Umgang mit kranken und verletzten Rindern
DLG-Merkblatt 459
Autoren:
- DLG-Ausschuss Milchproduktion und Rinderhaltung
- Nicola Bock, Fachzentrum Landwirtschaft, DLG e.V.
- Dr. Hans-Joachim Herrmann, Fachgebietsleiter Beratungsteam Tierhaltung, Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen
- Prof. Dr. Wilfried Hopp, Veterinärdienst Kreis Soest
- Dr. Ole Lamp, Fachbereichsleiter Rinderhaltung, Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein, Lehr- und Versuchszentrum Futterkamp
- Cord Lilie, Landwirt in Stemwede, Vorsitzender DLG-Ausschuss Milchproduktion und Rinderhaltung
- Julia Maischak-Dyck, Fachgebiet Beratungsteam Tierhaltung, Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen
- Dieter Mirbach (†), Fachzentrum Landwirtschaft, DLG e.V.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einführung
- 2. Entscheidungskonflikt
- 3. Anleitung zur Tierbeobachtung
- 3.1 Erkennung von kranken und verletzten adulten Tieren
- 3.1.1 Tierbeobachtung: Herde
- 3.1.2 Tierbeobachtung: Gruppe
- 3.1.3 Tierbeobachtung: Einzeltier
- 4. Ausstattung und Management von Krankenbuchten
- 5. Einschätzung der Transportfähigkeit von kranken und verletzten Tieren
- 6. Nottötung
- 6.1 Begriffsdefinition
- 6.2 Rechtliche Grundlagen
- 6.3 Entscheidungskriterien (für oder gegen Nottötung)
- 6.4 Zugelassene Methoden
- 6.4.1 Euthanasie
- 6.4.2 Betäubung durch Bolzenschuss
- 6.4.3 Tötungsmethoden nach Bolzenschuss
- 6.4.3.1 Entblutung
- 6.4.3.2 Gehirn-Rückenmarkzerstörer
- 6.4.3.3 Kugelschuss
- 6.4.4 Kontrolle des Todeseintritts
- 6.4.5 Zusammenfassung
- 7. Schlusswort
- kontakt
1. Einführung
Das vorliegende Merkblatt soll Tierhalterinnen und Tierhaltern Empfehlungen geben, wie kranke und verletzte Rinder schnellstmöglich erkannt werden und wie die Entscheidung für den Verbleib in der Herde oder die Unterbringung in einer Krankenbucht zu treffen ist. Falls keine Heilungschancen in Aussicht stehen, muss die Transportfähigkeit eingeschätzt werden. Diese bekommt zunehmend Relevanz und muss mit Sorgfalt entschieden werden. Als letzte Möglichkeit kann eine Nottötung durchgeführt werden. Grundlegend hierfür ist, dass die Gesundheit von Nutztieren ein wesentliches Anliegen jeder Tierhalterin und jedes Tierhalters sein muss. Sie tragen die Verantwortung, mit kranken und verletzen Tieren fachgerecht umzugehen. Besonderes Augenmerk liegt hierbei in der Prävention, der Tierbeobachtung und Kontrolle sowie der Kommunikation mit der Bestandstierärztin/dem Bestandstierarzt.
Abbildung 1: Entscheidungsweg (Quelle: Maischack-Dyck u. Leubner 2021)
Aus der Perspektive der Tierhalterin und des Tierhalters sind viele Faktoren zu beachten. Umso entscheidender ist es, dem Management erkrankter oder verletzter Rinder eine Struktur zu geben. Nur mit klaren Entscheidungswegen und Handlungsoptionen lassen sich gute Heilungserfolge erreichen, unnötige Schmerzen und Leiden verhindern und im schlimmsten Fall auch der Entschluss zur Nottötung herbeiführen. Die Verantwortung für die Versorgung kranker und verletzter Tiere ist im Tierschutzgesetz § 1 „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“ und der Tierschutz-Nutztierverordnung § 4 Abs. 1 Nr. 3. „Jeder der Nutztiere hält, muss daher sicherstellen, dass – soweit erforderlich – unverzüglich Maßnahmen für die Behandlung, Absonderung oder die Tötung kranker oder verletzter Tiere ergriffen werden“ festgesetzt. Der Tierhalterin/dem Tierhalter wird damit die Verantwortung für die angemessene Pflege und Versorgung der in der Obhut befindlichen Tiere übertragen. Dazu gehört auch, erforderlichenfalls über eine Nottötung zu entscheiden und sie gegebenenfalls auch selbst durchzuführen.
Abbildung 2: Entscheidungsbaum (Quelle: Modifiziert nach Leßmann & Petermann 2021)
2. Entscheidungskonflikt
Der Umgang mit kranken und verletzten Rindern birgt für Landwirtinnen und Landwirte Potential für Gewissenskonflikte. Einerseits soll das Tier vor Schmerzen, Leiden und Schäden bewahrt werden und andererseits davon erlöst werden können, sofern es keine Aussicht auf Heilung gibt. Dabei ist der Tod der „ultimative Schaden“ für das Tier. Das Mensch-Tier-Verhältnis wird an dieser Stelle auf die Probe gestellt.
Im Kontext der Nottötung muss erläutert werden, was ein vernünftiger Grund zum Töten eines Tieres im Sinne des Gesetzes ist. „Vernünftige Gründe“ sind dem Tierschutzgesetz zu entnehmen. Daraus lassen sich folgende Beispiele ableiten:
Wirtschaftlichkeit zählt nicht als vernünftiger Grund!
In welchem rechtlichen Kontext sich die Landwirtinnen und Landwirte in dem Bereich Nottötung bewegen, soll aus der Perspektive der moralischen und ethischen Verantwortung gegenüber dem Tier einerseits und andererseits aus Sicht der praktischen Umsetzung erläutert werden.
Die frühzeitige Erkennung von kranken oder verletzten Tieren hilft in vielen Fällen, den Behandlungserfolg zu sichern. Einer der Grundsätze für die Behandlung von Tieren generell ist: Je schneller eine Behandlung eingeleitet und das Tier angemessen betreut und untergebracht wird, umso besser sind die Heilungsaussichten.
Ethisch und moralisch sind Tierhalterinnen und Tierhalter im Fall schwerer Verletzungen oder Erkrankungen verpflichtet, durch zügiges und entschlossenes Handeln unnötige Schmerzen und Leiden zu verhindern. Dies erfordert eine effektive Tierbeobachtung und Entschlusskraft.
3. Anleitung zur Tierbeobachtung
Die Tierbeobachtung hat eine hohe Tierschutzrelevanz. Das rechtzeitige Erkennen kranker oder verletzter Tiere dient der Vermeidung von Schmerzen, Leiden und Schäden. Hierdurch kann zudem der Behandlungserfolg des Tieres verbessert werden.
Im täglichen Umgang mit den Kühen haben Tierhalterinnen und Tierhalter die Tiere regelmäßig im Blick. Man sieht sie bei der Futteraufnahme, beim Betreten und Abliegen in der Liegebox und in den allgemeinen Bewegungsabläufen (vgl. DLG-Merkblatt 381: Das Tier im Blick – Milchkühe 2016).
Mindestens einmal täglich sind die Tiere durch direkte Inaugenscheinnahme zu kontrollieren (Hulsen et al. 2015). Basis dieser Kontrolle ist eine sorgfältige Tierbeobachtung, für die von den Tierhalterinnen und Tierhaltern ausreichend viel Zeit eingeplant werden muss. Die Aufteilung der Beobachtung auf verschiedene Personen kann im Hinblick auf die Arbeitsbelastung und den Perspektivwechsel von Vorteil sein. Wichtig ist die Dokumentation der einzelnen Beobachtungen, um den Informationsfluss zu gewährleisten.
Grundlage einer erfolgreichen Tierkontrolle sind ausreichend Zeit, passend gewählte Zeitpunkte im Tagesablauf und die nötige Fachkenntnis. In Abhängigkeit vom Alter der Tiere empfiehlt es sich, Rinder sowohl während der Fütterungszeiten als auch in den Ruhephasen zu kontrollieren.
3.1 Erkennung von kranken und verletzten adulten Tieren
Tiere können in der Herde, in der Gruppe und als Einzeltiere beobachtet werden. Hierbei ist es für die Beobachtungsstruktur sinnvoll, vom Allgemeinen ins Spezielle zu gehen und systematisch zu arbeiten. Erst schaut man sich die Herde an und geht dann über die kleinere Gruppe bis hin zum Einzeltier. Hierbei lässt sich feststellen, ob es sich beispielsweise um das Signal eines Einzeltieres, Signale von mehreren Tieren oder sogar um ein Herdensignal handelt.
Beispiel: Eine Kuh liegt nach der Geburt fest. Auf die Herde bezogen könnte dies bedeuten, dass alle Trockensteher nach der Abkalbung einem erhöhten Risiko für Milchfieber ausgesetzt sind. Hier müssen die Fütterung und das Management der Trockensteher und der Kühe direkt vor und nach der Kalbung überprüft werden.
Generell obliegt es der sachkundigen Beobachterin/dem sachkundigen Beobachter einzuschätzen, ob es sich um eine positive oder negative Information der Herde, einer Gruppe oder des Einzeltiers handelt und ob eingegriffen werden muss. Leitfragen für die Tierbeobachtung sollten sein:
- Was sehe ich?
- Warum ist das so?
- Was bedeutet das?
- Was muss ich verändern? (Hulsen et al. 2015).
Bevor die Tierbeobachtung beginnt, sollten Vorbereitungen im Büro getroffen werden. Hilfreich für die Beobachtungen sind Listen zu Tieren mit Besonderheiten oder speziellen Risiken, MLP-Übersichten, der Fruchtbarkeitskalender und Notizen früherer Beobachtungen. Ein Tages- und Wochenplan für die Tierbeobachtung als Gedächtnisstütze und zur Organisation, auch bei mehreren Beobachterinnen und Beobachtern, ist von Vorteil (Hulsen et al. 2015).
3.1.1 Tierbeobachtung: Herde
Um die Herde zu beobachten ist es wichtig, dies regelmäßig zu tun. Die Tierhalterinnen und Tierhalter sollten die Kontrollgänge immer zum gleichen Zeitpunkt (nach Futtervorlage, beim Holen der Kühe zum Melken, während des Melkens) und mit den gleichen Zeitabständen durchführen. In Betrieben mit automatischem Melksystem müssen Extrazeiten für die Tierbeobachtung eingeplant werden. Es sollte darauf geachtet werden, dass der Zugang zu den Tieren leicht ermöglicht werden kann und genügend Licht zur Beobachtung gegeben ist (Hulsen et al, 2015). Hektik während der Beobachtung im Stall sollte vermieden werden. Die Tiere sollten zielgerichtet und unvoreingenommen beobachtet werden. Die Herde sollte zunächst mit einiger Distanz (z. B. vom Futtertisch aus) beobachtet werden, um sie als Ganzes zu betrachten. Checklisten helfen ungeübten Personen während der Beobachtung:
Zudem ist es wichtig, Risikomomente und Risikoorte zu erkennen, die eine Intensivierung der Beobachtung erfordern und es wird empfohlen diese zu dokumentieren. Risikomomente sind beispielsweise: Futterumstellung, Abkalbung, Trockenstellen oder der Weidebeginn. Risikoorte sind auf jedem Betrieb individuell und der Betriebsleitung meistens bekannt. Hier gilt es, diese häufig zu kontrollieren, damit Tiere keinen Schaden nehmen können.
3.1.2 Tierbeobachtung: Gruppe
Erkrankungsrisiken sind im Laktationsverlauf unterschiedlich. Durch eine entsprechende Gruppierung von Kühen zu bestimmten Leistungsgruppen kann eine gezieltere und einfachere Kontrolle ermöglicht werden. Tiere in Risikogruppen (siehe Tabelle 1) geben als erstes Signale von sich, sofern etwas nicht stimmen sollte. Die Vorgehensweise bei der Beobachtung entspricht derjenigen in der Gesamtherde. Verschiedene Risiken sind an unterschiedliche Gruppen gebunden, die hier nachfolgend beispielhaft dargestellt werden:
Tabelle 1: Beobachtung von Risikogruppen (Quelle: nach Hulsen et al. 2015)
Risikogruppen | Risiken | Signale des Tieres |
Frischgekalbte Kühe | Gebärmutterentzündung/Euterentzündung | - Teilnahmslosigkeit |
Milchfieber | - Kalte Ohren | |
Energiemangel | - Trägheit | |
Brünstige Kühe | Energiemangel | - wenig Pansenfüllung |
Beschädigungen | - Aktivität der brünstigen Kuh | |
Kälber | Infektionskrankheiten | - Husten |
3.1.3 Tierbeobachtung: Einzeltier
Für die Tiere, die während der Beobachtung der Herde aufgefallen sind, gilt es die Beobachtung zu intensivieren. Nachdem Tierhalterinnen und Tierhalter die Herde und/oder die jeweiligen Leistungsgruppen kontrolliert haben, sollten sie sich dem Einzeltier noch einmal gesondert widmen. Zudem ist es sinnvoll, Informationen aus der Vergangenheit (sofern vorhanden) zu Hilfe zu nehmen. War das Tier zuvor schon einmal auffällig? Kranke oder für Krankheiten anfällige Tiere sind an folgenden Faktoren zu erkennen:
- Sauberkeit der Tiere (Haut und Klauen)
- Fellzustand (rau oder feucht-glänzend)
- Kondition (BCS: im Zusammenhang mit Alter, Laktationsstadium und Leistungsniveau)
- Augen, Ohren, Gesichtsausdruck
- Atmung (Frequenz erhöht, Geräusche)
- Bewegung & Körperhaltung (nicht taktmäßig, aufgezogener Rücken, Schonen von Gliedmaßen)
- Verhalten (matt, appetitlos, apathisch)
- Kotbeurteilung (Verdauung)
- Milchleistungskontrolle (Schwankungen der Milchleistung, Anstieg Zellgehalt, Schwankungen Milchinhaltsstoffe).
Ist ein Tier im äußeren Eindruck auffällig, kann man beispielsweise mit einer Messung der Körpertemperatur den Verdacht einer Infektionskrankheit bestätigen und ggf. Aufschluss über den Gesundheitszustand gewinnen. Für weitere Untersuchungen ist eine Tierärztin/ein Tierarzt hinzuzuziehen. Bei schwer erkrankten Tieren ist eine Separierung notwendig und für eine Therapie die Unterbringung in einer Krankenbucht angebracht.
Weiterführende Informationen zum Thema sowie Checklisten: siehe DLG-Merkblatt 381: Das Tier im Blick – Milchkühe.
4. Ausstattung und Management von Krankenbuchten
Verletzte und kranke Tiere müssen bei Bedarf in Krankenbuchten untergebracht werden. Krankenbuchten sollten als Genesungsbuchten angesehen werden. In ihnen werden Rinder individuell und ohne Störung durch ihre Artgenossen versorgt. Tiere, deren Verletzung oder Erkrankung von vorn herein nicht mehr zu behandeln sind oder keine bisherige tierärztliche Therapie die nötige Linderung gebracht hat, müssen unverzüglich getötet werden (siehe Kapitel 6). Es ist zu beachten, dass kalbende Rinder nicht zusammen mit kranken oder verletzten Rindern in Krankenbuchten gehalten werden sollten! Krankenbuchten sind keine Abkalbebuchten und umgekehrt!
Krankenbuchten brauchen ein ausreichendes Platzangebot (Richtwert mind. 10 – 12 m2 pro Tier bei Gruppenboxen, mind. 14 – 18 m² pro Tier bei Einzelboxen) für die dort befindlichen Tiere. Kranke und verletzte Tiere benötigen zudem besonderen Schutz vor Witterungseinflüssen sowie dauerhaften Zugang zu qualitativ gutem Futter und Wasser. Kranke und verletzte Tiere brauchen eine weiche, trockene und rutschfeste Liegefläche. Am Besten eignet sich ein flach eingestreuter verformbarer Boden, der leicht zu beräumen und zu reinigen und zu desinfizieren ist. Durch regelmäßiges Ausmisten, Reinigen und Desinfizieren müssen Tierhalterinnen und Tierhalter für die zu pflegenden Tiere hygienische Verhältnisse schaffen. Wichtig ist, die Belegung der Kranken- und Separationsbuchten so zu planen, dass regelmäßig ein vollständiger Leerstand der Bucht mit anschließender Reinigung und Desinfektion möglich ist. Eine kontinuierliche Belegung der Krankenbucht ist zu vermeiden. Durch Erkrankungen oder Verletzungen erhöht sich die Kontroll- und Betreuungsintensität der Tiere. Hier bietet es sich ebenfalls an, mehrere Personen zu koordinieren, die die Tiere kontrollieren und den Zustand und Krankheitsverläufe dokumentieren.
5. Einschätzung der Transportfähigkeit von kranken und verletzten Tieren
Bei einem kranken oder verletzten Rind muss eine Entscheidung für oder gegen einen Transport gefällt werden. Hierbei findet die Verordnung (EG) Nr. 1/2005: „Schutz von Tieren beim Transport und damit zusammenhängenden Vorgängen“ Anwendung.
Wie entscheiden Tierhalterinnen und Tierhalter richtig?
„Tiere dürfen nur transportiert werden, wenn sie im Hinblick auf die geplante Beförderung transportfähig sind und wenn gewährleistet ist, dass ihnen unnötige Verletzungen und Leiden erspart bleiben.“ (Verordnung (EG) Nr. 1/2005, Anhang I Kapitel I Nummer 1)
Grundsätzlich gilt: Ein Tier ist transportfähig, wenn das Allgemeinbefinden ungestört ist und keine Verhaltensweisen und klinische Befunde auf Schmerzen, Leiden und Schäden hinweisen. Die Transportfähigkeit von kranken und verletzen Tieren muss zum Zeitpunkt des Verladens sicher eingeschätzt werden. Es dürfen durch den Transport keine zusätzlichen Leiden verursacht werden.
„Niemand darf eine Tierbeförderung durchführen oder veranlassen, wenn den Tieren dabei Verletzungen oder unnötige Leiden zugefügt werden könnten“ (Verordnung (EG) Nr. 1/2005, Artikel 3).
Tabelle 2: Einschätzung der Transportfähigkeit (Quelle: Eurogroup for Animals et al. 2012)
Transportfähig | Nicht transportfähig!! | Grenzfälle |
---|---|---|
Ungestörtes Allgemeinbefinden | Tier ist gehunfähig | Nicht schmerzfrei oder ohne Hilfe beweglich |
Keine Hinweise auf Schmerzen, Leiden, Schäden | Tier mit großen, offenen Wunden | Operationswunden/Wunden |
Aufmerksam, waches Tier | Tier mit Organvorfällen | Abnormer Ausfluss |
Ruhige Atmung | Tier mit stark anhaltender Blutung | Schwellungen |
Normaler Ernährungszustand | Aufgegaste Tiere | Durchfall |
Alle vier Beine werden im Stand/in Bewegung gleich belastet | Hochtragende Tiere | Erschwerte Atmung |
Trockenes, glattes, glänzendes Fell | Frisch abgekalbte Tiere | Laktierende Kühe/Euterprobleme |
Gerade Rückenlinie | Kachexie | Abnormes Verhalten/nervöse Anzeichen |
Gefährliche Tiere | ||
Eingeschränkte Sehfähigkeit |
In der Tabelle 2 wird deutlich gemacht, wann ein Rind transportiert werden darf und in welchen Situationen nicht. Es gibt Grenzfälle, in denen Tierhalterinnen und Tierhalter mit ihren Sachkenntnissen und unter Zuhilfenahme von z. B. dem Leitfaden „Transportfähigkeit und Schlachtfähigkeit von Rindern richtig bewerten“ (https://www.landwirtschaftskammer.de/Landwirtschaft/tiergesundheit/pdf/leitfaden-rindertransport.pdf) (Rindergesundheitsdienst der Landwirtschaftskammer NRW, 1. 7. 2019) Situationen besser einschätzen lernen können. Auch der „Praxis-Leitfaden zur Bestimmung der Transportfähigkeit von adulten Rindern“ bietet Entscheidungshilfen (http://www.bsi-schwarzenbek.de/Dokumente/FINALTransportguidelinesDE.pdf).
6. Nottötung
Nottötungen haben eine nicht zu unterschätzende Relevanz für tierhaltende Betriebe. Insofern muss darüber nachgedacht werden, ob es einer Art Schulung für Landwirtinnen und Landwirte in diesem Bereich bedarf, um Sicherheiten bei den Verantwortlichen zu schaffen und Schutz für die Tiere zu gewähren. Die Entscheidung, ob und wann eine Nottötung durchzuführen ist, ist immer auf der Grundlage des klinischen Zustandes des betroffenen Einzeltieres zu treffen. Aus den Gesetzestexten ist zu entnehmen, dass auch hier die schonendste Methode zu wählen ist. Das spricht für die Euthanasie, durchgeführt durch die Tierärztin/den Tierarzt, als Methode der Wahl. Für andere Methoden müssen sich Landwirtinnen und Landwirte entsprechend ausstatten und vorbereiteten (Khol et al.).
6.1 Begriffsdefinition
Der Begriff der Nottötung grenzt sich von Notschlachtung, Schlachtung und Tötung im Seuchenfall ab.
Die Schlachtung „Ist die Tötung von Tieren zum Zweck des menschlichen Verzehrs“. Dagegen ist die Notschlachtung die Schlachtung eines ansonsten gesunden Tieres, das einen Unfall erlitten hat und somit transportunfähig ist. Das geschlachtete und entblutete Tier muss hygienisch einwandfrei zur weiteren Verarbeitung zum Schlachthof befördert werden. Der Transport darf nicht länger als eine Stunde dauern. Eine Lebendbeschau durch die amtliche Tierärztin oder den amtlichen Tierarzt vor der Schlachtung ist genauso zwingend erforderlich wie die amtstierärztliche Anwesenheit bei der Schlachtung selbst. Nach entsprechender, unauffälliger Fleischuntersuchung am Schlachthof ist das Fleisch frei verkehrsfähig. Tiere, die nicht mehr in die Lebensmittelgewinnung gehen dürfen, können noch der Futterfleischgewinnung dienen (Verordnung (EU) 2017/625). Die Tötung ist (nach EG-Verordnung Nr. 1099/2009) folgendermaßen definiert: „Jedes bewusst eingesetzte Verfahren, das den Tod eines Tieres herbeiführt.“ und die Nottötung (nach EG-Verordnung Nr. 1099/2009) wie folgt: „Die Tötung von verletzen Tieren oder Tieren mit einer Krankheit, die große Schmerzen oder Leiden verursacht, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, diese Schmerzen oder Leiden zu vermindern.“ Die Verwendung für den menschlichen Verzehr ist ausgeschlossen. Das getötete Tier wird der Tierkörperbeseitigung zugeführt. Beim Töten muss immer ein vernünftiger Grund vorliegen.
6.2 Rechtliche Grundlagen
Welche rechtlichen Grundlagen und Verordnungen im Kontext der Nottötung für Landwirtinnen und Landwirte auf Länder-, Bundes- und EU-Ebene gelten und auf was sie im Wesentlichen hinweisen, wird in Abbildung 4 dargestellt.
In dem in Abbildung 4 gezeigten rechtlichen Rahmen bewegen sich die Landwirtinnen und Landwirte, wenn sie sich mit kranken und verletzten Tieren auseinandersetzen. Grob zusammengefasst werden Angaben zu ausführenden Personen, Voraussetzungen für die Durchführung, sowie zu Geräten und Methoden gemacht. Diese Vielfalt an Gesetzen und Verordnungen machen es für Landwirtinnen und Landwirte schwer, das Thema Nottötung in Gänze zu erfassen und Unsicherheiten auszuräumen. Nachfolgend aufgeführt und erklärt, greift zuerst das Tierschutzgesetz, die Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung und VO (EG) 1099/2009 in Verbindung mit der Tierschutzschlacht-Verordnung über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung.
Allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Tierschutzgesetzes (2000): „Für das Töten lebensschwacher, nicht lebensfähiger oder schwerverletzter Wirbeltiere im Einzelfall im eigenen Tierbestand ist wegen fehlender Regelmäßigkeit grundsätzlich kein Nachweis der Sachkunde erforderlich.“
Festzuhalten ist:
Ein Sachkundenachweis ist bei einer Nottötung im eigenen Bestand – sofern es sich um Einzelfälle handelt - nicht notwendig, aber Fachkenntnis ist erforderlich!
Handelt es sich bei der Nottötung um eine regelmäßig vorgenommene Tätigkeit auf dem Betrieb oder die Nottötung in einem fremden Bestand im Auftrag der Tierhalterin oder des Tierhalters, ist ein Sachkundenachweis unabdingbar!
Tabelle 3: Gesetzliche Grundlagen
(Quelle: DLG-Merkblatt 430: Umgang mit kranken und verletzten Schweinen 2018, abgewandelt)
Tierschutzgesetz | Allgemeines Gesetz zum tierschutzgerechten Umgang mit Tieren. Das Tierschutzgesetzt legt fest, dass Tiere nur nach wirksamer Betäubung und unter Vermeidung von Schmerzen getötet werden dürfen. Zusätzlich regelt es, wer durch Kenntnisse und Fähigkeiten oder über die Erlangung eines Sachkundenachweises zur Tötung eines Tieres berechtigt ist. Hinweis: Tierhalter ist jeder, der Tiere betreut, also sowohl Betriebsleiter wie auch Mitarbeiter. Mitarbeiter ohne eine geeignete Ausbildung können bei Erfüllung der Voraussetzungen einen Sachkundenachweis von der Behörde ausgestellt bekommen. |
Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung | Die Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung gibt allgemeine Regelungen zum Umgang mit Nutztieren und regelt die Anforderungen an Überwachung, Fütterung und Pflege der Tiere. Hierzu gehört auch die Behandlung, Absonderung und Unterbringung kranker und verletzter Tiere. Für spezielle Tiergruppen sind besondere Anforderungen formuliert (Abschnitt 2 für Kälber). |
VO (EG) 1099/2009 in Verbindung mit der nationalen Tierschutzschlacht-Verordnung über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung | Die europäische und nationale Verordnung zum Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung und die Schlachtverordnung regeln die Betäubung und Schlachtung bzw. Tötung im Schlachthof sowie die Betäubung und Tötung von Tieren im Stall. Auch werden alle zugelassenen Methoden der Betäubung und Tötung aufgelistet und deren fachgerechte Durchführung beschrieben. |
Wichtig ist die Aufgabenverteilung im Fall der Nottötung. So ergreift nach Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 die tierhaltende Person der betroffenen Tiere alle Maßnahmen. Sie hat damit die Verantwortung zum Handeln und sollte als beratende Instanz die Tierärztin oder den Tierarzt hinzuziehen. Diese können in Hinblick auf Heilungschancen beraten und gegebenenfalls eine Therapie durchführen und den Behandlungserfolg kontrollieren aber auch eine zeitige Nottötung durch Euthanasie bei aussichtsloser oder sehr schlechter Prognose nach entsprechendem Auftrag durch die Halterin oder den Halter durchführen. Vor dem Hintergrund der tierärztlichen Beratung muss die tierhaltende Person umgehend entscheiden und handeln.
Bei der Entscheidung für ein geeignetes Betäubungs- und Tötungsverfahren sollten Landwirtinnen und Landwirte die Vor- und Nachteile der einzelnen Verfahren kennen. Der sachkundige Umgang mit den Geräten zur Betäubung und Tötung sind ebenso wie die Wartung und Lagerung nach Herstellerangaben für eine tierschutzgerechte Nottötung zwingend erforderlich.
6.3 Entscheidungskriterien (für oder gegen Nottötung)
Die nachfolgenden Fälle geben starke Hinweise darauf, dass sich kein Behandlungserfolg einstellen wird und Tierhalterinnen und Tierhalter verpflichtet sind, unheilbar verletzte oder kranke Rinder zu erlösen.
Aussichtsloser Behandlungserfolg und Hinweis auf notwendige Nottötung
- Nicht behandelbar, nicht schlachtbar, nicht transportfähig
- Tierärztliche Einschätzung als Rückversicherung (Vier-Augen-Prinzip) empfohlen
- Schwere Missbildungen (z. B. Wasserkopf, Afterlosigkeit, Herzfehler)
- Verminderte Lebensfähigkeit (Kälber z. B. kein Schluckreflex, nicht behebbare Verdauungsstörungen)
- Bewegungsstörungen (nicht behebbare Lähmungen, (multiple) Gelenksentzündungen)
- Ungünstig verlaufende Infektionen und schwere Stoffwechselstörungen (z. B. hochaggressive Keime, Kreislaufkollaps, Medikamentenrückstände)
- Unfälle und Notsituationen mit Ausschluss der Verwertbarkeit (Logistik, Hygiene) (vgl. von Holleben 2017).
Grundsätzlich stellt sich immer die Frage, ob eine Weiterführung der Therapie anzustreben ist oder die Nottötung das Leiden des Tieres beendet. Der Austausch mit der Tierärztin/dem Tierarzt und Überlegungen zu Tierschutz, emotionalen und praktischen Aspekten sollten miteinbezogen werden (siehe Abbildung 5).
Die schon in Kapitel 5 angesprochene Transportfähigkeit von verletzten und kranken Rindern muss immer mit in die Entscheidung im Hinblick auf das weitere Vorgehen einfließen.
Der Zustand der Tiere inklusive der tierärztlichen Einschätzung der Prognose durch Anamnese, klinische Untersuchung, metabolische Parameter geben Anhaltspunkte auf einen Behandlungserfolg oder ein notwendiges Erlösen des Tieres (Khol et al. 2015).
Anhand der Indikatoren in Abbildung 6 lässt sich eine Tendenz für eine Entscheidung ersehen. Tierhalterinnen und Tierhalter haben die Verantwortung, dass eine Entscheidung nicht verschleppt wird!
6.4 Zugelassene Methoden
Eine Betäubung muss immer durchgeführt werden! Da eine Tötung Schmerzen verursacht, bedarf es einer Betäubung, die bei dem Tier eine Wahrnehmungs- und Empfindungslosigkeit herstellt. Es gibt einstufige Verfahren, bei denen die Betäubung und die Tötung mit demselben Verfahren durchgeführt werden. Bei zweistufigen Verfahren, erfolgt ein Verfahren zur Betäubung und ein anderes Verfahren zur Tötung.
Praktische Relevanz: einstufig: Betäubung + Tötung ➝ medikamentöse Euthanasie; alternativ: zweistufig: 1. Betäubung ➝ Bolzenschuss; 2. Tötungsverfahren ➝ Ausbluten oder Gehirn-Rückenmarkzerstörung.
6.4.1 Euthanasie
Das Einschläfern eines Rindes gilt als Methode der Wahl. Diese erfolgt über die Auswahl und Injektion eines geeigneten Medikamentes durch die Tierärztin oder den Tierarzt.
Zugelassene Medikamente
Mit Zulassung bei tragenden Tieren: Bei der Nottötung von Rindern im letzten Drittel der Trächtigkeit ist die tierärztliche Euthanasie die zu wählende Methode, da nur so eine zeitnahe Tötung des ungeborenen Kalbes sichergestellt werden kann.
Wichtig: Damit hier Schmerzen und Leiden beim Kalb vermieden werden können, dürfen nur für die Anwendung bei tragenden Tieren zugelassene Arzneimittel verwendet werden. Diese enthalten den Wirkstoff Pentobarbital, da dieser auch die Plazentaschranke überwinden kann und nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit zum Tod durch Atem- und Herzstillstand bei Kalb und Kuh führt.
Medikamente für nicht tragende Tiere: Kombinationspräparate mit Wirkstoffen Embutramid + Tetracain + Mebezonium verursachen cerebrale Depression, Kreislaufversagen, Atemstillstand.
Die Gesamtdosis muss zügig und sicher intravenös eingegeben werden, passiert dies nicht (z. B. durch fehlerhafte paravenöse Injektion), kann es zu einem verzögerten oder ausbleibenden Wirkungseintritt und starken Gewebsschädigungen und Schmerzen kommen. Eine Wirksamkeitskontrolle muss durchgeführt werden und gegebenenfalls eine Nachdosierung vorgenommen werden. Die sachgerechte Euthanasie ist ein schnelles Verfahren und bedeutet für das Tier minimalen Stress.
6.4.2 Betäubung durch Bolzenschuss
Der Bolzenschuss ist keine Tötungsmethode, sondern stellt lediglich eine Betäubungsmethode dar! Die Betäubung durch den Bolzenschuss stellt bei dem Tier eine Wahrnehmungs- und Empfindungslosigkeit her, welche bis zum Tod des Tieres durch Entbluten oder Gehirn-Rückenmarkzerstörung sichergestellt werden muss. Wichtig sind geeignete Schussgeräte und eine optimale Instandhaltung. Zur Sicherheit sollten eher stärkere Ladungen verwendet werden. Die Utensilien für die darauffolgende Tötung müssen fertig vorbereitet bereitliegen und die Tierhalterinnen und Tierhalter müssen auf eine eventuelle Nachbetäubung vorbereitet sein. Die Betäubungsmethode sollte immer an die Situation des Tieres angepasst sein. Eine Betäubung mittels Bolzenschuss sollte nur durchgeführt werden, wenn der Kopf des Tieres sicher fixiert und der Schussapparat fest und gezielt aufgesetzt werden kann. Kann dies nicht sichergestellt werden, ist die Nottötung tierärztlich durchzuführen.
Wirkung: Schwerwiegende irreversible Schädigung des Gehirns.
Ansatz: Kopf des Tieres fixiert (z. B. mittels Halfter), senkrecht zur Stirnfläche, wenn Stirnfläche gut erreichbar, festes Aufdrücken des Schussapparates auf die Stirn, schnelles Auslösen nach Ansetzen, Korrektur nur, wenn unbedingt nötig.
Gerät: für Tierart und Lebendmasse geeignetes Gerät und entsprechende Ladungsstärke ➝ Geschwindigkeit, hohe Schussenergie.
Reinigung nach jeder Nutzung, wenn nötig sofortiges Austauschen von Verschleißteilen, regelmäßige Wartung, sachgerechte Lagerung.
Wirkung: starke Gehirnerschütterung, mechanische Zerstörung von Gehirnarealen, abhängig von Ansatzposition und Ansatzwinkel des Schussapparates, Ladungsstärke sowie Gewicht, Durchmesser und Eindringtiefe des Bolzens. Zusätzliche Zerstörung und Beeinträchtigung von Gehirnstrukturen durch Druckänderungen. Vorsicht: Tiere können nach der Bolzenschussbetäubung wieder aufwachen!
Die korrekte Ansatzstelle liegt fingerbreit oberhalb des Schnittpunktes der beiden Diagonalen zwischen Augenmitte und der Mitte des gegenüberliegenden Hornansatzes.
Folgen: Das Tier bricht zusammen, es ist bei korrekter Durchführung sofort empfindungs- und wahrnehmungslos.
Wirksamkeitskontrolle Bolzenschuss
- Tierkörper bricht zusammen & steifer Krampf
- Ausbleibende Atmung: dies ist zu kontrollieren an Nase, Maul und ggf. Bauch; Nachschuss bei mehr als 3 erkennbaren Atembewegungen
- Ruckartige Krämpfe (nach ca. 10 Sekunden)
- Keine Aufstehversuche
- Schlaff herabhängende Ohren
- Pupillen geweitet, Augen reagieren bei Berührung nicht und bewegen sich nicht
- Blick starr.
Alle Abweichungen davon zeugen von einer fehlerhaften Betäubung. Es muss sofort nachgeschossen werden.
6.4.3 Tötungsmethoden nach Bolzenschuss
6.4.3.1 Entblutung
- Spätestens 60 Sekunden nach Betäubung
- Gesamtblutmenge entspricht etwa 8 % des Lebendgewichts, ca. die Hälfte davon fließt beim Entbluten ab.
Wirkung: Maximaler Blutverlust und Sauerstoffversorgung zu Gehirn wird unterbunden.
Empfohlene Methode:
Brustschnitt: Hauteröffnung an Wamme, Einführen der Klinge vor Brustbein, Schnitt 20 – 25 cm tief in Richtung des Herzens, danach Messer abkippen, Blutabfluss gewährleisten.
Nur unter Vorbehalt:
Halsschnitt: Ohr zu Ohr durch Kehle, dabei Kopf nach hinten kippen; Achtung: die Gefäße am Hals können sich leicht wieder zusetzen, der Todeseintritt kann verzögert werden, da ein schnelles Ausbluten verhindert werden kann.
Die Entblutung muss kontrolliert werden, bei Gefäßverstopfung unbedingt nachschneiden!
Messer: ausreichend dimensioniert (ca. 22 cm) und geschärft.
Wirksamkeitskontrolle: Dauerhaft ausbleibende Atembewegungen (Kontrollzeitraum: 10 Minuten), erschlaffte Muskulatur, Pupille starr und dauerhaft geweitet sowie ausbleibende Reaktion bei Berührung des Auges.
6.4.3.2 Gehirn-Rückenmarkzerstörer
Stab: (flexibel) aus Metall oder Kunststoff, mind. 60 cm, besser 1 m.
Anwendung: Kinn in Richtung der Brust ziehen, Einführen des Rückenmarkzerstörers (1 m lang, ca. 5 – 10 mm stark/dick, flexibel) in Bolzenschuss-Loch, kreisende Bewegungen in Kopf, Vor- und Zurückbewegungen im Rückenmarkskanal.
Wirkung: Zerstörung des Stammhirns und Teile des Rückenmarks. Verhindert lebenswichtige Funktionen.
Wirksamkeitskontrolle: Dauerhaft ausbleibende Atembewegungen (Kontrollzeitraum 10 Minuten), erschlaffte Muskulatur, Pupille starr und dauerhaft geweitet sowie ausbleibende Reaktion bei Berührung des Auges.
Achtung: Bei Anwendung kann es nochmals deutlich zu Gliedmaßenbewegungen des Tieres kommen!!!
Hinweis: Der Einsatz des Gehirn-Rückenmarkzerstörers ist ausschließlich im Rahmen der Nottötung zulässig, jedoch nicht im Rahmen der Schlachtung.
6.4.3.3 Kugelschuss
Rechtliche Voraussetzungen:
- Waffenschein & Haftpflichtversicherung
- Prüfung der Schießstätte
- Behördliche Schießerlaubnis
- Prüfung Polizeibehörde/Veterinäramt.
Damit scheidet der Kugelschuss aus rechtlichen Gründen als Nottötungsmethode vollkommen aus. Die Nichtbeachtung führt zu rechtlichen Konsequenzen, wie dem Verlust des Jagdscheines etc.
6.4.4 Kontrolle des Todeseintritts
Die nachfolgenden Indikatoren können zur Kontrolle der Wirksamkeit von Betäubung und Tötung herangezogen werden:
Betäubung
Die Empfindungs- und Wahrnehmungslosigkeit bei Tieren äußert sich:
- Im Verlust des Stehvermögens
- Im Verlust der Wahrnehmung von Umweltreizen (keine Reaktion auf Licht, Lärm, Berührung, Schmerzreize)
- Im Verlust der Vitalfunktionen (Atmung, Reflexe).
Tötung
- Fehlende Bewegung
- Muskeln erschlafft
- Schließmuskel erschlaffen (Austritt von Kot & Harn)
- Dauerhaft fehlende Herztätigkeit
- Anhaltend offene und starre Augen mit geweiteter Pupille
- Ausbleibende Reflexe beim Berühren des Auges
- Atmung dauerhaft nicht sicht- und spürbar
- Kontrollzeitraum: mindestens 10 Minuten.
6.4.5 Zusammenfassung
7. Schlusswort
Die hier dargestellten Grundlagen und Hinweise sollten unter den geschilderten Voraussetzungen Handlungsgrundlage für jede rinderhaltende Landwirtin und jeden rinderhaltenden Landwirt sein. Nicht nur, dass sie in weiten Teilen rechtlich dazu verpflichtet sind, sondern, weil es die Verantwortung gegenüber einem jeden Tier erfordert.
Die Verantwortung für eine zeitige Nottötung inkl. Vorhandensein des nötigen Fachwissens und der notwendigen Ausrüstung liegt immer bei den Tierhalterinnen und Tierhaltern. Jede Nottötung ist als Einzelfallentscheidung anzusehen! Ein Sachkundenachweis ist bei nicht regelmäßig durchgeführten Nottötungen im eigenen Bestand/Bestand des Arbeitgebers nicht notwendig, aber das Wissen über fachgerechte Handhabung und Durchführung der Tötungsmethode ist essentiell! Praktikable und tierschutzgerechte Methoden sind die Bolzenschussbetäubung mit anschließender Tötung oder die medikamentöse Euthanasie. Verschiedene Institutionen bieten Kurse zur Erlangung des geschilderten Fachwissens an.
Wichtig: Wenn man sich für eine einzeltierliche Nottötung entscheidet, muss im Nachgang auch nach möglichen Ursachen für Erkrankungen/Verletzungen gesucht werden! Routinemäßige Tierbeobachtung vermeidet Nottötungen!
Auch im Hinblick auf gesellschaftliche Diskussionen ist jede Rinderhalterin und jeder Rinderhalter angehalten, sich mit diesen Grundlagen zu beschäftigen und diese im Betrieb umzusetzen.
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