Hintergrund
Vertical Farming (VF), also die kommerzielle und vertikale Kultivierung von Pflanzen in Innenräumen und unter oftmals kontrollierten Umweltbedingungen, ist eine innovative Anbaumethode, die gegenüber traditionellen Ackerbaumethoden zahlreiche ökologische aber auch ökonomische Vorteile bietet: hierzu gehören unter anderem eine hohe und standardisierte Qualität der Anbauprodukte, gut planbare und sichere Erträge aufgrund fehlender Umwelteinflüsse und ein verminderter Bedarf an Wasser und Pflanzenschutzmitteln. Zudem ermöglicht die lokale Produktion ehemals importierter Nahrungsmittel kurze Transportwege zum Endverbraucher. Insgesamt erscheint VF somit geeignet einen nachhaltigen Lösungsansatz für einige der aktuellen Herausforderungen, wie dem anthropogenen Klimawandel, einer zunehmenden Urbanisierung, Bodendegradation und dem zunehmenden Verlust der Biodiversität zu bieten. Dieses Expertenwissen soll sich dieser neuen Anbaumethode widmen. Im Vordergrund steht hierbei VF in Europa und der Vergleich zwischen konventionellem Anbau und VF.
Grundsätzlich beschreibt das System des VF die Anordnung von Pflanzen innerhalb einer vertikal angeordneten Infrastruktur. Dabei können zwei verschiedene Kategorien unterteilt werden: Vertikale Systeme, die ausschließlich künstliches Licht nutzen („Plant factories with artificial lighting, PFAL“), und Systeme, die (zusätzlich) das Sonnenlicht nutzen („Indoor Farms, IF“).
PFALs zeichnen sich meist durch die Kultivierung von Pflanzen unter Kontrolle aller Umweltfaktoren („Controlled Environment Agriculture, CEA“) aus. Die überwiegende Anzahl der Systeme weist in diesem Zusammenhang die folgenden Eigenschaften auf (Kozai, 2019):
- Alle Wände und Dächer sind lichtundurchlässig, und als Lichtquelle werden ausschließlich (LED)-Lampen im Zuchtraum verwendet;
- Der Zuchtraum ist nahezu luftdicht;
- Die Wände und der Boden sind thermisch gut isoliert;
- Es wird eine hydroponische Anbaueinheit verwendet;
- Der Anbauraum (Sanitärbereich) darf nur von Personen mit desinfizierter Kleidung betreten werden, die zuvor eine Hygieneschleuse passiert haben;
- Die Vermehrung und das Wachstum von Krankheitserregern, Insekten und Schadnagern wird streng überwacht, aufgezeichnet und auf ein Minimum reduziert.
Durch die Beleuchtung mit LEDs werden Tag- und Nachtzyklen erzeugt, die wichtige Umweltsignale für die Pflanzen sind. So kann mithilfe der eingestellten Lichtintensität, Lichtspektren und Photoperioden die Entwicklung der Pflanze und somit Ertrag, Inhaltsstoffe und Qualität der Produkte gesteuert werden. Wie gut die Pflanzen die Energie der Photonen aufnehmen können, hängt nicht nur von den Lichteinstellungen, sondern auch von anderen Umwelteinflüssen ab. Die Lichteinstellungen zu Beginn des Pflanzenwachstums und vor der Ernte beeinflussen auch Haltbarkeit, Geschmack, Optik und Nährstoffe der Produkte. Das Resultat sind optimale Wachstumsbedingungen, eine hohe Produktionseffizienz und eine hohe Pflanzenqualität sowie die ganzjährige Nahrungsmittelproduktion. Blattgemüse ist weltweit die beliebteste Kultur, die in PFALs kommerziell angebaut wird, wobei Salat hier den größten Anteil an der Gesamtproduktion ausmacht (Zhuang et al., 2022).
Neben den PFALs werden in Europa weitere CEA-Anbausysteme genutzt. Dazu gehören:
- Container-Farmen: in einem Schiffscontainer befindliche modulare vertikale Farm;
- In-Store-Farmen: am Ort des Konsums oder Vertriebs befindliche vertikale Farm wie zum Beispiel im Lebensmitteleinzelhandel;
- Appliance-Farmen: in einem Haus integrierte vertikale Farm.
Unter den Begriff „Indoor Farm“ (IF) fallen Produktionssysteme, die Pflanzen in geschlossenen Räumen unter (Mit-)Nutzung des natürlichen Sonnenlichts produzieren. Vertikale Systeme im Gewächshaus umfassen vor allem Säulen- und pyramidenartige Konstruktionen. Diese Anordnungen ermöglichen eine relativ gleichmäßige Exposition der Pflanzen zum Licht. Zusätzlich zum Sonnenlicht wird häufig Assimilationslicht verwendet (Pflanzenfabrik, 2022). Beispiele hierfür sind Gewächshäuser, Folientunnel und Schirmhäuser. IF wird meist für den Anbau von hochwertigen Gemüsesorten genutzt. Vor allem in der Technologie der Gewächshäuser gab es in den letzten Jahren große Entwicklungsfortschritte. Die am häufigsten genutzen Anbaumethoden beim IF sind:
- Hydrokultur bzw. Hydroponic: Hierbei wird ohne Erde kultiviert. Stattdessen werden die Pflanzenwurzeln direkt in eine Nährlösung getaucht oder finden Halt in Kies, Sand oder Mineralwolle. Hydrokulturen können kontinuierlich oder statisch betrieben werden. Hydrokultur ist die am häufigsten genutzte Methode des IF;
- Aeroponik: Die Pflanzenwurzeln befinden sich in einer Kammer mit 100% Luftfeuchtigkeit und werden mit Wasser oder einer Nährlösung besprüht. Vorteile sind eine hohe Nährstoffeffizienz und bis zu zehnmal höhere Erträge als in der Bodenproduktion, jedoch ist eine präzise Sensortechnologie notwendig;
- Tropfbewässerung: Die Tropfbewässerung wird meist für Dauerkulturen verwendet. Dabei leiten Schläuche oder Tropfer die Nährlösung direkt und reguliert an die Basis der Pflanze. Auch hier sind geschlossene oder nicht-zirkuläre Systeme möglich;
- Nährstoff-Film-Technik (NFT): Die Nährlösung fließt kontinuierlich in einem Behälter mit leichtem Gefälle durch ein meist geschlossenes System und benetzt dabei die darin hängenden Pflanzenwurzeln;
- Aquaponik: Hierunter versteht man eine Kombination aus Indoor-Fischzucht und Hydroponik. Dabei dient die Ausscheidung der Fische als natürlicher Dünger für die Pflanzen.
Kommerziell werden vor allem Blattgemüse, Micro Greens, also junge, essbare Keimpflanzen und Blumen produziert. Eine Bio-Zertifizierung der Produkte ist in Europa momentan nicht möglich, da für eine Zertifizierung Pflanzen in Erde wachsen müssen. Ausnahmen sind Pflanzen, die natürlicherweise in Wasser wachsen.
Vergleich Vertical Farming und konventionelle Landwirtschaft
Eine der größten Stärken des Vertical Farming ist die Kontrollierbarkeit der Umgebung, in der die Pflanzen aufgezogen werden. Umweltfaktoren wie Luftfeuchte, Beleuchtung, Temperatur, Belüftung sowie CO2-Konzentration sind steuerbar und damit auch das Wachstum und der Ertrag der Pflanzen. Außerdem ergibt sich durch den Anbau in Innenräumen eine Unabhängigkeit von Klima- und Witterungsbedingungen des Standortes. Hinzu kommt, dass die Qualität und die Inhaltsstoffe der Produkte beim Vertical Farming beeinflusst werden können. So ergaben Studien, dass zum Beispiel der Anteil gesundheitsförderlicher Antioxidantien in Roter Bete im Vertical Farming deutlich erhöht ist. Auch konnte die Gesamtanbauzeit von Majoran von 101 bis 136 Tagen im Freilandanbau auf 46 Tage in vertikalen Farmen reduziert (Mempel et al., 2021, S. 291ff) und auch der Gehalt gesundheitsfördernder Glucosinulate in Brunnenkresse durch die Anpassung von Umweltfaktoren erhöht werden. Wichtig ist bei der Beeinflussung jedoch, dass die Inhaltsstoffe der Pflanzen in ihrer Gesamtheit betrachtet werden, da es zu Überdosierung einiger Inhaltsstoffe oder auch zu einer Anreicherung von ungewollten Stoffgruppen wie zum Beispiel Nitrat kommen kann.
Ein weiterer Vorteil des vertikalen Anbaus in Innenräumen ist der hohe und zudem ganzjährige Ertrag an Gemüse, Obst und Kräutern auf geringer Fläche, was dieses Produktionssystem vor allem auch für Städte und Ballungszentren attraktiv macht. So kann in einer zehnschichtigen Vertical Farm ein Ertrag von 80-120 kg Kopfsalat pro Quadratmeter und Jahr erzeugt werden während konventioneller Freilandanbau nur 3,9 kg/m²/Jahr ermöglicht (Tabelle 1) (Avgoustaki & Xydis, 2020, S. 7, 27). Vor allem Pflanzen mit längeren Generationszeiten und Grundnahrungsmittel haben bis jetzt jedoch eine schlechte Rentabilität im vertikalen Anbau. Der Anbau dieser Produkte könnte jedoch in Zukunft an Bedeutung gewinnen, weil sich durch den Anbau auf kleiner Fläche in Städten eine Stabilisierung der Versorgungsketten insbesondere auch durch Verkürzung der Transportwege erreichen lässt. Durch diese kurzen Transportwege aber unter anderem auch durch die Möglichkeit, Antioxidantien in den Pflanzen anzureichern, ist die Haltbarkeit der Produkte aus vertikaler Landwirtschaft meistens länger. Ein weiterer Vorteil von Vertical Farming, vor allem in Hinblick auf Nachhaltigkeit, ist, dass weniger Lebensmittelabfälle bei der vertikalen Anbaumethode anfallen. Auch im Lebensmitteleinzelhandel entstehen wegen der längeren Haltbarkeit aber auch der einheitlicheren morphologischen Eigenschaften der Rohstoffe und kurzen Transportwegen, weniger Lebensmittelabfälle als bei vergleichbaren Produkten der konventionellen Landwirtschaft. Außerdem sind beim vertikalen Indoor-Anbau weitere Verarbeitungsschritte wie das Waschen vor dem Verpacken wegen des Verzichts auf Pestizide und Erde nicht notwendig und könnten eingespart werden.
Ein weiterer Vorteil des Anbaus in Innenräumen bei Vertical Farming ist, dass durch die kontrollierte und abgeschlossene Umgebung das Eindringen von Schädlingen verhindert oder zumindest begrenzt werden kann. Obwohl hierdurch auch ein möglicher Eintrag von Mikroorganismen und Viren grundsätzlich reduziert wird, bleibt das Risiko einer mikrobiellen Kontamination der landwirtschaftlichen Erzeugnisse bestehen. In den geschlossenen Umgebungen des Vertical Farming können sich Krankheitserreger leicht verbreiten, wenn nicht angemessene Hygienemaßnahmen ergriffen werden. Bakterien, Viren und Pilze können sich auf Pflanzen, Oberflächen und in der Luft vermehren resp. durch diese Medien übertragen werden und die Gesundheit der Pflanzen beeinträchtigen. Auch eine unsachgemäße Handhabung oder Kontamination der Nährlösungen kann zu einer schnellen Ausbreitung von pathogenen Mikroorganismen führen. Gleiches gilt für Luftbefeuchter oder Lüftungssysteme, insbesondere dann, wenn die Filter- und Reinigungsroutinen nicht ausreichend sind. Darüber hinaus können Anbausubstrate wie Kokosfasern oder Hydrogel, die nicht vollständig keimfrei sind, als Reservoir für pathogene Mikroorganismen dienen. Schließlich kann auch der Mensch zur Verbreitung von Mikroorganismen beitragen. Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine angemessenen Hygienemaßnahmen befolgen oder kontaminierte Kleidung oder Werkzeuge verwenden, könnten sie Krankheitserreger von einer Pflanze zur anderen übertragen.
Den Risiken kann mit Luftfiltern und -schleusen, der Automatisierung der Arbeitsabläufe aber auch UV-Behandlung entgegengewirkt werden. Außerdem muss beachtet werden, dass sich Erreger und Schädlinge vor allem durch die Nährlösung weiterverbreiten, was vor allem Kreislaufsysteme für eine Kontamination auf diese Art anfällig macht. Auch dieser Gefahr kann zum Beispiel durch Ultrafiltration, Wasserstoffperoxid, Wärmebehandlung und UV-Strahlen vorgebeugt werden. Zudem sollte die Nährlösung häufig mikrobiologisch kontrolliert und regelmäßig ausgetauscht werden, da die mikrobielle Belastung der Nährlösung steigt, je länger sie verwendet wird. Sollte es doch zu einer Kontamination kommen, sollten die Systeme entleert und gesäubert werden. Darüber hinaus könnenmodulare Systeme helfen, der Verbreitung entgegenzuwirken. Ein gut durchdachtes und umgesetztes Qualitätsmanagementsystem ist, unabhängig von der Anbaumethode, wichtigste Bedingung, um die Lebensmittelsicherheit und -qualität zu gewährleisten. Jedoch ist das Qualitätsmanagement im Vertical Farming nicht mit dem konventioneller landwirtschaftlicher Betriebe zu vergleichen, sondern eher als Kombination aus landwirtschaftlichem und lebensmittelverarbeitendem Qualitätsmanagement zu sehen. Dies ist auch der Grund, warum einige Unternehmen, die vertikale Farmen betreiben, sowohl Qualitätsmanagement-Zertifizierungen für landwirtschaftliche Produktion (z.B. GAP) als auch für Lebensmittelsicherheit (z.B. BRC, ISO 22000) besitzen. Viele Unternehmen haben bereits hohe Qualitätsstandards mit HACCP-Konzept, jedoch ist weiterhin Forschung in diesem Bereich notwendig.
Soll Vertical Farming eine Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels und der globalen Ernährungskrise bieten, so stellt sich vor allem auch die Frage der Ressourceneffizienz der Anbaumethode. Die vertikale Landwirtschaft hat das Potenzial, die eingesetzten Ressourcen sehr effizient zu nutzen. So ermöglicht Vertical Farming eine hohe und vorhersehbare Produktivität pro eingesetzter Fläche. Hinzu kommt ein sehr geringer Wasserverbrauch sowie ein nicht bestehender bis geringer Pestizideinsatz. Außerdem besteht die Möglichkeit, die zurückgelegten Lebensmitteltransportmeilen durch Nähe der Farmen zur Verbraucherschaft oder verarbeitenden Industrie zu minimieren, wie zum Beispiel bei Kopfsalat, bei dem, wie in Tabelle 1 zu sehen, ein Transportweg von 43 km anstatt von 3.200 km möglich ist (Avgoustaki & Xydis, 2020, S. 50). Durch geschlossene Kreisläufe in der Produktion können außerdem bereits eingesetzte und nicht benötige Ressourcen wie Nährstoffe wiederaufbereitet werden. Hinzu kommt, dass Vertical Farming durch die Möglichkeit, Umweltfaktoren einfach einzustellen, eine höhere Lichtnutzungseffizienz (Trockengewicht der Pflanze pro einfallender photosynthetischer Photonenflussdichte in g/mol) als im Gewächshaus- oder Freilandanbau ermöglicht. Ein großer Nachteil des Vertical Farming ist jedoch der hohe Energieverbrauch der Anbaumethode. Durch den hohen Energieeinsatz, der hauptsächlich für die Beleuchtung, aber auch für die Klimatisierung von Nöten ist, ergibt sich ein größerer CO2-Fußabdruck als bei Gewächshäusern und Freilandanbau (Abbildung 1). Ansatzpunkte, den Energieeinsatz zu senken bzw. den CO2-Abdruck zu verringern, sind der Einsatz von erneuerbaren Energien, die Integration der Farmen in Fernwärmesysteme, Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sowie die Maximierung der Lichtnutzungseffizienz. Doch auch wenn die gesamte Energie einer Vertical Farm aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wird, was den CO2-Abdruck stark absenkt, ist dieser noch immer größter als der von Gewächshaus- und im Freilandanbau. Noch sind Gewächshäuser in Europa hinsichtlich der Energienutzung also effizienter als Vertical Farming, was eine Kombination der beiden Anbauarten für die Jungpflanzenzucht und Aufzucht attraktiv macht. Da der hohe Energieverbrauch zudem der größte Kostenfaktor von vertikalen Farmen ist, gibt es viel Forschung, um den hohen Energieeinsatz zu senken.
Tabelle 1: Ressourceneffizienz von Kopfsalatanbau im Vertical Farming und konventioneller Landwirtschaft im Vergleich (modifiziert durch Snigur nach: Avgoustaki & Xydis, 2020, S. 7, 27)
Ressourceneffizienz | Vertikale Indoor-Farm (10 Schichten Kopfsalat) | Konventioneller Freilandanbau (Kopfsalat) |
Effizienz der Wassernutzung | 1 l/kg/Jahr | 250 l/kg/Jahr |
Wasserverbrauch | In der Regel Hydrokultur oder Aeroponik Ca. 11 l/Kopf | Bewässerung und Niederschlag Ca. 250 l/m² |
Energieeinsatz/ -verbrauch | 250 kWh/kg/Jahr | 0,3 kWh/kg/Jahr |
CO2-Emissionen | 158 kg/t Kopfsalat | 540 kg/t Kopfsalat |
Lichtquelle | Künstliche Beleuchtung, die 10-24 h/Tag in Betrieb ist | Sonnenlicht |
Einsatz von Pflanzenschutzmittel | Indoor-Anbau Sterilisierte Umgebung | Einsatz von EPA-zugelassenen Pestiziden, Herbiziden und Fungiziden sowie traditionellen Methoden wie Pflügen, Jäten und Mulchen |
Ertrag | 80-120 kg/m²/Jahr | 3,9 kg/m²/Jahr |
Landnutzung | 365 Tage/Jahr | 275 Tage/Jahr |
Effizienz der Landnutzung | 0,3 m² für 1 kg/Tag | 93 m² für 1 kg/Tag |
Ernten pro Jahr | 8-12 pro Jahr | 2 pro Jahr |
Transportwege | 43 km | 3.200 km |
Im Vergleich zur vertikalen Landwirtschaft hat die konventionelle Landwirtschaft unter anderem den Nachteil, dass sie ortsabhängig ist. Standortgebundene Faktoren wie Klima, Bodenqualität oder Witterung können somit nicht oder nur sehr eingeschränkt verändert oder beeinflusst werden. Hierdurch steigt auch das Risiko für Ernetverluste. Zudem benötigt der konventionelle Anbau eine hohe Wassermenge. Da viele Pflanzen nur in bestimmten Regionen wachsen, kann es zudem zu langen Transportdistanzen bis zum Endverbraucher kommen. Vorteilhaft ist jedoch, dass wenig Energieeinsatz für den Anbau nötig ist. Entgegen der Annahme, dass im Vertical Farming durch die abgeschlossene Umgebung weniger mikrobielle Belastung zustande kommt, konnten in einer Studie vonseiten der Lebensmittelhygiene statistisch keine Unterschiede bezüglich des mikrobiellen Profils von Rohstoffen aus konventioneller und vertikaler Landwirtschaft gefunden werden. So kann eine Kontamination mit pathogenen Mikroorganismen bei beiden Anbauarten geschehen, was, unabhängig von der Anbaumethode, eine gute Personal- und Betriebshygiene bei beiden Anbauarten notwendig macht (Mohammad et al., 2022).
Eine ganzheitliche Betrachtung aller Vor- und Nachteile von Vertical Farming und konventioneller Landwirtschaft ist somit notwendig. Allein in Europa bestehen sehr viele verschiedene Ansätze, Vertical Farming und auch konventionellen Anbau nachhaltig umzusetzen. Deswegen müssen bei allen Betrachtungen die speziellen Fälle möglichst ganzheitlich betrachtet werden, um eine fundierte Aussage über die Nutzung von Vertical Farming treffen zu können.
Markt und zukünftige Entwicklungen
Im Jahr 2020 umfasste der Weltmarkt für Vertical Farming 5,5 Milliarden US-Dollar. Er soll in den nächsten Jahren um 24 % wachsen (GlobeNewswire, 2021, S. 1). Aktuell sind die Vereinigten Staaten von Amerika der größte Marktakteur weltweit (Statista, 2022, S. 10). Beispiele für internationale Unternehmen, die Vertical Farming anwenden, sind in Tabelle 2 zu sehen. In den letzten fünf Jahren gab es jedoch auch in Europa eine starke Entwicklung in diesem Segment, einhergehend mit einem zunehmend engeren Wettbewerb. Die Niederlande gelten als Pionierland im Bereich des modernen Landbaus, einschließlich Vertical Farming. Hier gibt es zahlreiche Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Bildungseinrichtungen, die sich auf vertikalen Anbau spezialisiert haben. Die niederländische Expertise erstreckt sich auf Technologien wie hydroponischen und aeroponischen Anbau, LED-Beleuchtung und automatisierte Systeme. Aber auch in anderen Ländern Europas werden immer mehr large-scale Betriebe (> 15.000 m²) gebaut. So gibt es in Großbritannien eine wachsende Anzahl von Vertical Farming-Unternehmen, die hochwertige Produkte in städtischen Gebieten anbauen. Die Nähe zu den städtischen Märkten und das Interesse an nachhaltigen Anbaumethoden haben dazu beigetragen, dass das Vertical Farming im Vereinigten Königreich an Bedeutung gewinnt. Auch Unternehmen in Skandinavien, der Schweiz und in Deutschland haben sich auf innovative Anbaumethoden in Innenräumen spezialisiert, um die lokale Lebensmittelproduktion zu fördern.
Tabelle 2: Vertical Farming Unternehmen weltweit mit genutzten Systemen, Produkten und Länderzuordnung (Snigur, 2023)
Unternehmen | Land | Wachstumssystem | Produkte | Vertrieb | Sonstiges | Quelle |
AeroFarms | USA | Aeroponik, Horizontale Beete Sensoren, Machine Learning | BabyGreens, Microgreens | LEH | B-Corporation CEA Food Safety USDA GAP | (AeroFarms, 2023a, 2023b, 2023c, 2023d) |
Bowery Farming | USA | Hydroponik Horizontale Beete KI, Sensoren | Blattsalat, Blattgemüse, Kräuter, Erdbeeren | LEH | - | (Bowery Farming, 2022, 2023) |
Crop One | USA | Hydroponik, Modulare Farmen mit horizontalen Beeten Sensoren | Blattgemüse | LEH | Kooperation mit Emirates Flight Catering | (Crop One, o.J.a, o.J.b; Energy Monitor Worldwide, 2022a) |
Kalera | USA | Hydroponik, Horizontale Beete KI und Cloud-Analytik | Blattsalate, Microgreens | LEH | - | (Kalera, 2023a, 2023b) |
Plenty Unlimited Inc. | USA | Hydroponik, Vertikale Pflanzentürme Roboter, Sensoren, KI | Blattgemüse | LEH | - | (Plenty Unlimited, 2023a, 2023b) |
Spread | Japan | Hydroponik, Horizontale Beete Automatisierung | Blattsalate | LEH | F&E: Erdbeeren | (Spread, o.J.a, o.J.b) |
Sky Greens | Singapur | Hydroponik, Rotierende Pflanzentürme, Sonnenlicht | Blattgemüse | LEH | - | (Sky Greens, 2014) |
Trotz der Entwicklungen der letzten Jahre setzen vor allem die hohen Energie- und Investitionskosten den Unternehmen zu. Da die Energiekosten wegen des hohen Stromverbrauchs der Farmen der wichtigste Kostenfaktor sind, mussten bereits mehrere Farmen schließen. Deswegen stehen Einsparmaßnahmen sowie Prozessoptimierung noch mehr als zuvor im Fokus der Unternehmen. Bereits heute gibt es Unternehmen, die 100 % erneuerbare Energie, Cloud-Analytik, das Internet der Dinge und Big Data verwenden, um ihre Prozesse unter anderem durch Automatisierung zu verbessern und Kosten zu sparen.
Die Branche in Europa fokussiert sich im Moment hauptsächlich auf den Anbau von Blattgrün wie Salat, Spinat, Rucola, Mangold und verschiedenen Kohlarten. Hinzu kommen Kräuter wie Basilikum, Koriander, Petersilie, Minze und Oregano sowie Mikrogrün wie Radieschensprossen, Kresse, Senfsprossen und Brokkolisprossen. Einige Vertical Farms bauen auch essbare Blumen wie Ringelblumen, Veilchen oder Kapuzinerkresse an, die als dekorative und geschmackliche Elemente in Gerichten verwendet werden können. Je nach Rentabiliätt könnten in Zukunft aber auch Erdbeeren, Paprika, Tomaten sowie auch proteinreiche Pflanzen angebaut werden. Hauptabnehmer der Waren sind der Lebensmitteleinzelhandel, Hotels, Restaurants und Catering, aber auch die verarbeitende Industrie wie Parfüm-, Kosmetik- und Pharmaindustrie. Letztere sind vor allem interessiert an der einheitlichen Qualität der Pflanzen und der Möglichkeit, bestimmte Stoffe in den Pflanzen durch die Anpassung der Umweltbedingungen beim Anbau anzureichern.
Wegen des großen Potenzials, das in Vertical Farming steckt, aber auch den ebenso großen Herausforderungen, die es in diesem Zusammenhang gibt, forschen viele Institutionen und Unternehmen zu den verschiedensten Themengebieten, die mit Vertical Farming zusammenhängen. So wird zum einem am Anbau von Pflanzen geforscht, die aktuell wenig oder gar nicht angebaut werden. Dazu gehören Produkte wie Grundnahrungsmittel, proteinreiche Pflanzen, Vanille, verschiedene pflanzliche Arzneimittelrohstoffe, Spitzpaprika, aber auch Kräuter- und Aromapflanzen. Auch der Einfluss von Anzuchtsubstraten und Lichtbedingungen auf die Qualität, Sicherheit und das Inhaltsstoffprofil von Pflanzen wird erforscht. Daneben gibt es Forschung zu Anbausystemen z. B. zum Einsatz von Automatisierung, um standardisierte Prozesse bis zur Just-In-Time-Produktion zu ermöglichen, sowie der Erfassung und Optimierung von Stoffströmen und Energieverbräuchen.
Auch wenn Vertical Farming in Europa noch im Anfangsstadium ist, hat die Branche das Potenzial, vor allem in Ballungszentren an Bedeutung für die Erzeugung von Gemüse, Obst und Kräutern zu gewinnen. In Zukunft werden wohl weiterhin Kräuter und Salate im Fokus der Erzeugung stehen, doch könnten auch Erdbeeren im urbanen Raum relevant werden. Der Trend beim Vertical Farming geht hin zu besonderen Sorten und Geschmacksrichtungen. Potenzial hat die vertikale Landwirtschaft vor allem auch in der Gewinnung besonderer Lebensmittelzutaten, Arzneimitteln und Kosmetika oder auch der Anzucht von Jungpflanzen, welche ins Gewächshaus umgepflanzt werden. Auch wird sich, sollte die Automatisierung der Farmen voranschreiten, die Expertise der notwendigen Fachkräfte verschieben. Wichtig wird vor allem aber sein, die Verbraucherschaft über die Anbaumethode aufzuklären.
Auszug aus:
Masterarbeit von Valentina Snigur: Bedeutung von Vertical Farming für die Lebensmittelproduktion in Europa und mögliche Unterschiede von Rohstoffen aus vertikalem Indoor und konventionellem Anbau, 25.05.2023.
Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg, Fakultät Life Science
Studiengang Food Science
Bearbeitet von Antonia Kruse, in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. med. vet. Katharina Riehn und
dem DLG-Hauptausschuss Fachzentrum Lebensmittel.
Literatur
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