die Anwendung beim Schwein zugelassen sind die Wirkstoffe Ketamin und Azaperon, die in Kombination zur Injektionsnarkose bei der Ferkelkastration eingesetzt werden können. Die Narkose ist sicher und wirkungsvoll, allerdings geht sie mit einer längeren Nachschlafphase einher (3 bis 4 Stunden). Dadurch besteht eine erhöhte Gefahr der Auskühlung und des Erdrückens. Das Verpassen von Saugakten bei der Muttersau kann sich außerdem negativ auf die Vitalität der Ferkel auswirken. Die Kosten, die durch Medikamente und Hinzuziehen des Tierarztes entstehen, werden mit ca. 2,00 € pro Tier angegeben.
Eine weitere Möglichkeit, die Ferkel unter Narkose zu kastrieren, stellt die Inhalationsnarkose mit dem kurzwirksamen Isofluran dar. Vorteil dieser Narkose ist das schnelle Aufwachen der Ferkel (nur ca. 2 Minuten Nachschlaf), so dass weder ein Auskühlen der Ferkel noch eine Beeinträchtigung des Saugverhaltens zu befürchten ist. Die Isofluran-Narkose geht allerdings mit höheren Kosten (ca. 2 bis 6 € pro Ferkel) einher, da ein erheblicher apparativer Aufwand (Narkosegerät) erforderlich ist. Zur Linderung von postoperativ auftretenden Schmerzen muss den Ferkeln vor dem Eingriff zusätzlich ein Schmerzmittel verabreicht werden. Isofluran ist bisher nicht für die Anwendung beim Schwein zugelassen, es besteht aber unter bestimmten tierarzneimittelrechtlichen Voraussetzungen die Möglichkeit zur sogenannten Umwidmung mit einer Mindestwartezeit für essbares Gewebe von 28 Tagen.
Der Vollständigkeit halber soll auch die lokale Betäubung erwähnt werden – die entsprechenden Medikamente beeinflussen im Gegensatz zu den o. a. Methoden lediglich die Schmerzausschaltung und nicht die Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit und brauchen deshalb nicht von einem Tierarzt angewendet werden (siehe § 5 Absatz 1 Satz 4 TierSchG). Die Möglichkeit einer Kastration unter lokaler Betäubung kommt jedoch aus wissenschaftlicher Sicht nicht als Alternative zur bisherigen Praxis in Frage, da weder die Injektion in die Hoden noch in den Hodensack oder Samenstrang zu einer Verringerung der schmerzbedingten Stressreaktion bei der Kastration führen. Die äußerliche (topische) Anwendung von (Kälte-)Sprays oder Cremes führt ebenfalls nicht zu der erforderlichen Reduktion des Kastrationsschmerzes.
3.1.2. Kastration mit Schmerzausschaltung
Nach dem Tierschutzgesetz könnte die Betäubung bei der Ferkelkastration ebenso wie bei der lokalen Anwendung vom Landwirt durchgeführt werden, wenn dabei nur der Schmerz während und nach dem Eingriff ausgeschaltet wird, die Wahrnehmungsfähigkeit der Tiere aber nicht beeinträchtigt wird. Voraussetzung dafür ist, dass Tierarzneimittel zum Einsatz kommen, die nach arzneimittelrechtlichen Vorschriften für die Schmerzausschaltung bei diesem Eingriff zugelassen sind. Trotz intensiver Forschung wurde jedoch bislang noch kein hierfür erforderlicher Wirkstoff gefunden, der den Schmerz der Tiere effektiv lindert, gut verträglich ist und vom Landwirt selbst verabreicht werden darf. Wissenschaftler sehen derzeit auch keinerlei Hinweise darauf, dass es möglich wäre, solche schmerzhemmenden Wirkstoffe zu entwickeln. Nach neuesten Erkenntnissen erfüllt auch der Einsatz schmerzhemmender Opioide (Butorphanol) nicht die Forderung nach einer zuverlässig stress- und schmerzlindernden Wirkung – auch dann nicht, wenn es mit einem Schmerzmittel (Meloxicam) kombiniert wird. Eine Betäubung durch den Landwirt ist daher momentan rein rechtlich nicht möglich.
3.2. Impfung gegen Ebergeruch
Eine weitere Alternative beim Verzicht auf die chirurgische Ferkelkastration stellt die Impfung gegen Ebergeruch – auch Immunokastration genannt – dar, bei der die Bildung der Geschlechtshormone verhindert wird (Improvac®, Zoetis Deutschland GmbH). Der Wirkstoff weist selbst keine hormonelle Wirkung auf. Wie bei jeder anderen Impfung auch werden dabei Antikörper gebildet. Diese vom Schwein gebildeten Antikörper sind gegen einen Botenstoff (GnRH) des Körpers gerichtet, der die Bildung der Geschlechtshormone und von Androstenon steuert. Fehlen diese, sei es durch Kastration oder Impfung, wird indirekt auch die für den Ebergeruch mitverantwortliche Skatolproduktion unterdrückt (Abb. 2). Zusätzlich reduzieren sich auch das typische Eberverhalten, gegenseitiges Aufspringen und Rangkämpfe, die bei nicht geimpften Ebern vielfach zu Verletzungen führen. Die Anwendung beim männlichen Schwein erfordert zwei Injektionen: die erste erfolgt ab einem Alter von 8 Wochen, die zweite mindestens vier Wochen nach der ersten Injektion und vier bis sechs Wochen vor dem geplanten Schlachttermin. Während das Immunsystem nach der ersten Impfung nur relativ wenige Antikörper produziert und die Hodenfunktion nicht beeinflusst wird, ruft die zweite Impfung eine ausreichende Immunantwort im Tier hervor (Boostereffekt). Um zu verhindern, dass männliche Schweine die Ebergeruchsstoffe bilden, müssen alle Tiere korrekt, d. h. 2x geimpft werden. Die Kosten für die vollständige Impfung werden mit 3,50 bis 5,00 € angegeben.
Die Wirkung der Impfung ist vorübergehend (reversibel), das heißt, werden nicht mehr genügend Antikörper gebildet, beginnen die Hoden wieder, sich zu voller Funktion und Größe zu entwickeln, so dass erneut Ebergeruch entstehen würde. Falls die Schlachtung später als 10 Wochen nach der zweiten Dosis beabsichtigt ist, sollte daher eine dritte Dosis vier bis sechs Wochen vor dem geplanten Schlachtzeitpunkt verabreicht werden.
Bis die Wirkung der zweiten Impfung einsetzt, wachsen die Tiere wie intakte Eber auf (inklusive der besseren Futterverwertung und höheren Magerfleischbildung), und es sind noch keine Auswirkungen auf das körperliche Erscheinungsbild und das Verhalten der Tiere festzustellen. Erst danach werden die Tiere deutlich ruhiger und verhalten sich ähnlich wie Kastraten.
Bei einer versehentlichen Selbstinjektion des Tierhalters würden dieselben Vorgänge wie in den Schweinen ablaufen, deshalb ist die Anwendung einer Sicherheitsimpfpistole vorgeschrieben.
Die Impfung verursacht keine Rückstände im Fleisch und ist für den Konsum absolut unbedenklich. Die Impfung ist seit Mai 2009 EU-weit zugelassen und wird bereits seit längerem weltweit mit Erfolg eingesetzt. „Die Immunokastration ist das einzige Verfahren, das die Hodenfunktion ausschaltet, ohne den Tieren Schmerzen zuzufügen – von dem Impfeinstich einmal abgesehen“, lobt Prof. Dr. Ulrike Weiler, Universität Hohenheim, die Vorteile der Impfung. Deshalb ist das Verfahren auch von Tierschützern akzeptiert und wird auch in Biobetrieben eingesetzt.
3.3. Ebermast
Die Mast unkastrierter männlicher Schweine und damit der vollständige Verzicht auf die Kastration wurden in den letzten Jahren durch verschiedene Projekte vorangetrieben. Diese haben gezeigt, dass die Ebermast eine Alternative ist, die aufgrund von Vorteilen in Mast- und Schlachtleistung der Eber besonders attraktiv erscheint und bei Beachtung gewisser Management- und Haltungsaspekte realisierbar ist.
Allerdings birgt die „reine“ Ebermast naturgemäß bekannte und nicht gelöste Probleme: den bereits beschriebenen Ebergeruch und das sogenannte Eberverhalten. Spätestens wenn die Eber in die Pubertät kommen, nehmen die sozialen Auseinandersetzungen, Rangordnungskämpfe und gegenseitiges Aufspringen zu. Das erhöhte Aggressionsverhalten, das vor allem rangniedere Eber trifft, kann dann zu tierschutzrelevanten Problemen (Verletzungen der Gliedmaßen, der Haut und der Penisse) führen. Vermehrte Rangkämpfe treten vor allem beim Umgruppieren und Transport der Tiere zum Schlachthof auf, weshalb empfohlen wird, die Gruppen möglichst stabil zu halten und insbesondere auf kurze Transportzeiten zu achten. In gemischtgeschlechtlichen Gruppen besteht außerdem die Gefahr der Trächtigkeit und damit das Risiko der Schlachtung frühträchtiger, weiblicher Mastschweine.
Zur Verminderung des Anteils geruchsbelasteter Schlachtkörper können geeignete Maßnahmen im Haltungsmanagement (Fütterung, Hygiene) bei der Wahl von Rasse und Zuchtlinie (Eberlinien mit geringen Geruchsabweichungen) beitragen:
- Züchterische Maßnahmen
Durch Zuchtprogramme, die auf das Verringern des Risikos von Ebergeruch ausgerichtet sind, lässt sich der Anteil geruchsabweichender Eber reduzieren. Allerdings reduziert die Zucht auf Masteber mit geringerem Geschlechtsgeruch nicht zwangsläufig das arttypische, aggressive Eberverhalten. „Geruchsarme“ Eber fechten auch weiterhin die Rangordnung aus und bespringen sich. So kann es auch bei diesen Tieren zu erheblichen Verletzungen kommen. - Fütterungsmaßnahmen
Eber haben ein erhöhtes Proteinansatzvermögen (und damit besondere Fütterungsansprüche), eine geringere Fettbildung und einen um circa 3–5 % erhöhten Muskelfleischanteil. Im Vergleich zu Börgen zeigen Eber einen geringeren Futterverbrauch (um 0,3–0,4 kg pro kg Zuwachs geringer), allerdings reagieren sie jedoch empfindlicher auf Fütterungsfehler als weibliche Mastschweine. Um Konkurrenzsituationen zu vermeiden und die notwendige Futteraufnahme zu gewährleisten, benötigen Eber mehr Fressplätze als Börge und sollten so viel fressen können, wie sie möchten (Ad libitum statt rationierter Fütterung). Im Gegensatz zu Androstenon lassen sich die Skatol-Konzentrationen im Fett des Schlachtkörpers durch geeignete Fütterungsmaßnahmen reduzieren, z. B. durch den Einsatz von Inulin, roher Kartoffelstärke oder blauen Lupinen. - Haltungs- und Managementmaßnahmen
Neben der Fütterung hat Stress auch einen großen Einfluss auf die Geruchsbelastung von Eberschlachtkörpern. Eber brauchen Platz, damit sie einander bei Rangordnungskämpfen ausweichen können. Tiere mit Verletzungen haben höhere Skatol-Konzentrationen. Beim Transport und im Wartebereich der Tiere im Schlachthof erfordern Jungeber erhöhte Aufmerksamkeit: in neueren Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass die Transportzeit Einfluss auf die Androstenon-Konzentrationen hat, während Skatol maßgeblich von der Dauer der Wartezeit bei der Schlachtung beeinflusst wird. Eine Schlachtung vor der Geschlechtsreife, wie sie zum Beispiel in Großbritannien üblich ist, minimiert das Risiko für Geruchsabweichungen ebenfalls.
3.4. Schlachtkörperqualität von Ebern
(Beitrag von Dr. Aneka Bauer, Max Rubner-Institut, Kulmbach)
Eber, männliche kastrierte (Börge) und weibliche Mastschweine (Sauen) unterscheiden sich in der Ausprägung sowie der geweblichen Zusammensetzung der Schlachtkörper bzw. der einzelnen Teilstücke (Bauer und Judas, 2014). Eberschlachtkörper weisen einen höheren Muskelfleischanteil bei geringerer Verfettung auf (Abb. 3). Sauen nehmen meist eine mittlere Stellung ein, wohingegen Schlachtkörper von Börgen den geringsten Fleisch- und den höchsten Fettanteil zeigen. Eber haben in diesem Vergleich auch den höchsten Anteil an Knochen, Schwarte und Sehnen. Diese Gewebezusammensetzung zeigt sich auch bei Betrachtung der einzelnen wertvollen Teilstücke (Abb. 4). Das Verhältnis zwischen Muskelfleisch- und Fettanteil ist entscheidend für den Schlachtkörperwert und bildet die Grundlage für die Handelsklasseneinstufung.
Durch den geringeren absoluten Fettgehalt der Eberschlachtkörper ergibt sich eine andere Fettsäurezusammensetzung hin zu einem höheren Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren (PUFA) in den Fettgeweben. Dies ist vor allem für die Verarbeitung der Rohmaterialien zu Wurstprodukten von Bedeutung, da ein hoher Gehalt an PUFA eine weichere Konsistenz und geringere Oxidationsstabilität des Fettes bedingt.
4. Geruchsabweichungen erkennen
Nach den Leitsätzen für Fleisch und Fleischerzeugnisse ist „Eberfleisch mit geruchlichen Abweichungen nicht verkehrsüblich“. Um die Qualitätswünsche der Kunden zu erfüllen und sicherzustellen, dass kein geruchsauffälliges Schweinefleisch in den Handel gelangt, muss mit dem künftigen Verzicht auf die Ferkelkastration auf Schlachthöfen regelmäßig auf Geschlechtsgeruch untersucht werden. Schlachtkörper mit „ausgeprägtem“ Geschlechtsgeruch müssen sicher erkannt und nach der VO (EG) 854/2004 Anhang I Abschnitt II Kapitel V Nr.1 Buchstabe p als genussuntauglich verworfen werden. Zur Abgrenzung zwischen geringgradigem bzw. ausgeprägtem Geschlechtsgeruch ist eine sensorische Prüfung nach Anlage 4 Nr. 6 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift Lebensmittelhygiene (AVV Lmh) durchzuführen.
Die Arbeitsgruppe Fleisch- und Geflügelfleischhygiene und fachspezifische Fragen von Lebensmitteln tierischer Herkunft (AFFL) der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz (LAV) hat zu diesem Thema in den letzten Jahren eine Reihe von Beschlüssen gefasst, die im Fachinformationssystem Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (FIS-VL) nachgelesen werden können.
Die Tauglichkeitsbeurteilung für Schweinefleisch obliegt der amtlichen Schlachttier- und Fleischuntersuchung. Voraussetzung für eine vergleichbare Vorgehensweise bei der Entscheidungsfindung ist, dass die betreffenden Prüfpersonen (Amtstierärzte, amtliche Fachassistenten, schlachthofeigenes Personal) hierzu entsprechend geschult sind, insbesondere zur Wahrnehmung des spezifischen Geschlechtsgeruchs (Androstenon). Diesem Anspruch folgt auch der 2012 überarbeitete QS-Leitfaden „Schlachtung und Zerlegung“ mit den neu aufgenommenen Rahmenbedingungen für die Detektion geruchsauffälliger Eberkarkassen.
4.1. Prüferschulung
Der angestrebte Verzicht auf die Ferkelkastration stellt eine große Herausforderung für die gesamte Kette der Schweinefleischerzeugung dar. Um die Erwartungen der Verbraucher hinsichtlich der Geruchsfreiheit von Schweinefleisch zu erfüllen, müssen die Beteiligten alles daransetzen, ebergeruchfreies Qualitätsfleisch auf den Markt zu bringen und damit auch künftig Image und Akzeptanz von Schweinefleisch zu sichern.
Solange es keine geeignete Methode zur instrumentellen Sensorik (z. B. „elektronische Nase“) zur Detektion von Geruchsabweichungen gibt, setzt man auch im Rahmen der Qualitätskontrolle auf die Humansensorik, bei der die menschliche Nase Fleisch mit Ebergeruch identifiziert (Human-Nose-Methode). Naturgemäß ist nicht jeder Mitarbeiter geeignet, Geruchsabweichungen zuverlässig zu erkennen. Für den Geruchstest kommen daher nur geeignete, geschulte Mitarbeiter zum Einsatz. Mit geeigneten Trainingsmaßnahmen zur Standardisierung der humansensorischen Detektion von Ebergeruch kann die Wiederholbarkeit und die Übereinstimmung zwischen den Testpersonen weiter gesteigert werden.
4.2. Wahrnehmungsvermögen
Während Skatol von nahezu allen Menschen wahrgenommen wird, gibt es bei Androstenon eine große Variabilität der individuellen Wahrnehmung. Auf der einen Seite sind ca. 25 – 30 % der Verbraucher hochsensitiv, andererseits liegt bei 7 – 75 % sogar eine Anosmie für Androstenon vor (Havlicek et al. 2010), das heißt, diese Menschen können Androstenon gar nicht oder nur in sehr hohen Konzentrationen wahrnehmen.
Studien zeigen, dass Frauen empfindlicher für Androstenon sind als Männer. Auch treten Anosmien häufiger bei Männern als bei Frauen auf (Müller 2011). Weitere Parameter, wie der kulturelle Hintergrund, die Erfahrung sowie die Fleischtemperatur und der Grad der Verarbeitung, haben ebenso einen Einfluss auf die Wahrnehmung. In der Literatur findet man folgende Werte zur menschlichen ortho-nasalen Wahrnehmung der beiden Substanzen:
4.3. Prüfmerkmal „Fremdgeruch“ beim DLG-Test
Das DLG-Testzentrum Lebensmittel testet jedes Jahr Produkte aus nahezu allen Lebensmittelbereichen, darunter auch Frischfleisch. Die DLG-Lebensmittelprüfungen liefern dem Verbraucher neutrale und unabhängige Ergebnisse über die Qualität von Lebensmitteln. Die Lebensmittel-Sensorik zählt zu den wichtigsten Säulen bei der Beurteilung von Lebensmittelqualität und wird auch von Behörden regelmäßig zur Qualitätskontrolle und -sicherung von Lebensmitteln eingesetzt. In den DLG-Produkttests steht die sensorische Analyse der Lebensmittel (Farbe, Aussehen, Konsistenz, Geruch und Geschmack) im Mittelpunkt. Die sensorische Prüfung wird durch qualifizierte Sachverständige aus dem DLG-Prüferpool anhand des DLG-5-Punkte-Schemas® durchgeführt.
Eberfleisch an sich ist gesundheitlich absolut unbedenklich, allerdings stellen derartige Geruchsabweichungen starke Qualitätsmängel dar. Das vermehrte Auftreten von Geruchsabweichungen während den DLG-Qualitätsprüfungen in den letzten Jahren führte dazu, dass das Prüfmerkmal „Geruch“ im DLG-5-Punkte-Schema® durch die Fehleransprache „Stallgeruch“ ergänzt wurde. Gleichzeitig hat die DLG den Qualifikationstest ihrer Sachverständigen um die sensorische Kompetenz für Ebergeruch erweitert. Die Sensorik-Experten, die in der Lage sind, Androstenon und Skatol sicher zu erkennen, können so gezielt in den Qualitätsprüfungen eingesetzt werden.